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4.1.2 Der Varietätenraum

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Bei einer Beschreibung des Varietätenraumes des Lateinischen als lebendige Sprache ergibt sich zunächst einmal, wie aus oben ausgeführter Periodisierung hervorgeht, die Problematik, daß sich das Latein im Laufe seiner über tausendjährigen Sprachgeschichte nicht nur bezüglich einzelner sprachlicher Merkmale verändert hat, sondern durch seine Expansionskraft auch seine Verbreitung in den verschiedenen Regionen der Welt sowie damit einhergehend die Zahl seiner Benutzer enorm gestiegen ist. Dies wiederum bedingt einen erheblichen Zuwachs an sprachlicher Beeinflussung durch Substrat- und Adstratsprachen, die im Latein ihre Spuren hinterlassen haben. Durch diese im Laufe der Zeit sich stark verändernden Konstellationen ist es notwendig, daß auch eine historische Komponente bei der Erfassung der Architektur des Lateinischen Berücksichtigung findet.

Traditionell wird in der Klassischen Philologie der sprachlichen Variation relativ wenig Raum gegeben bzw. spielt allenfalls im Rahmen von stilistischen Betrachtungen eine Rolle. Die Frage nach der Existenz verschiedener Varietäten scheint hierbei eher untergeordnet und wird meist ohne größere Diskussion um eine eventuell mögliche linguistische Verortung abgehandelt, was nicht nur an der für das Lateinische als nicht mehr lebendige Sprache nicht immer einfachen Belegsituation zusammenhängt.

Exemplarisch für die traditionelle Sicht und die ältere Forschung sei hier auf Leumann/Hoffmann (1928) verwiesen, die die komplette Variation inklusive diachroner Implikationen in einem einzigen Kapitel abhandeln (ibid.: 9–11), und zwar unter dem Titel Vulgärlatein und Romanisch, Umgangssprache, Schriftsprache. Hierbei sind bereits mit den Termini ‚Umgangssprache‘ und ‚Vulgärlatein‘ die beiden wichtigsten Varietäten jenseits der standardisierten Schriftsprache in der traditionellen Betrachtung angesprochen. Diese finden sich genauso in der modernen Forschung: In dem Überblick bei Irmscher (1986:84–85), bei Reichenkron (1965)214 wie auch in der aktuellen Einführung zur Klassischen Philologie von Willms (2013:230, 239). Dies bedeutet auch, daß die komplette diasystematische Variation im Wesentlichen an einem Begriff aus der Germanistik, der eigentlich Verhältnisse des Deutschen wiedergibt, aufgehängt ist (‚Umgangssprache‘)215 sowie an einem Terminus, der in der Forschung mit den unterschiedlichsten Konzepten aufgeladen wurde (‚Vulgärlatein‘).216 An diese Tradition der Bezeichnung und Kategorisierung knüpft auch der Klassische Philologe und Romanist Kramer (1997) an, der fast alle Varietäten in dem Kapitel Die lateinische Umgangssprache behandelt (ibid.: 156–162), dort allerdings den Begriff, unter dem der größte Teil der Variation fällt, dann kritisch beleuchtet. Ein anderen Ansatz hat Müller (2001), der von den lateinischen Bezeichnungen (sermo rusticus, sermo agrestis, sermo plebeius etc.) ausgeht und deren Verwendungsweisen bei den antiken Autoren analysiert, um daraus abzuleiten, welches Sprachbewußtsein im Hinblick auf Varietäten in der Antike herrschte.

Im Folgenden soll jedoch versucht werden, die Variation im Lateinischen, soweit sie erfaßbar ist, mit Hilfe des Diasystems strukturiert darzustellen wie es in ersten Ansätzen bereits von Herman (1996), Müller-Lancé (2006:45–58), Koch (2010:188–189), Reutner (2014:199–203) oder Lüdtke (2019:450–453) geleistet wurde.

Das Verständnis von Vulgärlatein in der Frühen Neuzeit vor dem Hintergrund der questione della lingua

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