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1 Sturm im Cyberspace

»Hey, nicht so schnell«, beschwert sich Urs, der sich wie Aya müht, Sam zu folgen.

Sam lacht, dreht sich im Laufen um und ruft den beiden zu: »Das ist alles nur virtuell, befreit euren Geist, dann seid ihr genauso schnell wie ich.«

Er rennt so zielstrebig auf die Burgmauer zu, dass Urs befürchtet, Sam wird in sie hineinrennen und sich eine blutige Nase holen. Doch es kommt anders. Fasziniert beobachtet er, wie sein Zimmergenosse kurz vor dem erwarteten Aufprall springt und dann die Wand entlang nach oben weiterläuft. Einfach so, als ob die Gesetze der Physik für ihn nicht gälten.

Schließlich erreicht er selbst die Mauer, springt und landet hart auf seinem Hintern.

»Verdammter Mist. Das tut richtig weh!«, beschwert er sich. Das Gesicht schmerzverzerrt.

Aya versucht es gar nicht, sondern bleibt neben ihrem Freund stehen. Sie reicht ihm die Hand. Urs greift danach und zieht, die zierliche Aya fällt auf seinem Bauch. Stirnrunzelnd nimmt sie die Tatsache zur Kenntnis. Sie greift in seine dunkelbraunen Haare und ballt die Hände zu Fäusten.

»Au«, protestiert der Berliner, »das tut weh.«

»Im Ernst?«, lacht die Chinesin. »Stell dich nicht so an.«

Sam ist inzwischen auf dem höchsten Turm angelangt. Unter sich hört er Urs fluchen. Nicht die geringste Anstrengung ist ihm anzusehen. Er ist bestens gelaunt.

»Wird Zeit, dass du dich an die Möglichkeiten der virtuellen Realität gewöhnst. Solange du die gewohnten Regeln aus der realen Welt mitbringst, wirst du immer wieder auf die Nase fallen.«

Aya dreht sich auf den Rücken und schaut zu Sam hoch. Noch immer liegt sie auf ihrem Freund. Sie spürt dessen Muskeln durch seine Lederkluft und ihren Kampfanzug hindurch, während sie Sams Avatar betrachtet. In dieser Welt nennt er sich Cyclone.

Durchtrainiert und mit nacktem Oberkörper thront er auf der Spitze des Turms. Seine Haare hält ein Lederband im Zaum, seine Beine stecken in einer Lederhose mit Fransen. Als Schuhwerk benutzt er weiche Stiefel.

Als er die Arme ausbreitet, strömt etwas Magisches in die Welt. Man spürt seine Macht, dunkle Wolken ziehen auf und verdichten sich zu einem Wirbelsturm. Die Windhose berührt den Boden, der Trichter kommt auf sie zu. Der Wind zerrt an ihren Haaren. Die Luftmassen verhaken sich in Urs' Lederkluft.

Vorsichtshalber legt sie die Arme ihres Freundes um sich, damit er sie festhält. Wie real sich der Sturm anfühlt! Sie spürt den Regen auf der Haut. Es wird kalt.

So gelungen die Simulation ist, Aya findet, dass es jetzt reicht. Sam hat seinem Hackerpseudonym ausreichend Ehre gemacht. Sie schreit, so laut sie kann, aber bei dem Getöse ist sie sich nicht sicher, ob er sie hört.

»Hör jetzt auf, Cyclone. Wir glauben es Dir ja.«

Zur Antwort schickt der Gott Äolos einen Blitz nach unten, der in einen Baum neben Aya fährt. Es kracht und donnert. Sie schreit vor Schreck. Auch Urs zuckt zusammen.

»Hey, brich mir nicht die Rippen«, ermahnt sie ihn.

Es riecht nach Ozon, Rauch und verbranntem Holz.

»Jetzt habe ich aber genug«, schreit sie.

In ihrer Wut vergisst sie, darüber nachzudenken, was geht oder nicht. Wie aus ihren Rollenspielen in WoC gewohnt, formt sie mit den Händen eine Feuerkugel, die sie Cyclone entgegenschleudert.

Der ist davon so überrascht, dass er nicht versucht, sie abzuwehren. Die Feuerkugel trifft ihn mitten in der Brust. Vor Schreck taumelt er über die Brüstung und stürzt schreiend vom Turm. Doch er fängt er sich und landet elegant am Boden.

Seine Brust sieht übel verbrannt aus. Es riecht nach verkohltem Fleisch. Schlagartig ist der Sturm vorbei und es scheint wieder die Sonne.

»Das geschieht dir recht«, schreit Aya. »Ich hoffe, es tut ordentlich weh.«

Cyclone schaut herab auf seinen Avatar. Seine Wunde beginnt zu heilen. Innerhalb weniger Sekunden ist der Brandfleck verschwunden.

»Autoxa, ist dir klar, was gerade passiert ist?«

Aya ist immer noch so wütend, dass ihr gar nicht auffällt, dass er ihr Pseudonym aus WoC benutzt.

»Du hättest mich mit deinem Blitz beinahe gegrillt und hätte ich mir beim Sturz vom Turm das Genick brechen können.«

Der Windgott legt den Kopf schief und sieht sie noch eine Weile an, um ihr Zeit zu geben, das Ganze zu verarbeiten. Dann dämmerte es der Chinesin.

»Oooohhh, das war ja viel realer als alles, was ich bisher in der virtuellen Welt erlebt habe. Ich vergaß tatsächlich, dass alles nur eine Simulation ist.«

»Genau. Es hat sich gelohnt, unsere Avatare so aufwendig zu entwickeln. Verstehst du jetzt, warum wir Personenrepräsentatoren brauchen, die alle Funktionen des menschlichen Körpers nachbilden, von einem vollständigen Skelett mit Muskeln über Nerven und Organe bis zu einem Kreislauf mit Herz und Blutgefäßen?

Unsere Avatare sind Lichtjahre weiter, als die animierten dreidimensionalen Körper, die wir bisher als Präsenzsymbole im Holovers eingesetzt haben. Deshalb ist es dir möglich, wie in der realen Welt zu empfinden und deinen Avatar genauso zu steuern.«

In diesem Moment trübt ein Schatten Sams Freude. Er denkt wieder an Sophie. Schlagartig ist er zu Hause in Napa Valley im Krankenzimmer, als er sie zum letzten Mal sah. Er fragt sich, wie es gelaufen wäre, wenn er damals so eine Simulation gehabt hätte. Vielleicht wäre es dann nie zu dem Unfall gekommen.

Aufgrund Ayas Reaktion glaubt er, nun einen Entwicklungsstand erreicht zu haben, dass es reicht Sophie davon zu überzeugen sich ihre Adrenalinkicks in der virtuellen Welt zu holen. Er spürt, wie ein Lichtstrahl sein Herz erreicht und die Schatten vertreibt. Die Welt erscheint auf einmal heller und farbiger.

»Ja schon«, brummt Urs und reißt ihn aus seinem Tagtraum. »Trotzdem ist der Aufwand immer noch zu groß. Wir haben ja erlebt, dass deine Idee schon ganz gut funktioniert, mit elektromagnetischen Mikrofeldern das Gehirn zu stimulieren. Aber ...«

Der Bodybuilder schnippt mit den Fingern. Wie von Geisterhand verschwindet die virtuelle Welt und die drei finden sich in der physikalischen Realität wieder. Der Raum hat die Größe einer Turnhalle. Es gibt keine Fenster und die Wände sind in künstlichem Grün gestrichen. Der einzige Anhaltspunkt für die Augen sind ihre farbigen Anzüge.

So schnell Sams gute Stimmung aufpoppte, ist sie wieder weg. Getötet von Urs mit wenigen Worten. Am liebsten hätte ihm Sam eine geballert. Doch der Berliner fährt ruhig fort.

»Schau uns doch an. Wir hängen in unseren Spezialanzügen wie Marionetten von der Decke. Nur damit wir uns in der virtuellen Welt frei bewegen können, ohne uns in der realen blaue Flecken zu holen. Oder gar die Knochen zu brechen.«

»Sei nicht so streng mit Sam«, ermahnt Aya ihren Freund. »Immerhin bereitete uns seine Gehirn - Computer Schnittstelle das intensivste Spielgefühl, das wir jemals hatten.«

Sam betrachtet die zierliche Chinesin. Ihr enganliegender Anzug lässt keinen Spielraum für Interpretationen. Seiner aber auch nicht. Anders lässt sich die Druckstimulation der Haut nicht bewerkstelligen. Sich da reinzuzwängen ist jedes Mal ein Kraftakt.

Dazu kommt noch die Seilaufhängung. Diesen Aufwand tut man sich nicht einfach nebenbei an. Es ist nicht massentauglich, aber ernsthafte Cybernauten nehmen das gerne auf sich, wenn dafür das besonders tiefe Eintauchen in eine virtuelle Welt als Belohnung winkt.

Man nennt das ›Holovers‹. Künstliche Welten, deren Potenz lediglich den Einschränkungen der menschlichen Fantasie oder der Kreativkraft von Computeralgorithmen unterliegt. Je nachdem wer oder was sie schuf.

Aya wirft ihm ein aufmunterndes Lächeln zu. Das muntert den Erfinder nicht auf. Aber es festigt es seinen Entschluss. Die MOTRAQ Apparaturen zum Übertragen von Bewegungen sind einfach zu aufwändig. Dieses Problem muss er ein für alle Mal beheben. Es gibt nur eine Lösung für die vollkommene Verschmelzung der realen und der virtuellen Welt über das menschliche Gehirn.

Und er, Sam wird sie bauen. Koste es, was es wolle. Für die Chance, wieder mit Sophie zusammen sein zu können, ist er bereit, alles zu geben.

Evolution 5.0

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