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1 Zurück im Leben

»Wo ist Paul?«, ist Ayas erste Frage, noch bevor Sam die Tür zu seiner Wohnung schließen kann.

Urs nickt mit dem Kopf Richtung Badezimmer.

»Ich habe ihn erst einmal duschen geschickt. Der Gestank war nicht auszuhalten.«

Aya schnuppert und rümpft die Nase.

»Iii, das ist ja widerlich. Der Geruch hängt ja immer noch in der Luft.«

Sie hält sich demonstrativ die Nase zu.

Urs grinst und deutet auf einen Plastikbeutel im Gang.

»Das kommt bestimmt von seinen Klamotten.«

»Raus mit dem Zeug«, verlangt die Chinesin. Sie deutet mit dem Finger zur Tür.

Das Grinsen des Berliners wird breiter, als er die Freundin wie eingefroren dastehen sieht. Umso lebhafter funkeln ihre Augen.

»Aber Engelchen, sei doch nicht so streng. Was soll er denn anziehen?«

»Mir egal. Etwas von dir oder von Sam. Das Zeug muss raus«, näselt sie in einem Befehlston, als sei es ihre Wohnung.

»Schon gut«, beschwichtigt Sam, »Ich bringe das Zeug runter.«

Mit spitzen Fingern greift er die Tüte und verschwindet nach draußen. Aya entspannt sich und öffnet entschlossen das Fenster. Sie nimmt einen tiefen Atemzug.

Urs‘ Gesichtsausdruck wird ernst.

»Das war eine harte Nuss. Ich hätte nicht gedacht, dass es so knapp wird. Trotz Sams Augmented-Reality-Ausrüstung wäre der Hacker fast entkommen.«

Aya nickt. »Stimmt. Unglaublich, wie schnell der reagiert hat. Diese Typen müssen über außergewöhnliche Programme und Systemressourcen verfügen.«

»Jetzt nicht mehr.«

Mit einer Geste überträgt der Berliner die Bilder von der Durchsuchung des Hackerhauptquartiers und Festnahme der Erpresser.

»Wow, wo hast du die denn her?«, wundert sich Aya.

»Ein Freund von mir arbeitet bei der Polizei. Eigentlich ist die Weitergabe verboten. Nur weil durch unsere Aktion lange gesuchte Verbrecher geschnappt werden konnten, hat er für mich eine Ausnahme gem....«

In diesem Moment passieren drei Dinge gleichzeitig. Paul kommt aus der Dusche, Sam kehrt zurück von seinem Ausflug zum Müllcontainer und Aya ruft: »Um Gotteswillen!«, und schlägt sich die Hände vor den Mund. Mit großen Augen stiert sie auf Paul. Der erstarrt vor Schreck und verkrampft sich in sein Handtuch.

Für einen Moment herrscht Totenstille. Paul steht da mit hängendem Kopf. Seine Haut ist blass, er ist abgemagert und droht jeden Moment umzufallen. Urs springt auf und hängt ihm seinen Bademantel um. Wie einen alten, gebrechlichen Mann führt er seinen Freund zu seinem Sessel.

Paul sinkt hinein. Er wirkt verloren, wie ein Dreikäsehoch in den Möbeln seiner Eltern. Auch der Bademantel ist etliche Nummern zu groß für ihn.

»Du brauchst erst mal was Nahrhaftes«, erklärt Urs und klopft ihm auf die Schulter. Dann verschwindet er in der Küche und kommt mit einem Bier zurück. »Trink das. Das baut dich wieder auf.«

Aya rollt mit den Augen. Sie eilt zum Lebensmittelzubereitungsraum. Murmelnd räumt sie den Kühlschrank leer und richtet eine Brotzeit her. Das Klappern des Geschirrs ist unüberhörbar.

Währenddessen materialisiert sich Enola in Sams und Urs' Holovers. Ihr Ausdruck ist der personifizierte Vorwurf.

»Alkohol ist bei Herrn Bergers Verfassung wenig angebracht. Er braucht Vitamine, am besten eine nahrhafte Suppe und viel Schlaf. Und professionelle psychiatrische Betreuung. Es ist offensichtlich, dass er unter Depressionen leidet.«

»Genau«, schallt es von der Küche.

Urs hält in der Bewegung inne und mustert Sams KI von oben bis unten. Die beiden stehen sich gegenüber wie Stier und Torero bereit den anderen aufzuspießen.

»Sam, was soll der Scheiß? Pfeif deine KI zurück. Die hat ja keine Ahnung, was für Männer gut ist. Ich kenne Paul seit meiner Kindheit.«

Mit einem Grinsen im Gesicht gibt der Kalifornier seiner Assistentin ein Zeichen zu verschwinden. So leicht lässt die sich aber nicht wegschicken.

»Außerdem steht der Konsum von Alkohol unter staatlicher Kontrolle. Es ist verboten, berauschende Genussmittel privat weiterzugeben.«

»Jetzt ist aber genug Enola. Kümmere dich lieber darum, dass unsere private Party privat bleibt. Und danach vergisst du alles, was die ‚berauschenden Genussmittel' in unserer Wohnung betrifft. Das ist ein Befehl.« Während er spricht, malt Sam Gänsefüßchen in die Luft.

»Jawohl Meister«, gehorcht Enola mit einer Verbeugung und löst sich langsam in Luft auf. Zu langsam, findet Sam. Er runzelt die Stirn.

»In Deutschland gehört Bier zu den Grundnahrungsmitteln. Nicht zu den berauschenden Genussmitteln. Merk dir das.«, ruft Urs.

»Sam, hilfst du mir mal?«, schallt es aus der Küche.

»Deine KI nervt manchmal ganz schön«, raunt Urs, »ich hoffe, du hast alles Griff mit der. Nicht, dass die uns was anhängt.«

»Keine Sorge. Ich habe alles unter Kontrolle, sie meint es nur gut. Vielleicht muss ich mir das Med-Modul von ihr noch mal ansehen. Für die ärztliche Betreuung von Paul sollten wir allerdings sorgen.«

»Ach was«, winkt der Berliner ab. »Paul ist schon seit ewigen Zeiten mein Freund. Ich weiß genau, was der jetzt braucht, damit er wieder auf die Beine kommt.«

Kurz darauf führt Aya eine Prozession aus dem Essenzubereitungsraum an. Zu ihrem Küchenpersonal gehören Sam und der Roboter, welcher die schweren Platten balanciert. Unter ihrer Regie wird ein Zehnpersonenbuffet vor Paul aufgebaut. Der nimmt das stoisch hin. Alle warten darauf, dass er loslegt, aber sein Blick geht ins Leere. Schließlich greift sich Urs ein belegtes Brötchen und die Initiative.

»Hm, lecker. Lass dir Zeit und iss erst mal was. Du kannst uns nachher alles in Ruhe erzählen.«

Paul starrt Urs an, als sähe er zum ersten Mal jemanden essen. Zögernd folgt der Neurologe dem Beispiel seines Freundes. Sofort kommt er auf den Geschmack. Staunend beobachten seine Retter, wie er in kürzester Zeit die Stullen wegputzt.

»Es war die Hölle«, sprudelt es plötzlich aus ihm hervor. »Ich kann noch immer nicht glauben, dass es vorbei ist. Es ist doch vorbei, oder? Ihr könnt euch gar nicht vorstellen, wie es ist auf Schritt und Tritt überwacht zu werden. Und ständig diese Drohungen. Da wird man mit der Zeit verrückt.«

»Langsam«, beruhigt ihn Urs. »Am besten du erzählst uns alles der Reihe nach.«

Paul berichtet von dem Überfall in unmittelbarer Nähe des ‚Gardengnomes' und wie ihm seine Identität gestohlen wurde. Danach bedienten sich die Gangster nach Belieben von seinem Konto. Sie ließen ihm gerade genug zum Leben.

»Warum bist du nicht zur Polizei gegangen?«, will Aya wissen.

»Die drohten mir die alle möglichen Verbrechen anzuhängen. Bis hin zu Raubmord, Drogendeals und Kidnapping. Die hatten alles vorbereitet. Videos mit mir als Hauptperson, Fingerabdrücke und so weiter. Wenn ich zur Polizei gegangen wäre oder sonst auch nur einer Person etwas gesagt hätte, hätten die das abgeschickt. Mit diesen Straftaten wäre ich nie wieder aus dem Gefängnis gekommen.«

»Aber es muss doch Zeugen geben, die deine Unschuld bezeugen können«, wendet Aya ein.

Diesmal lässt sich Paul Zeit mit der Antwort. »Wie heißt du eigentlich?«, fragt er schließlich.

»Oh, entschuldige. Ich habe nicht daran gedacht, dass du im Moment kein ViDA trägst. Mein Name ist Aya. Ich bin Urs' Freundin.«

»Deine Brötchen schmecken super. Das Beste, was ich seit langem gegessen habe.«

»Danke«

Wieder eine Pause, während Paul sich in den Wurstsalat vertieft. Nachdem er den größten Teil verschlungen hat, schaut er sich um.

»Schön habt ihr es hier. Alles funktionell und praktisch. Das tut richtig gut. So wie es aussieht, verbringt ihr die meiste Zeit im Holovers.«

Schließlich richtet er seine Aufmerksamkeit wieder auf Aya.

»Die Zeugen, wenn es überhaupt welche gibt, werden auch erpresst. Die sagen genau das, was diese Verbrecher ihnen vorschreiben. Da hast du nicht die geringste Chance.«, erklärt er mit vollem Mund.

»Die haben mir ein paar Mal etwas angehängt. So kleinere Vergehen wie zu viel Alkohol oder Verkehrsverstöße. Einfach so. Nur damit ich nicht auf dumme Gedanken komme, haben sie gesagt.«

Paul lehnt sich zurück, setzt die Bierflasche an, trinkt sie in einem Zug leer und rülpst ungeniert.

Aya erstarrt, doch Urs bricht in Gelächter aus.

»Siehst du. Schon wieder ganz der Alte«, triumphiert er an Sam gewandt. »Richte deiner KI einen schönen Gruß aus.«

Während der Berliner für Nachschub sorgt, richtet sich das Erpressungsopfer auf. Urs' und Ayas Medizin zeigte in kürzester Zeit Wirkung. Der tief-depressive Ausdruck ist einer leichten Melancholie gewichen.

»Eine tolle Show habt ihr da abgeliefert, um den Avatar des Gauners dingfest zu machen. Der Typ nennt sich BlackAcid. Er ist der Chef der Truppe. Ich kann euch gar nicht sagen, wie dankbar ich bin, dass ihr mich von denen befreit habt. Ich stehe tief in eurer Schuld. Wenn ich mal was für euch tun kann, lasst es mich wissen.«

Sam greift sich ans Kinn.

»Da wäre schon etwas. Erinnerst du dich noch? Die Sache wegen der Urs und ich vor ein paar Wochen bei dir waren. Die Gehirn-Computer Schnittstelle.

»Puh«, strömt die Luft aus Paul. »Erinnere mich bloß nicht daran. Von der ganzen digitalisierten Reality habe ich die Schnauze voll. Ich weiß nicht, ob ich jemals wieder ein ViDA aufsetzen kann, ohne gleich einen Nervenzusammenbruch zu kriegen.

Außerdem – pass‘ bloß auf. Die Cyberpanthers haben das Potential deiner Erfindung erkannt. Sie wollten mich zwingen mit dir zusammenzuarbeiten, um sie dann zu klauen und für ihre Zwecke zu verwenden.«

»Das dachte ich mir schon, als du anriefst«, sinniert Sam. Das war auch einer der Gründe, warum ich die Bande unbedingt aus dem Verkehr ziehen wollte.«

Paul wirft ihm einen langen Blick zu.

»Ich sehe, du meinst es ernst mit deiner Idee. Und wenn sich jemand in dein Gehirn hackt und dich fernsteuert? Vermutlich würdest du das gar nicht merken.«

»Nicht mit meinem System. Das ist absolut sicher.«

»Das glaube ich nicht«, schüttelt der Neurologe den Kopf.

»Doch. Meine Interface Bio-Nanobots sind so konstruiert, dass sie nur mit dem Original Holoport ...«

»Nicht jetzt«, unterbricht ihn Paul. »Für solche Details bin ich zurzeit nicht aufnahmefähig.«

Sam lässt sich nicht so leicht entmutigen. Hartnäckig versucht er weiter, Paul umzustimmen, und bringt sein stärkstes Argument ins Spiel.

»Mit meiner Schnittstelle kann dir niemand mehr die Identität stehlen.«

»Hmmm«, brummt Paul. Mehrere Stücke Käse, Oliven und einer weiteren Flasche Bier später spricht er weiter. »Ohne einen genialen Biologen geht das nicht. Weißt du was? Komm wieder, wenn du ihn gefunden hast. Bis dahin kann ich es mir ja noch überlegen. Ich brauche jetzt erst einmal Ruhe.«

Aya beobachtet ihn mit großen Augen. Sie registriert bis ins kleinste Detail, was Paul zu sich nimmt.

»Und Schlaf«, ergänzt er, kippt noch eine Flasche hinunter und wankt zur Couch. Die Augen der Chinesin werden noch größer. »Was dagegen, wenn ich mich hier ein bisschen aufs Ohr lege?«

Ohne eine Antwort abzuwarten, lässt er sich fallen und dreht sich zur Seite. Sekunden später ist er eingeschlafen.

Evolution 5.0

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