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1 Begegnung mit einem Einhorn

2043:

»Mama, was tust du da?«

Die Frau hebt den Kopf und staunt ihr Kind an.

»Schätzchen, was machst du denn hier? Ich dachte, du bist in deinem Zimmer. Was ist mit deinen Matheaufgaben?«

»Ich bin fertig. Mir ist langweilig.«

Das Mädchen schaut sich um. Ihre Mutter liebt es, umgeben von Pflanzen zu arbeiten. Deshalb ähnelt der Raum eher einem Dschungel als einem Arbeitszimmer. Selbst ihr Tisch fügt sich nahtlos ein. Er besteht aus einer dicken Holzscheibe, geschnitten aus einem jahrhundertealten Eichenstamm.

Der Kopf des Kindes wandert hierhin und dahin. Sie sucht nach einem Versteck, wo ihre Mutter sie suchen soll. Dann entdeckt sie das dreidimensionale Objekt, das über dem Arbeitstisch schwebt.

»Das ist aber ein schönes Einhorn!«, ruft es.

»Gefällt es dir?«, fragt die Mutter. »Möchtest du auch ein Einhorn haben? Wenn du brav bist, bekommst du es vielleicht zum Geburtstag.«

Sie macht ein paar Bewegungen mit den Händen. Schon galoppiert das schneeweiße Fabeltier über eine Wiese. Die Kleine mit den blonden Locken nähert sich dem Objekt ihres Interesses. Es legt seine Hand in den Weg des Tiers. Das Einhorn springt in hohem Bogen darüber.

So schnell gibt das Kind nicht auf. Beim zweiten Versuch legt es seinen Arm in die Laufrichtung. Das virtuelle Tier schnuppert an der Hand. Nach erfolgter Prüfung galoppiert es ein Stück den Arm hoch und springt dann wieder auf die Wiese. »Das kitzelt«, kichert das Mädchen und zieht den Arm zurück.

Die Mutter runzelt die Stirn. Das ViDA ihrerTochter arbeitet mit einem Vibrationstrick, um den Tastsinn zu stimulieren. Das Gehirn eines Kindes lässt sich offenbar täuschen, indem es die Anregungen mit der erwarteten Berührung in Verbindung bringt. Bei ihr selbst funktioniert das nicht so gut.

Nachdem die Kleine das Fabeltier eine Weile beobachtet hat, greift sie plötzlich entschlossen zu. Doch es rutscht durch ihre Hand hindurch. Wie Wasser, das zwischen den Fingern versickert. Fragend sieht sie ihre Mutter an.

Die schüttelt den Kopf. Ihre schulterlangen leicht gewellten Haare folgen der Bewegung. »Das ist mein Einhorn. Das möchte bei mir bleiben. Wenn Du möchtest, kannst ein Echtes haben. Aus Fleisch und Blut.«

Das Mädchen greift sich an den Kopf und schaut über ihre Mutter hinweg zur Decke hoch. Für einen kurzen Moment blitzen ihre smaragdgrünen Augen auf.

»Aber Mama, Einhörner gibt’s doch nur im Märchen. Die kann man nicht verschenken«, belehrt sie ihre Mutter.

»Doch ich kann das«, erklärt die Frau im Brustton tiefer Überzeugung. »Ich bin eine große Fee aus Fantasia. Wenn ich will, kann ich Einhörner herbeizaubern. In jeder Farbe. Welche würde dir denn gefallen?«

»Also Mama, manchmal bist du echt peinlich«, beschwert sich das Kind und verdreht die Augen. Ich bin kein Baby mehr, das sich mit deinen Märchengeschichten abspeisen lässt. Jetzt sag schon, was du da tust.«

Die Mutter seufzt. Die Erziehung eines hochbegabten Kindes hatte sie sich einfacher vorgestellt. Obwohl ihre Tochter erst viereinhalb Jahre alt ist, beschleicht sie immer öfter das Gefühl, eher mit einer Erwachsenen zu reden, als mit einem Kind.

»Na schön«, resigniert sie. »Ich designe Haustiere für andere Menschen.« Mit einer Geste öffnet sie für ihre Tochter einen Zugang in ihre Augmented Reality.

Das Nachwuchsgenie runzelt die Stirn und betrachtet nacheinander die zusätzlichen Diagramme, Grafiken und Tabellen, die mit dem Einhorn in Verbindung stehen. »Wie designst du sie?«, fragt sie schließlich.

Mit vorgerecktem Kinn fokussiert sie ihre Mutter. Diese schaut auf die Uhr und seufzt ein weiteres Mal. Später Vormittag. Eigentlich wollte sie bis Mittag mit dem Einhorn fertig sein. Sie hatte es dem Kunden versprochen. Andererseits will sie die Neugierde ihres Kindes nicht unbefriedigt lassen. Sie lehnt sich in dem weißen Ledersessel zurück und streckt die Arme aus.

»Komm auf meinen Schoß meine Große. Dann erkläre ich es dir in Ruhe.«

Warme Sonnenstrahlen fallen durch das offene Fenster. Die Mutter schließt die Augen, dreht ihr Gesicht zur Sonne. Frühlingsduft weht ins Zimmer.

Akustikmodulaturen wandeln den Berliner Lärm in angenehme Waldgeräusche um. Das System ist gut, aber nicht perfekt. Bei dem Versuch, extreme Geräusche zu kompensieren, entstehen manchmal die absurdesten Misstöne. Man meint dann, einen Geist durchs Zimmer fliegen zu hören. Ein anderes Mal das Brüllen eines Dinosauriers oder das Tschilpen eines exotischen Vogels.

Das Mädchen ist die Geräuschentgleisungen gewohnt. Bei dem Balzruf eines Pteranodons muss es regelmäßig kichern.

»Ich nehme die Gene eines Tieres und verändere sie so, wie der Kunde es haben möchte. Ich kann es größer oder kleiner machen, indem ich den Knochenbau verändere, ich kann die Muskulatur kräftiger oder schwächer machen, die Farbe des Fells verändern. Fast alles lässt sich anpassen.«

Während sie spricht, verändert sie Parameter an einem Bedienfeld. In Echtzeit wird angezeigt, wie die Veränderungen sich an dem Tier auswirken.

»Und wo hast du das Genom für das Einhorn her?«

Die Frau runzelt die Stirn und staunt über die präzise Frage ihrer Tochter. Sie kann kaum glauben, dass die das alles auf Anhieb verstand. Ohne sich etwas anmerken zu lassen fährt die Mutter mit der Lehrstunde fort.

»Ich habe als Ausgangsmaterial das Genom eines Pferdes genommen, das einem Einhorn ähnlichsieht. Dann habe ich gezielt einzelne Gene verändert, um einen zierlichen Knochenbau, gespaltene Hufe, ein geschraubtes Horn auf der Stirn und das schneeweiße Fell zu erzeugen.«

»Dann sieht es zwar aus wie ein Einhorn, aber es hat immer noch den Charakter eines Pferdes.«,

Das Mädchen spitzt die Lippen und legt den Kopf zur Seite. Demonstrativ nimmt es sein ViDa ab und legt das Kunststoffgestell auf den Tisch. Es ist eines der neuesten Modelle, bei denen die Netzhautdatenprojektoren kaum zu sehen sind.

Aufmerksam betrachtet die Kleine das Gesicht ihrer Mutter. Nicht die geringste Regung entgeht ihr. Ein schrilles Zirpen von draußen lässt Mutter und Tochter zusammenfahren. Die Frau ist sich der strengen Prüfung durch ihr Kind bewusst. Sie weiß, was das bedeutet.

»Das ist kein Problem für mich«, fährt sie unbekümmert fort. Ich weiß genau, welche Gene dafür zuständig sind und wie ich sie verändern muss, um die Charaktereigenschaften zu bekommen, die der Kunde haben will.«

Das Mädchen schließt die Augen und greift sich ans Kinn. Es lässt sich Zeit mit seiner Antwort.

»So ein Tier möchte ich nicht«, erklärt es schließlich. Draußen schiebt sich eine Wolke vor die Sonne. Doch es ist der kühle Blick ihrer Tochter, der die Frau frösteln lässt.

»Wieso denn nicht?«, fragt sie und runzelt die Stirn.

»Wenn du alles bestimmst, wie es aussieht und welche Eigenschaften es hat, dann ist es kein Tier mehr. Dann ist es nichts weiter als eine Biomaschine, die deinen Befehlen gehorcht.«

Man sieht es dem Mädchen an, wie ernst es ihm mit dieser Feststellung ist.

»Nein, mein Kind. So ist es nicht«, verteidigt die Mutter ihre Arbeit. »Es ist nach wie vor ein Tier, das einzig und allein seinen Instinkten gehorcht. Alles was ich mache, kann früher oder später auch in der Natur vorkommen. Nur dauert es dort viel länger. Ich helfe nur der Natur auf die Sprünge.«

»Das Einhorn tut mir leid.«

Tränen glitzern in den Augen des Kindes.

»Wieso tut es dir leid? Es ist ein Tier wie jedes andere auch.«

»Nein Mama. In der Natur haben alle Tiere Eltern. Dieses Einhorn hat keine.« Entschlossen wischt das Kind die Tränen weg. »Ein Glück, dass ich euch habe«, sagt das Mädchen plötzlich und umarmt seine Mutter so fest es kann.

Evolution 5.0

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