Читать книгу Evolution 5.0 - Roy O'Finnigan - Страница 17
Оглавление1 Cyberüberfall
Der Bezirk Neukölln ist seit jeher problematisch. Eine explosive Mischung aus Szenelokalen, durchgeknallten Künstlern und illegalen Aktivitäten aller Art. Die Armutskriminalität entwickelte sich mit der Zeit zu fest etablierten Berufszweigen. Es fällt auf, wenn Bewohner sich normal benehmen. Aber das gibt es in diesem Bezirk nicht. Die effizienzmaximierten und sozialnormierten Ameisen des Digitalkollektivs halten es hier weder aus, noch werden sie geduldet.
Städteführer, egal ob digital oder human, weisen auf die Gefahren in diesem Gebiet hin. Hierher kommt niemand, der nicht weiß, was er tut. Das ‚Gardengnome' ist einer der Gründe zu kommen. Es gehört zu den angesagtesten Clubs in Berlin.
Die Lokalität stellt eine Insel mit sicheren Hafen inmitten eines Ozeans dar, auf dem haushohe Cybererpressungswellen und Drogenhandelsorkane ihre Urgewalten austoben.
Wer die Schutzzone leichtsinnig verlässt, begibt sich in Gefahr. Ein Pärchen tritt ins Freie. Er ist mittelgroß, schlank und stellt zurzeit blonde Haare zur Schau. Die Menschen halten ihn für Anfang Zwanzig. Laut Geburtsurkunde ist er achtundvierzig. Sie ist zweiundsechzig mit dem jugendlichen Aussehen eines It-Girls.
Sie lernten sich auf der Tanzfläche kennen. Nicht zufällig. Ein Algorithmus errechnete, dass sie zusammenpassen. Sie mussten sich nicht einmal vorstellen und das peinliche erste Ansprechen übernahm auch die Dating-App. Sie gab ihnen auch die Anleitung für sämtliche Schritte bis zum ersten Kuss.
Das Programm konnte nicht ahnen, welches Unheil es für die beiden heraufbeschwor. Der Alkohol, die heiße Musik, kombiniert mit ihren Pheromonen taten ihr Werk. Sie mussten dringend nach draußen.
Ihre Schritte knirschen auf dem Kies. Die Luft ist kühl und es riecht nach Müll und menschlichen Ausdünstungen. Aber das stört sie nicht. Sie bleiben stehen und lassen ihren Trieben freien Lauf.
»Alter«, flüstert es hinter einem verrosteten Müllcontainer außerhalb der Sicherheitszone. »Noch zwei Schritte und ich hätte sie gehabt.«
»Voll krass. Mach näher ran«, drängt ihn sein Kumpel.
»Hey Alter, du hast null Peilung«, mault der Erste. Sein Markenzeichen ist ein Gerät so groß wie ein Aktenkoffer, das er auf dem Schoß balanciert und mit einem Stift bedient. »Chill down. Ich kann nicht näher ran. Diese Sicherheitseinrichtung ist vom Feinsten. Ein Wunder, dass sie uns noch nicht entdeckt haben.«
Nervös schaut er sich um. Jedes Mal, wenn er glaubt, das Surren einer Drohne zu hören, zuckt er zusammen.
»In der Tat«, brummt ein Dritter. »Wenn ihr zwei Dösbaddel nicht sofort die Klappe haltet, werden sie das mit Sicherheit. - Ruhe jetzt und Geduld. Die kommen schon. Das sagt mir mein Bauchgefühl.«
Alle drei tragen Tarnanzüge, Gesichtsmasken und Handschuhe, die schon über mehrere Generationen in Gebrauch sind.
In diesem Moment kommen ein paar dieser Stretchlimos aus dem vorigen Jahrhundert angefahren. Aus den Türen strömt eine Gruppe Best-Ager, unter ihnen ein betagter Sänger. Einer vom alten Schlag. Einer, der sich noch traut, die Regeln individuell auszulegen. An ihm haben sich die Vermarktungsstrategen des ewigen Jugendlichkeitsimperativs die Zähne ausgebissen. Die Spuren exzessiven Genusses von Sex, Drugs und Rock’n’roll trägt er wie eine Auszeichnung.
Der taghelle Platz vor dem Club bietet die perfekte Bühne für solche Auftritte. Das Pärchen fühlt sich von der ausgelassenen Gesellschaft gestört und zieht sich weiter in die Schatten zurück.
»Hast du’s?«, fragt der Zweite seinen Kumpel mit dem IMSI-Catcher.
»Na klar Mann. Bin doch kein Vollidiot«, nickt dieser. »Ich habe alle Drohnen voll korrekt neutralisiert und die SmartComs der Zielpersonen laufen jetzt über unsere Pikozelle.«
»Dann los«, befiehlt der Boss.
Die schnellen Schritte der Sicherheitsstreife bringen den Kies zum Knirschen. Wie üblich besteht das Team aus einem Menschen und einem Roboter als Partner. Breitbeinig platzieren sie sich vor dem Pärchen. Das Surren der Elektromotoren des Androiden erstirbt.
»Guten Abend Herrschaften. Sicherheitsdienst. Legitimieren Sie sich«, befiehlt der Humanoide.
Die frisch Verliebten zucken erschreckt zusammen. Hastig rücken sie ihre Kleidung zurecht. Der Frau schießt die Schamesröte ins Gesicht, was gar nicht so recht zu ihren neongrünen Strähnen passen will. Beide bestätigen mit einer Geste die Abfrage ihrer Identität. Automatisch werden die Daten mit ihren biometrischen Merkmalen abgeglichen.
Der Security Mann stellt eine ernste Miene zur Schau. Er ist groß, kräftig gebaut und hat etwas Militärisches an sich. Der Androide besticht hingegen mit nüchterner Mechanik. Seine humanoiden Züge sind nur angedeutet. Die funktional optimierte Kombination aus Karbonfasern, Hydraulik und Elektromechanik verleiht ihm die Aura einer eigenen Spezies.
»Herr Berger und Frau Müller: Sie wissen, dass sexuelle Handlungen in der Öffentlichkeit verboten sind.«
»Was heißt hier sexuelle Handlungen?«, versucht sich der junge Mann zu verteidigen. »Wir haben uns lediglich geküsst. Außerdem kann man das hier im Schatten wohl kaum Öffentlichkeit nennen«, gibt er sich schlagfertig.
Der Wachdienstler zieht ihn am Arm. »Kommen Sie mal mit da rüber. Sie sind viel zu nahe am Rand des Sicherheitsbereiches. Meine Aufgabe besteht darin, dafür zu sorgen, dass Ihnen nichts passiert.«
Das ertappte Paar folgt dem Rat und besiegelt damit endgültig sein Schicksal. Als sie den Fehler merken, ist es zu spät. Jemand drückt ihnen von hinten einen Stunner ins Genick, und lähmt sie mit einem Elektroschock. Ihre Körper erschlaffen und sinken zu Boden.
Die Maskierten packen zu und ziehen sie in eine Art Unterstand als Sichtschutz vor unliebsamen Aufklärungsdrohnen. Der Boss baut sich vor ihnen auf und stemmt die Hände in die Hüften.
»Also ihr zwei Turteltäubchen es läuft folgendermaßen. Ich will eure Identität. Ihr könnt sie mir freiwillig geben oder ich hole sie mir mit Gewalt. Jeder Versuch, Widerstand zu leisten ist zwecklos. Wie ihr bestimmt schon gemerkt habt, seid ihr vollständig gelähmt. Das wird auch so bleiben, bis ich bekommen habe, was ich will.«
Während er das sagt, nehmen seine Helfer den beiden ihre ViDAs und ihre SmartComs ab. Die beiden Gefangenen blinzeln wütend, weil sie sich nicht wehren können.
Der Boss setzt sich eine der Brillen auf. Automatisch aktiviert sie sich und projiziert Daten auf seine Netzhaut. ‚Identifikation erforderlich' steht dort. Er geht neben Berger in die Hocke und packt ihn am Kragen. Dann zieht er sein Messer und hält es ihm an den Hals.
»Wenn ich gleich deine Lähmung aufhebe, gibst du mir dein Masterpasswort. Versuchst du zu schreien, bist du tot. Hast du mich verstanden?«
Der Boss sieht an Bergers Augen, dass der verstanden hat. Es wird keine Schwierigkeiten geben. Er nickt einem seiner Leute zu und der verpasst dem Gefangenen eine Injektion in den Unterarm. Nach ein paar Sekunden lässt die Lähmung nach.
»Das Passwort«, knurrt der Boss. Gleichzeitig drückt er die Klinge noch fester auf den Hals. Wieder einmal zeigt sein Talent, Leute einzuschüchtern, Wirkung. Berger verrät die Zugangsdaten. Seine Stimme zittert.
Erst danach wird ihm bewusst, was er gerade getan hat. In dem Versuch, die Situation noch zu retten, reißt er seinen ganzen Mut zusammen.
»Damit werden Sie nicht davonkommen.«.
»Aber sicher doch«, gibt sich der Boss gelassen. Trotz der Maske kann man sein herablassendes Grinsen spüren. »Ihr seid nicht die ersten und werdet nicht die letzten sein, deren Identität ich mir angeeignet habe.«
Mit diesen Worten setzt er ihm wieder sein ViDA auf. »Von jetzt an werde ich jeden deiner Schritte überwachen. Wenn du zur Polizei gehst oder irgendjemanden davon erzählst, muss ich leider eines deiner Verbrechen zur Anzeige bringen.«
»Da werden Sie sich schwertun. Ich habe mir nichts zuschulden kommen lassen.«
Der Boss schüttelt mitleidig den Kopf.
»Tststs. Wie naiv ihr Digitalbürger doch seid. Dank lückenloser elektronischer Datenverarbeitung und Totalüberwachung kann ich deinen gesamten Lebenslauf neu schreiben. Mal sehen, was wir da so haben. Wie würde dir eine Karriere als Verbrecher gefallen? Schon in der Schule mit Drogen gedealt, Mädchen vergewaltigt, Jugendknast und dann endgültig auf der schiefen Bahn gelandet.«
Berger muss schlucken.
»Das geht allein schon von meiner Persönlichkeit her nicht«, versucht er sich selbst Mut zu machen.
»Ganz im Gegenteil. In deinem Persönlichkeitsprofil steht, dass du zu Gewalt neigst und ein gestörtes Verhältnis zu sozialen Normen und Gesetzen hast. Ist alles schon vorbereitet. Ich brauche nur auf den Knopf zu drücken. Soll ich?«
Der Finger des Datenganoven schwebt über der virtuellen Entertaste.
»Nein, bitte tun Sie das nicht«, keucht Berger. Fieberhaft sucht er nach einem Ausweg. »Geht es um Geld? Ich gebe Ihnen, was Sie wollen.«
Das Grinsen des Bosses wird breiter.
»Natürlich geht es um Geld. Aber deins habe ich doch schon. Keine Sorge, ich nehme nicht alles auf einmal.«
Besorgt schaut Berger zu, wie sich der Dieb an seinem Konto bedient. Dann richtet dieser einen Dauerauftrag ein, der monatlich einen beträchtlichen Teil seines Gehaltes auf ein Konto überweist. Schließlich zaubert er noch einen Vertrag über Datenästhetik aus dem Nichts, den er in Bergers Namen unterzeichnet.
»Es muss ja alles seine Ordnung haben«, erklärt er an Berger gewandt. »Du kannst mir doch nicht einfach so Geld überweisen. Das würde sofort das Finanzamt auf den Plan rufen.«
Zufrieden schließt er alle offenen Dateien mit einer Geste und klopft seinem Opfer auf die Schulter.
»So das hätten wir. Solange du brav weiterarbeitest und mir mein Geld pünktlich überweist, verpflichte ich mich, stets für deine tadellose digitale Präsenz zu sorgen.«