Читать книгу Das Verständnis von Vulgärlatein in der Frühen Neuzeit vor dem Hintergrund der questione della lingua - Roger Schöntag - Страница 19
4.1.1.2 Altlatein
ОглавлениеDer Beginn der zweite Periode, die des Altlateins (240 v. Chr-80 v. Chr.), wird durch die Konfrontation mit der auf literarischem Gebiet bis dahin dominierenden griechischen Kultur markiert, und zwar insofern für das „Epochenjahr“ (Albrecht 2012 I:45) 240 v. Chr. anläßlich der ludi Romani die erste Aufführung eines Dramas in lateinischer Sprache nachgewiesen ist, welches auf einer griechischen Vorlage beruhte, die durch den ersten namentlich bekannten lateinischen Dichter Livius (Livius Andronicus, 3./2. Jh. v. Chr.) umgearbeitet wurde.
Vermutlich als griechischer Kriegsgefangener im Zuge des Krieges gegen Tarent nach Rom verschleppt, wirkte Livius zunächst als grammaticus, hatte somit im Haus seines Herrn die Aufgabe, die griechischen Literatur zu übersetzen und zu erläutern (interpretari) sowie vorzutragen (praelegere). Als Dichter schuf er unter anderem eine lateinische Adaption der homerischen Odyssee (Odusia), das wohl erste römische Epos, wobei er die griechischen Hexameter in das Versmaß des Saturnier übertrug, dazu Tragödien – vor allem Cothurnatae, aber auch Palliatae – (z.B. Danae, Equos Troianus, Achilles, Aegisthus) und zumindest eine Komödie (Gladiolus) sowie ein nicht erhaltenes carmen (207 v. Chr.) zu Ehren der Iuno Regina.
Hervorzuheben ist in diesem Kontext, daß die Aufführung des Theaterstückes (fabula) in lateinischer Sprache auf eine staatliche Anordnung eines römischen Magistrats (Ädil) zurückgeht. Hintergrund ist die Tatsache, daß Rom als aufstrebende Herrschaftsmacht nach dem Gewinn des 1. Punischen Krieges (264–241 v. Chr.) und der Einrichtung der ersten Provinzen (Sicilia, 241 v. Chr; Corsica et Sardinia, 238 v. Chr.) als neuer politischer Machtfaktor beargwöhnt wurde und man den Römern vor allem von Seiten der hellenistischen Staatenwelt kulturelle Rückständigkeit vorwarf (cf. Baier 2010:7–11).177
Diesen Vorwurf zu entkräften war Teil einer Staatspolitik, die damit auch gleichzeitig sprachpolitische Implikationen hatte. Modell und Maßstab mußte dabei das Griechische sein, zum einen um die Gleichwertigkeit nachzuweisen, zum anderen weil keine andere Sprache in diesem Kulturraum ein vergleichbares Spektrum an literarischen Gattungen und Diskurstraditionen bot und damit auch die entsprechende sprachliche Elaboriertheit bzw. den hohen Grad an Ausbau.
Die römische Literatur ist demgemäß von der griechischen inspiriert, wobei – wie Baier (2010:8) hervorhebt – die römische Originalität jedoch nicht der modernen Vorstellung einer absoluten Neuschöpfung verpflichtet ist, sondern unter dem Leitgedanken einer interpretatio Romana funktioniert. Hierbei gelten die Prinzipien der imitatio (‚Nachahmung‘) und aemulatio (‚wettbewerbsmäßige Nacheiferung‘), d.h. der zugrundeliegende Gedanke besteht darin, es dem Vorbild gleichzutun bzw. es eventuell sogar zu übertreffen.178
Übersetzungen bzw. mehr oder weniger freie Übertragungen spielen zu Beginn der Verschriftlichungsphase bzw. in der literarischen Frühphase einer Sprache ganz typischerweise eine wichtige Rolle, geht es doch meist darum, die in einer Modellsprache bereits abgefaßten Texte mit etablierten Diskurstraditionen zu übernehmen und den eigenen sprachlichen Ausbau mit Hilfe eben dieser Prestige-Sprache voranzutreiben, wobei dies sowohl bewußt im Sinne einer Sprachpolitik geschehen kann als auch eher unbewußt mangels Alternativen bzw. vor dem Hintergrund des in diesem Kulturraum einzig funktionierenden und anerkannten Modells.
Man vergleiche dazu beispielsweise auch ähnliche Prozesse bei der Herausbildung von literarischen Diskurstraditionen in den romanischen Sprachen. Man spricht auch von „vertikaler“ Übersetzung, im Mittelalter und der Frühen Neuzeit als descensus verstanden, d.h. vom Lateinischen (und später Griechischen) in die jeweiligen Volkssprachen. In Bezug auf das Italienische spricht man von volgarizzamento, d.h. die Übersetzung bzw. Übertragung lateinischer Texte (wissenschaftliche, sakrale, literarische) in die italienische Volkssprache (volgare), im Spanischen von romanceamiento, d.h. von einer Übersetzung ins romance (hispánico) und im Französischen von vulgarisation (cf. Giovanardi 2006:2198–2199; Endruschat/Schäfer-Prieß/Schöntag 2006:1416–1419; Albrecht/Plack 2018:43).
In diesem Sinne der oben angesprochenen imitatio ist auch die Nachdichtung der Römer in Bezug auf die griechische Tragödie zu werten und die Charakterisierung Ciceros („non verba sed vim“, Ac. post. I, 10) ein schönes Dokument für diesen Prozeß sowie der reflektierten Selbstwahrnehmung.
Als weitere frühe Vertreter der lateinischen Literatur sind der Dichter Naevius (Gnaeus Naevius, 3. Jh.-nach 204 v. Chr.), dessen Werk – Komödien (z.B. Tarentilla, Hariolus), Tragödien (z.B. Lycurgus), Praetextae (Clastidium/Marcellus, Romulus/Lupus) und ein Epos (Bellum Poenicum) – allerdings nur in wenigen Fragmenten überliefert ist, sowie die Komödiendichter Plautus (Titus Maccius Plautus, ca. 250–184 v. Chr.) und Terenz (Publius Terentius Afer, ca. 195/185–159 v. Chr.) zu nennen. Von beiden letzteren sind zahlreiche Theaterstücke erhalten (von Plautus 21: z.B. Aulularia, Bacchides, Stichus, Mercator, Amphitruo, Miles Gloriosus (tragicocomoedia), Asinaria, Menaechmi; von Terenz 6: Hecyra, Andria, Adelphoi, Phormio, Eunuchus, Heautontimorumenos), die zudem eine wichtige Quelle des zeitgenössischen Lateins darstellen, da sie gattungsbedingt auch viele Elemente eines niedrigen Registers enthalten und sie somit im Spiegel einer fingierten Mündlichkeit vorsichtige Rückschlüsse auf die mutmaßlich gesprochenen Varietäten der Zeit zulassen. Während Plautus und Terenz die römische Komödie in griechischem Gewand pflegten, die Palliata (fabula palliata), transponierten ihre Epigonen Titinius179 (2. Jh. v. Chr.) und Afranius (Lucius Afranius, 2./1. Jh. v. Chr.) die Handlung ins römische Milieu und schufen die Togata (fabula togata) (cf. Poccetti/Poli/Santini 2005:309–310; Baier 2010:47–54).
Prägend für die frühe lateinische Literatur und damit auch wichtige Protagonisten im Prozeß des Sprachausbaus sind Ennius (Quintus Ennius, 239–169 v. Chr.),180 der, fragmentarisch überliefert, zwanzig Tragödien (z.B. Eumenides, Achilles, Andromacha aechmalotis, Iphigenia, Medea exul), Satiren (Saturae), zwei Prätextae (Sabinae, Ambracia) und ein Geschichtsepos (Annales) hinterlassen hat, sowie Cato d.Ä. (Marcus Porcius Cato Censorius, 234–149 v. Chr.), bekannt als prägender Staatsmann, Historiker (Origines) und Verfasser einer Abhandlung zur Landwirtschaft (De agri cultura) (Baier 2010:40–43, 119).
Insbesondere Cato ist hierzu als wegweisend zu betrachten, insofern er als Begründer der römischen Prosaliteratur gilt und bereits zahlreiche Textgattungen bedient, und zwar neben der Rhetorik und Geschichtsschreibung eine Reihe weiterer fachwissenschaftlicher Subdisziplinen erstmals auf Latein behandelt (cf. Fuhrmann 1999:100–102).
In die altlateinische Periode fallen auch noch einige Inschriften, die normalerweise im Zuge der ersten schriftlichen Zeugnisse genannt werden (cf. z.B. Meiser 2010:5, § 4), die aber aufgrund ihrer Sprachlichkeit nicht mehr zum Frühlatein zu rechnen sind, so z.B. der Senatus Consultum de Bacchanalibus (Bronzetafel, 186 v. Chr.), der im Zuge des sog. Bacchanalienskandals entstand.
Betrachtet man nun die sprachliche Situation in Rom und auf der italienischen Halbinsel in dieser Epoche, so ist ein tiefgreifender Wandel festzustellen. Zu Beginn der altlateinischen Zeit war die Eroberung bis zur Grenze des Po zwar abgeschlossen, doch eine tiefgreifende Romanisierung und damit einhergehende Latinisierung setzte erst in den folgenden Jahrhunderten ein. Aus dem Stadtstaat Rom wird dabei kein Flächenstaat, aber eine polis mit einem ausgedehnten Territorium, welches zunächst Italien und seine Inseln umfaßt, bis zu Beginn des 1. Jh. v. Chr. dann schließlich auch weitere Mittelmeerregionen in Ost und West vereinnahmt (Gallia Cisalpina, 222–197 v. Chr.; Hispania citerior, Hispania ulterior, 197 v. Chr; Macedonia, Illyricum, 168 v. Chr.; Achaia, Asia Minor, 146 v. Chr.; Gallia Narbonensis, 121 v. Chr.). Diese politische Expansion bleibt nicht ohne Auswirkung auf Sprache und Gesellschaft. Aus dem Stadtdialekt einer Kleinstadt in Latium wird eine internationale Verkehrssprache und es wird nach und nach die Muttersprache zahlreicher bis dato anderssprachiger Ethnien. Die Akkulturation und Latinisierung vollzieht sich in den verschiedenen Regionen unterschiedlich schnell, auch abhängig vom Grad der Verwandtschaft der jeweils betroffenen Sprache sowie von ihrem Prestige und der reinen Anzahl der Sprecher.
So ist das am nächsten verwandte Faliskische relativ bald ausgestorben (ca. 2.–1. Jh. v. Chr.) bzw. nicht mehr vom Latein zu differenzieren.181 Auch das kaum dokumentierte Sabinische, welches in Rom und vor den Toren Roms gesprochen wurde und maßgeblichen Einfluß ausübte, hörte vermutlich im 2.–1. Jh. v. Chr. auf zu existieren bzw. wurde zunehmend latinisiert (cf. Poccetti/Poli/Santini 2005:67).182 Ähnlich erging es anderen angrenzenden Völkern wie den Volskern, Äquern oder Aurunkern. Für diese Nachbarn kann man eine Phase des Bilingualismus postulieren, der zumindest teilweise diglossischen Charakter hatte, insofern Latein mit zunehmenden Prestige als high-variety funktionierte.
Ein wenig anders gelagert ist die Situation für das Oskische, welches ebenfalls eine nicht zu unterschätzende Kultursprache war (z.B. Atellane, v. infra). So sind Inschriften aus Pompeji und Herculaneum belegt, woraus man eine Vitalität der Sprache zumindestens bis ins 1. Jh. n. Chr. postulieren kann. Von Ennius ist überliefert, daß er Oskisch, Latein und Griechisch sprach (cf. Knobloch 1996:25).183 In Süditalien waren dabei alle drei Idiome beheimatet und damit auch Sprachen des täglichen Gebrauchs, wobei schriftsprachlich Griechisch zusätzlich als high-variety einzustufen ist, und zwar deshalb, weil sie als Sprache des Handels, der Kultur sowie allgemein als meist verbreitete Schriftsprache fungierte.
Eine Kultursprache war auch das Etruskische, welches in der Frühphase Roms aufgrund seiner politischen und kulturellen Dominanz ein wichtiges Element in der römischen Kultur wurde und auch sprachlich vielfältige Spuren (Lexikon, Akzentsetzung) im Lateinischen hinterlassen hat (cf. Knobloch 1996:27). Nichtsdestoweniger wurde das Etruskische durch das Lateinische abgelöst, in Resten existierte es wohl bis ins 1. Jh. n. Chr. (cf. Willms 2013:212) – letzte Inschriften ca. 1. Jh. v. Chr. (cf. Haarmann 2004:66) –, so daß eine relativ lange Phase der Zweisprachigkeit anzusetzen ist.184 Das Etruskische weist zwar nachweislich einige Entlehnungen aus dem Griechischen auf und die Übernahme der Schrift deutet auf eine zumindest in der Oberschicht verbreitete Kenntnis des Griechischen; es scheint aber zweifelhaft, ob die gleiche Art der Diglossie wie für die Kontaktkonstellation Latein-Griechisch anzusetzen ist.185
Die anderen Sprachen Italiens wie das Keltische, das Umbrische, das Messapische oder das Venetische sterben wohl im 1. Jh. v. Chr. aus. Auch für diese Substratsprachen ist eine gewisse Phase des Bilingualismus anzunehmen, bis sich der Sprachwechsel zum Latein vollzogen hat; wie dieser im Detail verlaufen ist, läßt sich mangels Belegen jedoch nur schwer nachvollziehen.
Dabei besteht ein prinzipieller Unterschied zwischen den italischen Substratsprachen und den vorindogermanischen Substraten. Insbesondere das nah verwandte Faliskisch, aber auch die relativ nah verwandten Sprachen Oskisch, Umbrisch oder Sabinisch wurden in den Varietätenraum des Lateinischen integriert, d.h. dialektisiert. Inwieweit das auf entfernter verwandte indogermanische Sprachen wie Keltisch, Venetisch oder Messapisch zutreffen würde, sei dahingestellt (cf. Krefeld 2003:558).186 Sicherlich nicht möglich ist diese Form der sprachlichen Vereinnahmung beim Etruskischen, Ligurischen oder anderen altmediterranen Sprachen.
Die Phase des Altlateins ist auch die Periode, in der das Latein nach und nach zur high-variety wird, zumindest für weite Teile der Bevölkerung Italiens. Dieser Status ist zunächst vor allem auf die politische Expansion zurückzuführen und der damit einhergehenden gesellschaftlichen Dominanz der römischen Verwaltung und Kultur.
Im Bereich der Schriftlichkeit mußte sich das Latein erst nach und nach den Status einer Ausbau- und Literatursprache erarbeiten und war in der Anfangsphase stark vom übermächtigen griechischen Vorbild abhängig. Erst allmählich zeitigte der Ausbau des Lateinischen Wirkung und das Lateinische konnte sich zumindest partiell emanzipieren, brachte eigene Diskurstraditionen hervor bzw. deckte zunehmend verschiedene Bereiche der distanzsprachlichen Kommunikation (schriftlich wie mündlich) ab.
Am Beginn der lateinischen Literatur im engeren Sinne stand der Wille, sich aus staats- und kulturpolitischer Räson zu positionieren, und so griff man auf das prestigereichste Vorbild zurück und dies war zu jener Zeit die griechische Literatur. Was die Textgattung anbelangt, so wählte man zunächst das Genus mit der höchsten Dignität, nämlich das Epos, und formte es nach eigenen Zwecken um (v. supra Livius Andronicus). Die nicht viel minder geschätzte Tragödie wurde nach dem gleichen Prinzip vereinnahmt (v. supra Livius Andronicus, Naevius, Ennius), findet jedoch insbesondere in der Form der Prätexta (fabula praetexta), in der die eigene römische Historie thematisiert wird, ihre eigene Ausprägung. Die Gattung der Komödie (cf. Caecilius Statius (†168), Plautus, Terenz) hingegen speist sich aus verschiedenen Vorläufern. Neben der klassischen griechischen Komödie (z.B. Aristophanes) und vor allem der Neuen Komödie, der Néa (cf. Menander, Μένανδρος, 342/341–290 v. Chr.), die in ihrer spezifisch römischen Ausformung, aber mit griechischem Bezug, zur Palliata führte, standen der aus der dorischen Volksposse entstandene sizilische Mimus mit Stegreifscherzen (paígnia) Pate sowie in Unteritalien die Phylakenposse (Götterburlesken, Mythentravestien) und die oskische Atellane (fabula Atellana, cf. Atella bei Neapel). Aus diesen komödiantischen Elementen sowie aus Spottliedern bei Triumphzügen (carmina triumphalia) aus heimischen Scherz- und Scheltreden (iocularia fundere), aus obszönen falisikischen Wechselgesängen (fescennina, cf. Fescennium in Etrurien), die ebenfalls zur Entstehung der Komödie, teilweise auch des Dramas beitrugen, begründet sich aber auch die bei den Römern hochgeschätzte Satire (satura), wie sie in der Frühzeit Lucilius (Gaius Lucilius, 180/157–103/102 v. Chr.) vertritt (cf. Baier 2010:37–39, 45–47).
Hebt man nun diese Anfänge römischer Literaturproduktion auf die diskurstraditionelle Ebene, so ist deutlich nachzuvollziehen, wie das Lateinische in für diese Sprache neue Diskurstraditionen vordringt, diese besetzt und dabei variiert bzw. auch neue ausbildet (z.B. Satire, Palliata). Neben den dominierenden griechischen Diskurstraditionen tragen dabei auch indigen latinische, faliskische, oskische und womöglich auch etruskische187 dazu bei (v. supra), daß bestimmte römische Genera entstehen und das Lateinische dort wie auch in den bereits für andere Sprachen etablierten seinen Platz findet. Durch die Übernahme dieser Diskurstraditionen und die steigende Textproduktion im Rahmen derselben wird zweifelsohne auch der sprachliche Ausbau vorangetrieben, da es gilt, neue Formen und Inhalte zu versprachlichen.188
Eine weitere Diskurstradition, in der das Lateinische Fuß faßt, ist die der Geschichtsschreibung. Hierbei sind im Wesentlichen zwei Entstehungsstränge auszumachen, und zwar einerseits die ca. ab dem 4. Jh. in Rom übliche Praxis, daß der pontifex maximus die wichtigsten Ereignisse (z.B. Amtsinhaber, Prodigien, Getreidepreis, Mond- u. Sonnenfinsternis) jahreschronologisch aufzeichnen ließ und auf Tafeln in der regia ausstellte sowie andererseits die bereits in vielen Facetten etablierte griechischen Historiographie. Aus der Tradition der Annales entstand somit die annalistische Geschichtsschreibung, deren Werke nach Amtsjahren der einzelnen Konsuln von Beginn der Stadtgründung bis zur Abfassungszeit geordnet war (cf. Ogilivie 1983:18–19; Brodersen/Zimmermann 2000:33). Die Umsetzung der römischen Chronologie – gesammelt als 80 Bücher in den Annales Maximi bis 133 v. Chr. – in ein Geschichtswerk wurde jedoch zu Beginn auf Griechisch geleistet, um einen größeren Leserkreis zu erreichen, so beim ersten Annalisten Fabius Pictor (Quintus Fabius Pictor, ca. 254–201 v. Chr.) in seinem Werk Rhomaíon Práxeis. Erst danach setzt sich in der sogenannten Älteren Annalistik das Lateinische durch und wird wie bei C. Hemina (Lucius Cassius Hemina, 2. Jh. v. Chr., Annales), Cn. Gellius (Gnaeus Gellius, 2. Jh. v. Chr.), Calpurnius Piso (Lucius Calpurnius Piso Frugi, 2. Jh. Chr.), Asellio (Sempronius Asellio), Coelius Antipater (Lucius Coelius Antipater, ca. 180–120 v. Chr., Bellum Punicum) oder C. Sisenna (Lucius Cornelius Sisenna, 118–67 v. Chr., Historiae) zur Sprache der Historiographie. Eine andere Art von Geschichtsschreibung wird das erste Mal auf Latein von Cato d.Ä. praktiziert (cf. brevitas Catonis), der mit seinen Origines an die hellenistische Textgattung der Gründungssage (κτίσεις) anknüpft (cf. Flach 1985:56–79; Baier 2010:81–84; Albrecht 2012 I:307). Mit dem Vorrücken in diese neuen diskurstraditionellen Bereiche wird auch ein wesentlicher Beitrag zum Ausbau der lateinischen Prosa erbracht, insofern die Variationsbreite und Anzahl der auf Latein verfaßten Texte zunimmt.189
Dies gilt auch für einen Bereich, den man heutzutage der wissenschaftlichen Literatur zuordnen würde. Während die ersten Textgattungen Epos und Tragödie in Versen gedichtet wurden, ist mit De agri cultura Catos das erste vollständige in Prosa verfaßte Werk überliefert und damit ein Grundstein für weitere Schriften und die wachsende Elaboriertheit der Sprache gelegt.
Der Ausbau des Lateinischen wurde in der altlateinischen Epoche auch in Bezug auf die mündliche Distanzsprache vorangetrieben. Hierbei ist insbesondere der in der römischen res publica wichtige Bereich der Rhetorik zu nennen.190
Im 2. Jh. v. Chr., als Rom auch vermehrt ins östliche Mittelmeer ausgriff, ergab sich allgemein eine vermehrte Rezeption griechischer Literatur, Philosophie und weiterer Wissenschaftsbereiche. Die Rhetorik, traditionell in der philosophischen Kontroverse zwischen den einzelnen Schulen (Stoa, Akademie, Peripatos) verortet, fand durch griechische Lehrer in der römischen Oberschicht Verbreitung, in der Griechisch alltägliche Bildungssprache war.191 Dabei ist die Rhetorik zwischen der Auseinandersetzung um den logos und der in der ars grammatica fixierten richtigen Sprechweise (recte loqui) bzw. der ‚korrekten‘ Sprache (latinitas bzw. ̔Ελληισμός) anzusiedeln (cf. Baier 2010:105; Poccetti/Poli/Santini 2005:389–390).192 Im römischen Kontext erreicht die Rhetorik dann vor allem im öffentlichen Leben der republikanischen Institutionen einen wichtigen Stellenwert und wurde ein geradezu konstitutiver Bestandteil der res publica.193 Bestimmte herausrragende Redner (cf. z.B. Publius Cornelius Scipio Aemilianus Africanus minor, 185–129 v. Chr.; Tiberius Sempronius Gracchus, 162–133 v. Chr.; Gaius Sempronius Gracchus, 153–121 v. Chr.) genossen daher ein hohes Prestige in der Gesellschaft (cf. Albrecht 2012 I:413–414).194 Die schriftliche Niederlegung der auf diese Weise neu ausgeformten Diskurstradition der öffentlichen Rede beginnt erst im Übergang zur folgenden Epoche (cf. Rhetorica ad Herennium, Cicero), genauso wie die der sich daran anschließenden Grammatik (cf. Varro).
Insgesamt ist demzufolge für die Periode der altlateinischen Sprachgeschichte eine wichtiger Wendepunkt dahingehend festzustellen, daß der Ausbau des Lateinischen maßgeblich vorangetrieben wurde. Durch die Übernahme von Diskurstraditionen aus dem griechisch-hellenistischen Raum, aber auch aus dem italischen Kontext sowie aufgrund von deren Weiterentwicklung rückt das Latein in dieser Epoche in immer mehr Bereiche der mündlichen, aber vor allem schriftlichen Kommunikation vor und wird zu einer vollfunktionsfähigen Distanzsprache. Der maximale Ausbaugrad wird zwar erst in der nächsten Phase erreicht, doch sind bereits zahlreiche Grundsteine gelegt. Der Aufstieg des Lateinischen zur überregionalen und dann internationalen Prestigesprache bedingt auf der anderen Seite auch einen Rückgang zahlreicher einheimischer Sprachen, so daß die Latinisierung der italienischen Halbinsel im 1. Jh. v. Chr. weitestgehend vollzogen ist. Aus der einstigen Vielsprachigkeit bleibt für nicht wenige Teile der Bevölkerung Einsprachigkeit übrig, für die Oberschicht Diglossie mit dem Griechischen.