Читать книгу Evolution 5.0 - Roy O'Finnigan - Страница 6
Оглавление1 Familienplanung
2038:
»Eine halbe Million Euro?«
Ivanna schlägt sich eine Hand vor den Mund. Der Schreck lässt sie schwindeln. Mit unsicheren Schritten stöckelt sie zur nächstbesten Sitzgelegenheit. Ohne sich dessen bewusst zu werden, streichen ihre Hände das Kleid glatt, bevor sie sich in die Ledercouch fallen lässt.
Soeben noch von einem Hochgefühl getragen, schleudert sie ihr Mann eine emotionale Klippe hinab. Wieso gerade jetzt? Marek sieht keinen Grund zur Aufregung. Aus der Küche kommend reicht er ihr ein Glas Wasser. Er ist die Ruhe selbst.
»Ich finde den Preis angemessen. Er ist der Beste. Also gerade gut genug für uns.«
Wie auf Autopilot greift Ivanna nach dem Glas und trinkt es in einem Zug aus. Über den Rand des Trinkgefäßes sieht sie zu ihrem Mann hoch. Noch nicht einmal das Sakko seines Anzuges hat er abgelegt. Den obersten Hemdknopf wie immer geöffnet. Lässig und verdammt gut aussehend steht er vor ihr. Nach ein paar tiefen Atemzügen fühlt sie sich besser.
»Gibt es keine andere Lösung?«
Sein freundliches Lächeln ändert nichts daran, dass seine Augen Nein sagen.
»Liebling, wir haben das doch schon tausendmal besprochen. Es gibt keine. Du hast A gesagt und jetzt musst du auch B sagen.«
Bei Marek hört sich alles immer so einfach an. Für Ivanna sind die Dinge viel komplizierter.
»Das ist alles, was wir haben. Ich habe nicht damit gerechnet, dass es so viel kostet«, erwidert sie. Wieder dieser Schwindel. Vielleicht doch zu viel Champagner? »Kann das denn nicht noch warten? Warum gerade jetzt?«
Ivanna schließt die Augen und nimmt ihr ViDA ab. Das Gerät zur visuellen Datenaugmentation besteht aus einem angedeuteten Brillengestell und dient zur Bereicherung des Blickfeldes mit digitalen Informationen und Objekten. Viele Menschen haben sich so daran gewöhnt, dass sie es am Kopf tragen, ob sie es brauchen oder nicht.
Als sie die Augen wieder öffnet, sind die teuren Kunstwerke und die üppigen Zimmerpflanzen verschwunden. Nüchterne Realität breitet sich aus. Das Wohnzimmer ihres Appartements in Neukölln ist spartanisch eingerichtet. Die Möbel sind ausgesuchte Designerstücke mit deutlichen Gebrauchsspuren, die in der digitalen Realität dagegen wie neu aussehen.
Marek setzt sich neben seine Frau und drückt sie an sich. Sie legt ihren Kopf auf seine Schulter.
»Weil jetzt der richtige Zeitpunkt gekommen ist, Ivanna. Wir wünschen uns schon so lange ein Kind. Unser Vortrag auf der Benefizgala war ein durchschlagender Erfolg. Du warst großartig. Allein wie du Doktor Neuburg den Kopf verdreht hast. Seinen Auftrag haben wir so gut wie sicher in der Tasche!«
Da ist sie wieder. Seine Stimme. So beruhigend. So vertrauenerweckend. Sie könnte ihm stundenlang zuhören, ohne ein Wort verstehen zu müssen. Einfach nur dem Klang lauschen. Trotzdem ist ihr nicht wohl bei der Sache. Es geht ihr zu schnell.
»Sei nicht so voreilig. Er ist unser erster Kunde und noch haben wir ihn nicht. Der Hacker kostet uns pro Jahr eine halbe Million Euro. Vielleicht sollten wir die Sache doch noch einmal überdenken. Zumindest abwarten, bis wir finanziell besser abgesichert sind.«
Braune Augen bohren sich in ihr Gesicht, in dem für einen kurzen Moment Ungeduld aufblitzt.
»Wir müssen das jetzt entscheiden. Spätestens morgen früh muss ich dem Hacker Bescheid geben. Sonst nimmt er einen anderen Auftrag an. So eine Chance bekommen wir nie wieder.«
»Muss es unbedingt der sein?«
»Es gibt nicht viele mit dessen Fähigkeiten. Für das, was wir brauchen, kann man nicht einfach irgendeinen nehmen.« Mareks Ausdruck versteift sich.
»Wir sind uns doch einig, dass unser Kind keine genetische Laune von Mutter Natur sein soll, oder?«
Er macht eine kurze Pause. Dass Ivanna nicht widerspricht, fasst er als Zustimmung auf.
»Fast vier Jahre haben wir an dem Genom gearbeitet. Es ist perfekt. Sie wird genau so, wie wir sie uns vorgestellt haben.«
»Ja sicher, das wird sie«, stimmt Ivanna zu. Sie nickt und vertieft ihren Blick in das leere Glas in ihren Händen. Dann sieht sie ihn an. In ihren Augen schimmert Unsicherheit.
»Designerkinder sind verboten.«
»Genau!« Marek hat bei der Sache weder ein schlechtes Gewissen noch Skrupel. »Deshalb brauchen wir den Hacker. Er wird alle Daten so manipulieren, dass ihr künstliches Genom bei keiner Kontrolle auffällt.«
»Und wenn es doch herauskommt? Alles ist irgendwo gespeichert. Es gibt unendlich viele Kopien. Programme analysieren ständig sämtliche Daten. Kein Mensch kann sagen, nach welchen Algorithmen sie das tun und welche in zehn, zwanzig oder dreißig Jahren verwendet werden.«
»Deshalb brauchen wir auch den Besten.«
Mareks Zuversicht ist unerschütterlich. Draußen zieht ein Sturm auf. Die ersten Regentropfen klatschen ans Fenster. Sie hinterlassen große Spritzkreise auf den staubigen Scheiben.
Marek überprüft beiläufig die Wetterdaten in seiner Augmented Reality. Die Vorhersage über den lokalen Verlauf des Unwetters zeigt Böen bis zweiundsechzig Kilometer pro Stunde und Vierundzwanzig Liter Regen pro Quadratmeter an. Kein Grund zur Sorge, stellt er beruhigt fest.
»Glaub mir, kein Programm und kein Mensch wird je dahinterkommen.«
Ivanna nimmt ihm die Brille ab. Sie will, dass er sich mit der Realität auseinandersetzt. Bevor sie sich entscheiden, soll er die Dinge so sehen, wie sie wirklich sind. Ohne computergenerierte Manipulationen.
Ihr Mann blinzelt kurz, lässt sich aber nicht beirren. Seine Augen sind nach wie vor auf sie fixiert. Das ist unfair. Die platinblonde Genetikerin kann nicht anders, als sich darin zu verlieren. Sie unterdrückt den Impuls, mit den Händen durch seine braunen Locken zu streichen. Er bemerkt ihr Zögern.
»Vier Jahre harte Arbeit. Wir beide sind die Besten auf diesem Gebiet. Jetzt haben wir die Möglichkeit, es zu beweisen. Eine größere Herausforderung und Erfüllung für eine Wissenschaftlerin gibt es nicht. Du weißt, dass ich Recht habe. Und ich weiß, dass du es willst.«
Das markante Kinn als Zeichen seiner Willensstärke und das Gesicht mit den braunen Augen, das so viel Charisma ausstrahlt. Darin findet sie Ruhe und die Gewissheit, dass alles, was er entscheidet, richtig ist. Trotzdem ist sie noch nicht zufrieden.
»Da ist noch etwas, was mich beunruhigt.«
Der Genetiker hebt erstaunt die Augenbrauen.
»Der IQ von Zweihundertvierzig ist vielleicht doch etwas übertrieben. Ich fürchte, dass sie es damit schwer haben wird, einen Freund finden. Wir leben zwar in der Mitte des einundzwanzigsten Jahrhunderts, aber manche Dinge ändern sich wohl nie.«
Marek zögert. »Sie soll als Künstlerin Karriere machen. Da ist ein fester Freund sowieso nur hinderlich«, meint er sachlich.
Ivanna antwortet mit einem Blick, der sich wie Dolche in seinen Kopf bohrt. Draußen treiben Windböen den Regen ans Fenster. Ein Feuer prasselt im Kamin vor sich hin. Im Hintergrund sorgt Klaviermusik für eine entspannte Stimmung. Eine zeit- und namenlose Komposition für abendfüllende Gespräche.
»Also gut«, lenkt er ein. »Wenn es Dir so wichtig ist, reduzieren wir den IQ eben auf einhundertachtzig. Das macht das Genom etwas stabiler und kann nie schaden.«
»Einhundertachtzig Punkte sind vielleicht immer noch ...«, überlegt Ivanna laut.
»Also weniger geht fast nicht«, unterbricht sie Marek. »Das wird sonst unglaubwürdig bei diesen Eltern.« Stolz reckt er dabei seine Brust heraus. »Außerdem, du willst doch nicht, dass unsere wunderhübsche Tochter ein doofes Blondchen wird.«
Ivanna rutscht auf ihrem Sitz hin und her und zupft an ihrem Kleid herum. Wie leichtfertig ihr Mann mit den Eigenschaften ihres Kindes umgeht. Ist es richtig, was wir tun?, fragt sie sich. Wir entscheiden über schicksalsbestimmende Attribute eines Menschen. Wie bei einer Ware aus dem Katalog.
Sie ist von ihren Gefühlen zerrissen. Einerseits der Konflikt mit Moral und Gesetz. Auf der anderen Seite der Stolz, als Wissenschaftlerin mit ihrem Mann ein perfektes Genom erschaffen zu haben. Sie ist eine Frau, die endlich Mutter werden möchte. Erst vor ein paar Wochen bekamen sie die Genehmigung. Bei elf Milliarden Menschen keine Selbstverständlichkeit. Schließlich siegt ihre Sehnsucht nach einem Kind.