Читать книгу Evolution 5.0 - Roy O'Finnigan - Страница 19
Оглавление1 Airbikerennen
»Ein Wald?«
Aya dreht sich einmal um ihre Achse. Ihr Blick wandert unruhig umher, um alles aufzunehmen. An einigen Stellen verweilt sie, über andere geht sie hinweg.
Es ist nicht der optimierte Fichtenwald zur Versorgung der Massen, den sie erwartete. Viel mehr ein germanischer Urwald. Ehrwürdige Eichen stehen Blatt an Blatt mit heiligen Buchen und Ulmen. Und wenn tief drinnen die Weltesche Yggdrasil ihre Äste in den Himmel strecken würde, hätte sie sich auch nicht gewundert. Ein Wald, würdig dem Germanendschungel, in dem einst Arminius die Römer in die Falle lockte und vernichtete. Aya zieht ihre Mundwinkel anerkennend nach unten.
»Also eins muss man dir lassen, Sam, du machst keine halben Sachen.«
»Danke für das Kompliment. Aber verwende bitte hier in dieser Welt mein Pseudonym Cyclone. Wir wollen doch Pauls Erpresser so wenig Informationen wie möglich geben, Autoxa.«
Autoxa nickt, immer noch beeindruckt, wie real sich alles anfühlt. Es riecht sogar nach Wald, die Mischung aus moderndem Holz, Moos und Pilzen. Aus den Tiefen des Gehölzes ruft ein Kuckuck.
»Aber ist der Aufwand nicht übertrieben? In einem einfachen Fichtenwald hätten wir uns doch auch vor Pauls digitalen Überwachern verstecken können.«
Cyclone zuckt mit den Schultern.
»Wichtig ist, dass Urs sich in der realen Welt unverfänglich mit Paul unterhält. Der Erpresser soll sich sicher fühlen, damit er möglichst tief in meinen Wald hineingeht, bevor wir zuschlagen. Vermutlich kommt er aber nicht selbst, sondern schickt ein autonomes Programm. Pauls Erpresser kann seine Opfer sicher nicht selbst rund um die Uhr überwachen.«
»Und du bist sicher, dass das Programm uns zu den Hintermännern führen wird?«
»Ich hoffe es. Auf jeden Fall müssen wir es sicherstellen, damit es nicht entkommt und die Drahtzieher warnt.«
In diesem Moment materialisiert Enola.
»Sie kommen«, warnt sie und deutet mit dem ausgestreckten Arm die Richtung an. Autoxa und Cyclone gehen hinter einem Brombeergebüsch in Deckung.
Aus der angezeigten Richtung nähern sich zwei Gestalten. Eine davon ist Paul. Seine Jeans und Hemd sehen tadellos aus. Zwei Schritte dahinter folgt sein digitaler Bewacher. Cyclone kann sich der Ironie des Avatars nicht entziehen. Er sieht keineswegs aus wie ein Ganove, sondern wie ein Börsen-Yuppie. Genau genommen sieht er aus wie Gordon Gecko in dem Film ‚Wall Street'. Edler Zwirn - kühn koloriert, hellblaues Designerhemd und Hosenträger. Selbstverständlich mit Pomade im Haar.
»Es muss schrecklich sein ständig auf Schritt und Tritt unter Beobachtung zu stehen«, raunt Autoxa.
Cyclone blinzelt. »Komisch, dass du das sagst. Wir werden doch alle ununterbrochen beobachtet.«
Autoxa beißt sich auf die Lippen. Ihr Blick gleitet an Cyclone herab. Sie steht auf Männer mit Muskeln und Sams Avatar stellt sie großzügig zur Schau. Nackter Oberkörper, enganliegende Wildlederhose und Stiefel mit Fransen.
»Wir alle tun etwas dagegen. Nur Paul muss dem hilflos zusehen.«
Aber egal was wir tun, es bleibt immer das ungute Gefühl, dass es nicht genug ist. Cyclone spricht den Gedanken nicht aus, da in diesem Moment Pauls Begleiter befiehlt, stehen zu bleiben.
»Halt. Das gefällt mir nicht.«
Paul zuckt gelangweilt mit den Schultern. »Mir egal. Wegen mir können wir wieder gehen. Meine Idee war es ja nicht, hierher zu kommen.«
Der Börsen-Yuppie wirft einen kritischen Blick auf den Dschungel.
»Gehört diese virtuelle Welt deinem Freund Urs oder diesem Sam?«
»Woher soll ich das wissen?«, patzt Paul.
Die Miene des Begleiters verfinstert sich.
»Nicht in diesem Ton. Du hast erst gestern einen Strafzettel wegen zu schnellen Fahrens kassiert. Noch einen und du musst zur medizinisch-psychologischen Untersuchung.«
Die Drohung zeigt Wirkung.
»Als ich Urs das letzte Mal sah, war seine digitale Welt nicht annähernd so ausgereift. Er verbringt aber praktisch jede freie Minute mit irgendwelchen virtuellen Spielen. Es kann also durchaus sein, dass das seine neue Spielwelt ist.«
»Von so einem Spiel habe ich noch nie gehört.«
Der Begleiter zögert. Er geht ein Stück den Wald entlang, ein paar Schritte hinein und kehrt dann wieder um. Immer wieder greift er nach Ästen oder streicht über das Laub. Paul wird ungeduldig.
»Also was ist jetzt? Willst du bei dem Gespräch mit Sam dabei sein oder nicht?«
»Natürlich werde ich dabei sein«, erklärt der Yuppie mit finsterem Blick. »Bilde dir bloß nicht ein, dass ich dich einen Moment aus den Augen lasse. Schon gar nicht bei einem so wichtigen Thema.«
Der Börsen-Yuppie gestikuliert eine Weile bis plötzlich zwei Airbikes sich neben ihm materialisieren. Sie sehen aus wie Motorräder. Es blitzt viel Chrom. Der Rest ist hochglanzlackiert. Eines feuerrot, das andere blau. Anstelle der Räder gibt es ein Triebwerk. Sie schweben in der Luft, als warteten sie darauf bestiegen zu werden.
Er schwingt sich auf das Rote und deutet Paul an, das Blaue zu besteigen. Die Triebwerke heulen auf und langsam schweben sie in den Wald. Erleichtert lässt Cyclone die Luft aus den Lungen. Erst jetzt fällt ihm auf, dass er die ganze Zeit über den Atem anhielt. Das wäre beinahe schiefgegangen. Vielleicht hatte er es mit dem Wald doch etwas übertrieben.
Andererseits rief das den Hacker hinter dem Avatar auf den Plan. Das ist mehr, als er zu hoffen wagte. Als Paul und sein Begleiter weit genug weg sind, zaubert Cyclone zwei weitere Airbikes aus dem Nichts.
Autoxa rümpft die Nase. »Typisch Mann. Du glaubst wirklich, dass ich das Pinke nehme?«
Ohne den Schöpfer der Flugmotorräder eines Blickes zu würdigen, geht sie an ihm vorbei und schwingt sich auf das Schwarze. Grinsend zuckt der Indianer mit den Schultern. Er deutet mit der Hand auf das rosafarbene Gefährt. Eine Geste später prangt eine wilde Drachendame auf dem Triebwerk.
In sicherem Abstand folgen sie Paul und dessen Bewacher in den Wald. Dann öffnet Cyclone ein Fenster in die reale Welt. Sie sehen, wie Urs Paul begrüßt und die zwei es sich mit einem Bier in ihrem Appartement gemütlich machen.
»Worauf wartest du denn?«, erkundigt sich Autoxa. »Lass die Falle zuschnappen.«
Cyclone legt den Finger auf den Mund. Mit der anderen Hand aktiviert er den Ton.
»... schade, ich wollte eigentlich etwas mit Sam besprechen. Wann kommt er denn zurück?«, möchte Paul wissen.
»Er müsste jeden Moment da sein.«, hält sich Urs an den Plan, ihn möglichst lange hinzuhalten. »Vielleicht kann ich dir ja weiterhelfen. Worum geht es denn?«
Paul zögert mit der Antwort. Der Hacker, den nur Paul in seiner Augmented Reality sehen kann, gestikuliert ungeduldig.
»Es geht um sein Angebot, an der Verbesserung der Brainware Schnittstelle mitzuarbeiten. Ich habe darüber nachgedacht. Viele sind daran gescheitert. Als Neurobiologe interessiert mich, ob ihm etwas Neues dazu eingefallen ist.«
Urs braucht seine Freude darüber nicht vorzutäuschen. Sie ist echt. Er beugt sich vor und klatscht ihm auf die Schulter, dass das Echo von den Wänden widerhallt.
»Mensch Paul. Das ist ja toll. Du wirst sehen, das wird dir guttun.«
Paul windet sich.
»Ich habe Gerüchte gehört, dass Sam bereits jetzt einige aufsehenerregende Verbesserungen in sein Virtual Reality Interface eingebaut hat. Weißt du, was genau er gemacht hat?«
»Tut mir leid. Das musst du ihn schon selber fragen.«
»Komm schon«, drängt Paul. »Du und Autoxa ihr benutzt das doch schon für eure Spiele mit World of Cyberdreams. Seitdem seid ihr unschlagbar, das ist nicht fair. Wenn ich bedenke, was die Spielegemeinschaft sagen würde, wenn ...«
»Das reicht«, verkündet Cyclone. »Mach dich bereit, Autoxa. Ich lasse die Falle jetzt zuschnappen. Niemand darf heraus oder hinein. Alles klar?«
Die Chinesin nickt. Der Navajo-Krieger breitet die Arme aus und schnippt mit den Fingern. Auf sein Kommando rücken die Bäume um den Börsen-Yuppie enger zusammen. Ranken weben ihn in ein Netz ein.
»Verdammt, eine Falle«, ruft der Hacker. Er betätigt einen Knopf an seinem Airbike. Zwei Raketen schießen los und sprengen ein Paar Bäume weg. Das Triebwerk heult auf und er jagt davon.
»Hinterher«, kommandiert Cyclone. Doch Autoxa ist bereits unterwegs. Er hat Mühe, den Anschluss zu halten. Es wurmt ihn, dass er schon wieder einer Frau hinterherjagen muss. Mit einem Knurren verjagt er den Gedanken an sein letztes Motorradrennen. Die Sicht beschränkt sich auf wenige Baumreihen. Das beansprucht seine ganze Aufmerksamkeit.
Cyclone erhöht das Tempo, obwohl er mit seiner Angst kämpft. Sein Verstand sagt, dass das nur eine Simulation ist und, dass nichts passieren kann. Sein Gefühl sagt ihm das genaue Gegenteil.
Obwohl er mit seinem verbesserten Interface schneller reagiert als jeder normale Mensch, hält der Hacker den Vorsprung. Er muss über einen Supercomputer mit gigantischer Rechenleistung verfügen.
Der Cyber-Krieger erhöht das Tempo. Kleinere Äste peitschen seinen Körper. Wie durch Zauberhand lässt Enola über seine Haut eine Motorradkombi wachsen, die zur Drachendame auf seinem Triebwerk passt. Der Ritt durch den Wald fordert seine ganze Konzentration.
Trotzdem riskiert er einen Blick hinüber zu Autoxa. Sie tauschte im Flug ihr Kleid gegen eine dunkelrote Motorradkombi und fliegt elegant durchs Dickicht. Wie schön wäre es jetzt, so mit Sophie durch den Wald zu jagen. Seine Träumerei wird jäh von einer Stimme unterbrochen.
»Vorsicht«, warnt ihn Enola gerade noch rechtzeitig. Direkt vor ihm zwingt ihn ein Baum zu einer scharfen Rechtskurve. In dem Moment schießt eine Rakete an ihm vorbei, kracht in den Baumstamm, explodiert und verwandelt das Gehölz in eine Wolke kleiner und kleinster Splitter.
»Enola, wer schießt da auf uns?«
Bevor seine digitale Assistentin antworten kann, explodiert etwas hinter ihm.
»Das war Pauls Avatar«, klärt sie ihn auf.
»Aha. Und wer hat ihn abgeschossen?«
»Arnold.«
Urs also. Wurde auch Zeit, dass er auftaucht. Cyclone fragt sich, wie es sich anfühlt, wenn man im Holoversum von einer Rakete in den Rücken getroffen wird. Noch dazu, wenn Gefühle so realistisch wiedergeben werden wie mit seinem Brain-Field-Modulator.
Plötzlich muss er grinsen. Ihm kommt eine Idee, wie sich das lästige Umkurven der Bäume sparen lässt. Er spricht ein paar Kommandos. Kurz darauf erscheint vor ihm eine rotierende Wolke, aus der sich eine Windhose zum Boden vorarbeitet. Dort hinterlässt sie Bäume Schleudernd eine Schneise der Verwüstung.
Cyclone dreht voll auf und rast hinter seinem Wirbelsturm her. Links und rechts von ihm verschwimmt der Wald zu einer grünen Wand. Auf einmal wird es heller. Vollgas jagt er auf eine ansteigende Grasebene hinaus.
Mit einem Blick erfasst Cyclone die Lage. Die Grasebene endet an einer Felswand. Gesteinsbrocken liegen herum als hätte sie ein Riese von oben herabgeworfen. Der Vorsprung des Hackers ist geschrumpft. Autoxa ist links von ihm fast auf gleicher Höhe.
Cyclone holt mit einem Trick noch mehr aus seinem Airbike heraus, um aufzuschließen.
Das tiefe Blubbern einer Harley Davidson, die von hinten kommend an ihm vorbeizieht, zeigt ihm, dass da noch mehr drin ist. Der Fahrer des Airbikes steckt in einer schwarzen Lederkombi und trägt ein Piratenkopftuch. Cyclone nimmt Arnolds breites Grinsen mit einem Nicken zur Kenntnis.
»Gleich haben wir ihn«, knurrt Cyclone. »Die Felswand ist eine Sackgasse und gegen unsere Fangnetze von drei Seiten hat er keine Chance. Enola, Autoxa und Arnold, macht die Fangnetze bereit. Wir feuern auf drei.«
Der Gordon Gekko des Cyberspace dreht sich um. In seinem Gesicht spiegelt sich eine Mischung aus Wut und Neugier.
»Wer bist du?«
»Ich bin deine Nemesis. Deine Cyberkarriere ist hiermit beendet«, donnert Cyclone zurück.
Ihr Zielobjekt denkt nicht daran aufzugeben. Sein Airbike macht einen Satz nach vorne. Geschickt nutzt er die Felsbrocken zur Deckung und kurvt zwischen ihnen hindurch.
Cyclone zieht sein Airbike höher, bis er über den Felsbrocken dahinschwebt. Autoxa und Arnold verhindern, dass der Hacker zur Seite entkommen kann. Meter für Meter holt der Windgott auf. Oberhalb des Cyber-Yuppies gibt er das Kommando an Enola das Fangnetz abzuschießen.
Die Entschlossenheit seines Gegners überrascht ihn. Anstatt zu bremsen, zieht dieser sein Gefährt ruckartig hoch, direkt in das Fangnetz. Der Zusammenstoß ist trotzdem unvermeidlich. Cyclones Airbike gerät außer Kontrolle. Er wird zusammen mit seinem Flugmotorrad gegen einen Felsen geschmettert. Den Feuerball, Knall und Splitterregen bekommt er nicht mehr mit.
Schreiend vor Schmerz wacht Sam in der Realität auf. Obwohl alles nur eine Simulation ist, dauert es mehrere Sekunden, bis die Schmerzen nachlassen. Neben ihm hängt Aya in ihrem MOTRAQ, die noch immer in der virtuellen Realität ist.
»Haben wir ihn erwischt?«, will er von Enola wissen.
»Ein voller Erfolg. Zusammen mit Ayas und Urs Fangnetzen konnten wir alle Programme des Hackers sicherstellen. Bis zum letzten Bit.«
Nebenbei zeigt sie ihm die Aufzeichnung über die Geschehnisse nach seinem unfreiwilligen Ausstieg aus der Cyberwelt. Zufrieden mit sich selbst beendet Sam die Sitzung im Holovers. Nur langsam gewöhnt sich sein Verstand an den nüchternen Greenroom. Neben ihm wacht Aya auf. So wie sie blinzelt, scheint es ihr ähnlich zu gehen.