Читать книгу Das Verständnis von Vulgärlatein in der Frühen Neuzeit vor dem Hintergrund der questione della lingua - Roger Schöntag - Страница 8
1.4 Untersuchungsmethode und Untersuchungsziel
ОглавлениеUm den bereits vorgestellten metasprachlichen Diskurs mit seinen verschiedenen Aspekten, insbesondere in Bezug auf die Erfassung der gesprochene Sprache der römischen Antike und damit die Vorstellungswelt der Frühen Neuzeit in Bezug auf das Latein in seiner Architektur rekonstruieren zu können, werden in der vorliegenden Untersuchung zwei unterschiedliche methodische Verfahren angewandt.
Zum einen soll die zeitgenössische Traktatliteratur mit Hilfe des heutigen Instrumentariums varietäten- und soziolinguistischer Begrifflichkeit analysiert (cf. Kap. 3.1) und somit unter dieser Perspektive untersucht werden, was an Einsichten in die Architektur des Lateinischen und in Bezug auf das Verhältnis von ,Mündlichkeit vs. Schriftlichkeit‘ bereits vorhanden ist. Dabei werden in diesem Analyseschritt zunächst bewußt bestimmte kontextuelle historische Implikationen weitgehend ausgeblendet, d.h. die heutigen Begrifflichkeiten in gewisser Weise anachronistisch angewendet, um das Verständnis der Sprache bzw. Sprachsituation klarer herausarbeiten zu können. Das gilt beispielsweise für Begriffe wie Varietät, Diasystem (diatopisch, diastratisch, diaphasisch), Diglossie und Ausbau genauso wie für Substrat, Superstrat und Adstrat.
Zum anderen ist es dann wiederum nötig, die einzelnen Traktate auch zu „rekontextualisieren“,10 also in dem entsprechenden zeitgeschichtlichen Diskurs zu verorten, d.h. die Texte ganz traditionell philologisch bzw. hermeneutisch zu interpretieren (cf. Kap. 3.2). Die beiden separat gewonnenen Erkenntnisstränge, die keinesfalls antogonistisch aufzufassen sind, sondern sich produktiv ergänzend, sollen dann wiederum zu einer Gesamtschau zusammengeführt werden. Mit Hilfe dieser Vorgehensweise sollen folgende konkrete Untersuchungsziele erreicht werden:
1 Die Vorstellungen der einzelnen Autoren der Frühen Neuzeit hinsichtlich des Lateins, insbesondere dessen, was heutzutage unter Vulgärlatein zu verstehen ist, sollen herauspräpariert werden (cf. Kap. 6.2), d.h. moderne, innovative einerseits und traditionelle Konzeptionen andererseits deutlich gemacht werden, und zwar durch folgende Verfahren:durch die Gegenüberstellung und Vereinigung der modernen Lesart der Traktate (varietäten- und soziolinguistische Begriffe) mit einer traditionellen, also der Verortung der untersuchten Schriften im Kontext der Zeit (‚Rekontextualisierung‘);durch die Gegenüberstellung des damaligen Kenntnisstandes (Frühe Neuzeit) über das Latein und seine Varietäten mit den heutigen.
2 Die Darstellung des Prozesses des Wandels dieser Sprachvorstellungen über die Antike in dem Zeitraum von Dante bzw. von Leonardo Bruni/Flavio Biondo bis Celso Cittadini bildet den zweiten Fokus dieser Arbeit (cf. Kap. 7).
Da es sich mitunter um Autoren bzw. Schriften handelt, die im Rahmen der questione della lingua durchaus schon Gegenstand von Untersuchungen waren, soll eben genau dieser bisher eher vernachlässigte Aspekt zur Vorstellung über die Sprachsituation der Antike fokussiert werden (nicht die gesamte questione) und gerade auch bei schon des Öfteren diskutierten Positionen sollen kritische Stellen besonders hervorgehoben werden. Dabei erlaubt es die hier dargelegte, doppelte Analyse-Perspektive, das Denken im Spannungsfeld zwischen Mittelalter und Neuzeit adäquat darzustellen sowie Gemeinsamkeiten und Diskrepanzen zwischen frühneuzeitlichem und modernem Wissensstand präzise herauszuarbeiten.
Das Desiderat des hier skizzierten Unterfangens ergibt sich nicht nur aus der bisher fehlenden Begriffsgeschichte zum Vulgärlatein (cf. Kiesler 2006:8), sondern auch aus einer bisher noch nicht in gebotenem Umfang vorliegenden Nachzeichnung dieser spezifischen frühneuzeitlichen Diskussion,11 vor allem nicht unter dem dezidierten Blickwinkel moderner Erkenntnisse der Varietäten- und Soziolinguistik vor dem Hintergrund einer vertieften Forschung zur antiken Sprachsituation und der Entstehung der romanischen Sprachen.
Die Vorgehensweise die gesamte Debatte durch die Behandlung der Positionen der einzelnen Humanisten zu strukturieren, richtet sich zum einen ganz pragmatisch nach der Mehrzahl bisheriger Forschungsarbeiten zu diesem Thema (cf. Kap. 2), zum anderen hat es den Vorteil, daß dadurch die gesamte Denkrichtung einzelner Protagonisten und der Kontext der Entstehung einzelner Ideen zu dieser Debatte deutlicher herausgearbeitet werden können. Um hingegen den Verlauf der Debatte und bestimmte Entwicklungstendenzen sowie die entsprechenden einwirkenden Faktoren aufzeigen zu können, dienen die jeweiligen Zwischenresümees sowie das ausführliche Fazit am Schluß der Arbeit.