Читать книгу Seewölfe Paket 17 - Roy Palmer, Burt Frederick - Страница 28
2.
ОглавлениеDer Schuß hatte auf die Männer an Bord der »Isabella« und der »Wappen von Kolberg« wie ein Schock gewirkt – wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Eben noch hatte der Jubel um Garys Rückkehr die Szene bestimmt, jetzt aber breitete sich tiefste Betroffenheit aus, die in Empörung umschlug.
Hasard stürzte aus der Krankenkammer, in die er den ohnmächtigen Gary getragen hatte. Mit einem einzigen Blick erfaßte er die Situation, sah Gisela von Lankwitz vor der Stelling liegen und begriff, was passiert war.
Arne von Manteuffel hatte sich tief über seine Verlobte gebeugt und schützte sie jetzt mit seinem Leib. Doch es fiel kein Schuß mehr, wie er es in seinem Unterbewußtsein erwartet hatte. Er war wie von Sinnen und registrierte nur oberflächlich die dumpfen Hufschläge, die sich entfernten.
»Los!« schrie Dan O'Flynn. »Ich habe die Kerle gesehen!«
Piet Straaten schloß sich ihm an, und gemeinsam stürmten sie über die Stelling der »Isabella« von Bord. Ohne zu Zögern, liefen sie zu Garys Pferden, schwangen sich in die Sättel zweier Tiere und trieben sie an. Aus dem Stand sprangen die Pferde in den Galopp und jagten mit ihren Reitern davon.
Dan, der von allen Männern der »Isabella« die besten Augen hatte, glaubte, die Konturen von zwei Reitern in der Dunkelheit untertauchen zu sehen. Er preschte auf die Hafenmeisterei zu und an ihr vorbei, Piet hielt sich dicht hinter ihm. Im Nu waren auch sie verschwunden.
Arne von Manteuffel drehte Gisela von Lankwitz vorsichtig zu sich herum.
»Gisela«, flüsterte er zu Tode erschrocken.
Sie schaute zu ihm auf und lächelte. Ihre Lippen versuchten noch, Worte zu formen, doch es gelang ihr nicht mehr. Ihre Augen brachen, schlaff sank ihr schlanker Körper in sich zusammen.
»Gisela«, sagte Arne noch einmal. Er begriff nicht mehr, was um ihn herum vorging. Er verstand überhaupt nichts mehr und fuhr fort, auf sie einzureden. »Liebste«, flüsterte er. »Hab keine Angst, ich bin ja bei dir. Hast du Schmerzen? Nein, sag jetzt nichts. Es wird alles wieder gut, glaube es mir. Hörst du mich nicht? Allmächtiger Gott im Himmel, steh mir bei. Gisela – so antworte doch!«
Hasard tauchte neben ihm auf, und jetzt war auch der Kutscher zur Stelle. Beide waren kreideweiß im Gesicht. Der Kutscher kniete bei Arne und der Freiin nieder, und er sah sofort, daß sie tot war. Sein Blick hob sich und richtete sich in unsagbarer Erschütterung auf das Gesicht seines Kapitäns.
Auch Hasard wußte, daß es keine Hoffnung mehr gab. Der Schuß in den Rücken der Freiin hatte ihr Herz tödlich getroffen. Er spürte ein würgendes Gefühl in der Kehle, das ihm den Atem raubte. Langsam ballten sich seine Hände zu Fäusten, weiß traten die Knöchel hervor.
Der Kutscher schüttelte den Kopf, dann drückte er Gisela von Lankwitz behutsam und sanft die Augen zu. Schweigen hatte sich ausgebreitet. Keiner der Männer an Bord der Schiffe vermochte auch nur ein Wort zu sagen.
Erst jetzt begriff Arne. Er stöhnte auf und fuhr sich mit beiden Händen durch das Gesicht. Er ließ die Hände wieder sinken und blickte ins Leere, seine Züge verhärteten sich, als wären sie aus Stein gemeißelt. So verstrichen Augenblicke.
Dann aber schien Arne von Manteuffel den Verstand zu verlieren. Er sprang unvermittelt auf und wollte zu einem der beiden Pferde stürzen, die auf der Pier zurückgeblieben waren.
Hasard war jedoch mit einem Satz neben ihm und stoppte ihn, indem er ihn an der rechten Schulter festhielt.
»Arne!« sagte er laut. »Bleib hier. Es hat keinen Zweck. Du kannst nichts tun. Dan und Piet haben bereits die Verfolgung der Kerle aufgenommen.«
Doch Arne verstand nicht, was er sagte, er konnte es nicht, denn Hasard war der deutschen Sprache nicht mächtig. Arne wollte aber auch kein Wort verstehen. Er gebärdete sich wie rasend. Plötzlich fuhr er zu seinem Vetter herum und versetzte ihm einen Stoß.
Hasard war darauf nicht vorbereitet. Er geriet ins Taumeln und strauchelte. Fast stürzte er zu Boden, erlangte das Gleichgewicht im letzten Augenblick aber doch wieder und lief Arne nach.
Dieser hatte das Pferd inzwischen erreicht. Doch als er seinen Fuß in den linken Steigbügel setzte, war der Seewolf wieder bei ihm und brachte ihn durch einen Jagdhieb zu Fall. Arne brach bewußtlos zusammen und blieb zu seinen Füßen liegen.
Ben Brighton hatte die »Isabella« ebenfalls verlassen und eilte zu seinem Kapitän. Sie blieben in der Dunkelheit nebeneinander stehen und blickten auf den reglosen Mann hinunter.
»Glaub nicht, daß ich es gern getan habe«, sagte Hasard verbissen.
»Ich weiß, daß du gezwungen warst, ihn niederzuschlagen«, sagte Ben. Er hatte selbst die größte Mühe, sich unter Kontrolle zu halten. Der jähe, völlig unerwartete Tod von Gisela von Lankwitz hatte ihn wie alle anderen zutiefst getroffen.
»Arne hat einen Schock erlitten«, sagte Hasard. »Ich will nicht, daß er in diesem verzweifelten Zustand losreitet und womöglich Amok läuft.«
Sie bückten sich nach Arne von Manteuffel, hoben ihn von der Pier auf und trugen ihn hinüber auf die »Wappen von Kolberg«. Hier wurden sie von einem erschütterten Renke Eggens und einem nicht minder betroffenen Hein Ropers erwartet, dem Ersten Offizier und dem Bootsmann Arnes. Sie waren beide nicht dazu in der Lage, auch nur ein einziges Wort zu sprechen.
Schweigend nahmen sie ihren Kapitän in Empfang und brachten ihn in den Achterdecksraum, der von ihm als Kapitänskammer übernommen worden war, nachdem sie das Flaggschiff Witold Woydas aus Reval entführt hatten.
Hasard und Ben folgten ihnen, hohl klangen die Schritte der Männer im Mittelgang des Achterkastells. Renke öffnete mit dem Ellenbogen die Tür zur Kammer, und sie betraten gemeinsam den Raum, der durch ein paar Streifen blassen Mondlichts erhellt wurde, die durch die Bleiglasfenster der achteren Wand fielen. Renke und Hein betteten Arnes immer noch bewegungslose Gestalt auf die Koje, dann zogen sie sich langsam zurück und drehten sich zu Hasard und Ben um.
Immer noch schweigend kehrten sie auf das Hauptdeck der Galeone zurück. Hier war inzwischen Nils Larsen eingetroffen. Er räusperte sich und stotterte fast, als er sprach.
»Ich – ich dachte mir – ihr könntet mich vielleicht als Dolmetscher gebrauchen«, sagte er.
»Ja«, sagte der Seewolf. »Ich will, daß du Renke und Hein erklärst, warum ich Arne niedergeschlagen habe.«
Nils wollte es Eggens und Ropers auseinandersetzen, doch der Erste winkte nur traurig ab.
»Wir haben alles genau gesehen«, sagte er. »Wir selbst hätten nicht anders gehandelt. In dem Zustand, in dem sich Arne jetzt befindet, schadet er nur sich selbst.«
»Paßt gut auf ihn auf«, sagte Hasard.
»Das werden wir tun«, versprach Hein Ropers. »Wir lassen ihn nicht aus den Augen.«
Auf einen Wink von Renke Eggens hin wurde die tote Gisela von Lankwitz von der Pier geholt. Vier Männer trugen sie über die Stelling an Bord der »Wappen von Kolberg« und ließen sie so behutsam auf der Kuhl nieder, als bestünde noch die Gefahr, sie könnte Schmerzen erleiden.
Wachen zogen auf. Es war eine beinah gespenstische Szene, erfüllt von tiefer Trauer und betretenem Schweigen. Alle Männer an Bord der beiden Schiffe stellten sich insgeheim die Frage, ob sie diese Tragödie nicht hätten verhindern können.
Jeder quälte sich mit Selbstvorwürfen, es gab keinen, der nicht bereit gewesen wäre, sein Leben für das von Gisela von Lankwitz zu opfern. Denn sowohl die Seewölfe als auch die Männer Arne von Manteuffels hatten sie in ihr Herz geschlossen. Sie hatte ihnen bewiesen, daß sie nicht nur schön, sondern auch liebenswert gewesen war, klug und bezaubernd zugleich. Jeder Mann wünschte sich solch eine Frau, doch für die meisten blieb sie ein Wunschtraum.
Doch jetzt war sie tot, die gemeine Tat hatte ihr Leben für immer ausgelöscht. Noch wollten viele, Männer die schreckliche Wahrheit nicht akzeptieren, noch war die Härte des Schlages so groß, daß sie wie gelähmt waren. Doch allmählich würden sie die bittere Realität annehmen müssen. Für keinen von ihnen würde es leicht sein, sie zu verarbeiten.
Selbst Carberry, Ferris Tucker, Shane und Old O'Flynn, die mit zu den härtesten Kerlen an Bord der »Isabella« zählten, konnten sich nicht mit dem grausamen Ende der Freiin abfinden. Sie hatten sich auf die vordere Gräting des Quarterdecks sinken lassen, gleich vor dem achteren Gangspill. Old O'Flynn zog eine so grämliche Miene, als wolle er jeden Moment losheulen – und er war auch tatsächlich kurz davor.
»O Himmel«, sagte er heiser. »Warum mußte das passieren? Sagt mir, daß es nicht wahr ist.«
Carberry blickte nur starr vor sich hin und murmelte etwas Unverständliches. Wie sehr hatte er Gisela von Lankwitz verehrt! Durch die Hölle wäre er für sie gegangen – und jetzt das! Er konnte es nicht fassen.
Ferris hatte den Kopf in die Hände gestützt und hüllte sich in dumpfes Schweigen. Big Old Shane schlug sich immer wieder in ohnmächtiger Wut mit den Fäusten auf die Knie, daß es ihm weh tat.
»Warum stellen wir kein Aufgebot zusammen?« stieß er hervor. »Warum nicht? Warum hetzen wir diese dreckigen Hunde nicht mit dreißig Mann? Ich will ihnen die Knochen brechen. Ich will sie töten!«
»Dan und Piet werden sie fassen«, sagte Roger Brighton, der sich eben zu ihnen gesellte, leise. »Wir können uns fest auf sie verlassen, es gibt keine besseren Männer für die Verfolgung der Mörder. Sie bringen sie hierher zurück – und dann ziehen wir die Hundesöhne langsam an der Großrah hoch.«
»Ja«, sagte Old O'Flynn. »Aber was nutzt das noch? Davon wird die Freiin auch nicht wieder lebendig.«
So dachten auch die anderen Männer an Bord der »Isabella«, von Smoky, dem Decksältesten, bis hin zu Hasard junior und Philip junior, den Zwillingen, die sich in die Kombüse gehockt hatten und ihre Tränen nicht mehr zurückhielten.
Auch die Männer der »Wappen von Kolberg«, die abwechselnd bei Gisela von Lankwitz Totenwache hielten, wußten, daß die Bestrafung der Meuchelmörder nicht das wiederherstellen konnte, was gewesen war: das Glück von Arne und Gisela, die Pläne für die Zukunft, die sie gemeinsam geschmiedet hatten, die Heiterkeit und die Zufriedenheit, die allein ihre Anwesenheit überall verbreitet hatte. Damit war es aus. Das schwarze Antlitz des Todes hatte jede Hoffnung aus ihren Herzen verbannt.
Hasard und Renke Eggens berieten miteinander, Nils Larsen blieb als Übersetzer bei ihnen. Sie mußten rasch beschließen, was zu tun war, sie konnten nicht einfach nur dastehen und sich in ihre finsteren Rachegedanken verstricken.
»Wir müssen einen Boten zu den Eltern der Freiin schicken«, sagte Hasard. »Es ist unsere Pflicht, sie sofort von dem zu unterrichten, was passiert ist. Ich glaube, es ist das beste, wenn ich diese Aufgabe übernehme.«
Renke hob abwehrend die Hand. »Nein, nein. Ich kenne die Lankwitzens persönlich, und als Erster Offizier Arnes fällt es selbstverständlich mir zu, sie aufzusuchen. Es ist ein trauriger Botengang, aber je eher ich aufbreche, desto besser ist es.«
»Sicherlich werden die Eltern wünschen, daß ihre Tochter in dem Familiengrab beigesetzt wird«, sagte der Seewolf. Wieder war dieses Würgen in seiner Kehle, er konnte kaum noch sprechen. Er hustete und wandte sich dann noch einmal an Renke Eggens, bevor dieser die »Wappen von Kolberg« verließ.
»Während deiner Abwesenheit fange ich mit den Ermittlungen an, Renke«, sagte er. »Wir müssen wissen, wer die Attentäter waren. Und ich kriege es heraus, noch ehe Dan und Piet mit ihnen zurückkehren.«
Renke verließ das Schiff. Er mußte sich einen Weg durch die Menschenmenge bahnen, die sich inzwischen stumm auf der Pier eingefunden hatte. Hasard blickte ihm nach und überlegte sich, ob er die Leute fortschicken sollte. Doch er konnte es nicht tun. Sie schienen nicht nur neugierig zu sein. Echte Trauer zeichnete sich auch auf ihren Mienen ab, die meisten von ihnen hatten die Freiin von Lankwitz sicherlich gekannt.
Hasard ging zu Ben, der an der Stelling der »Wappen von Kolberg« auf ihn wartete.
»Wer war der hinterhältige Schütze?« fragte er ihn. »Hast du eine Ahnung, Ben?«
»Nicht die geringste. Ich überlege schon dauernd, aber es will mir nicht einfallen, wer es gewesen sein könnte. Hatte die Freiin in Rügenwalde Feinde? Ich glaube es nicht.«
»Ben«, sagte der Seewolf. »Ich denke an etwas ganz anderes. Wer immer den Schuß abfeuerte, wollte uns strafen. Er ist unser Gegner, nicht der der Freiin. Vielleicht gehört er zu Witold Woydas Leuten.«
»Ein Pole, hier? Nein, unmöglich.«
»Nichts ist unmöglich«, sagte der Seewolf, dann sprach er mit Arnes Leuten. Anschließend ging er auf die »Isabella« hinüber und unterhielt sich eingehend mit seiner Crew. Doch keiner wußte, wer der Meuchelmörder sein konnte. Bei dem Jubel über das unerwartete Auftauchen von Gary Andrews, den die meisten von ihnen bereits aufgegeben hatten, hatte keiner darauf geachtet, was an Land vor sich ging.
Offenbar waren Dan und Piet, die dem flüchtenden Mörder jetzt auf den Fersen saßen, die einzigen, die etwas beobachtet hatten. Mit finsteren und verschlossenen Mienen warteten die Männer auf ihre Rückkehr. Es herrschten Ratlosigkeit, Empörung und Erschütterung, keiner wußte so recht, was er tun sollte.
Dann aber erschien ein Mann auf der Pier, der sich dem Seewolf als der Hafenmeister von Rügenwaldermünde vorstellte. Er war aufgeregt, ja, so durcheinander, daß er kaum zusammenhängend sprechen konnte.
»Sie sind doch der Kapitän, nicht wahr?« stieß er hervor. »Also, passen Sie auf. Es ist ungeheuerlich, was vorgefallen ist. Ich kann es noch gar nicht fassen. Mein Gott, das arme Fräulein von Lankwitz – sie war immer so gut, so freundlich zu allen.«
»Bitte«, sagte Hasard. »Haben Sie etwas Verdächtiges bemerkt? Etwas, das uns bei der Suche nach den Tätern weiterhilft?«
»Allerdings. Es haben sich zwei Fremde in Rügenwaldermünde aufgehalten. Schon den ganzen Nachmittag über. Zwei Herren.«
»Herren?« wiederholte Hasard verdutzt.
»Ihrer Kleidung nach waren sie es. Ich habe sie nicht nach ihren Namen gefragt. Das ist ja auch nicht meine Aufgabe. Sie sind mit Pferden erschienen, nicht mit einem Schiff. Offenbar haben sie auf etwas gewartet.«
»Auf etwas?« wiederholte der Seewolf. »Auf ein Schiff? Auf unsere Schiffe?«
»Vielleicht«, erwiderte der Hafenmeister. »Ich weiß es aber wirklich nicht genau.«
Nils Larsen dolmetschte die ganze Zeit über wieder eifrig, und er übersetzte auch sofort die Worte des Mannes, der jetzt als nächster aus der Menge hervortrat. Seine nicht ganz weiße Schürze zeichnete ihn als das aus, was er war: der Wirt einer Schenke.
»Sie haben bei mir gegessen und Bier getrunken, zwei Kruken voll«, berichtete er. »Sie haben auch gut bezahlt und mir ein Trinkgeld dagelassen. Trotzdem haben sie keinem von uns gefallen.«
»Nein, keinem«, bestätigte ein Mann aus den Reihen der Zuschauer. »Wir waren froh, als sie wieder gingen.«
»Sie gingen wohl zum Hafen«, sagte ein vierter Mann.
Darauf trat der Fährmann vor, der auf den Schuß und das Geschrei hin ebenfalls zur Pier gelaufen war. Er berichtete, was er wußte – daß die beiden fremden Männer mit ihm gesprochen und ihn über Gary Andrews ausgehorcht, ihn bezahlt und zum Schweigen verpflichtet hätten.
Jetzt war wieder der Hafenmeister an der Reihe.
»Nachdem der Schuß gefallen war, habe ich sie zufällig an der Hafenmeistern vorbeilaufen sehen«, erklärte er hastig. »Sie hatten wohl an der Rückwand des Hauses ihre Pferde angebunden, denn dort sind sechs Eisenringe in die Mauer eingelassen. Sie saßen auf und jagten davon. Der eine hatte eine Muskete in der Hand – nein, zwei. Oder hatte der andere auch eine? Ich weiß es nicht genau.«
»Können Sie die Kerle beschreiben?« fragte Hasard.
»Nein. Dazu war es zu dunkel. Und am Nachmittag habe ich sie nur von weitem gesehen. Der eine war aber dicker als der andere«, entgegnete der Hafenmeister.
Damit konnte Hasard nicht viel anfangen. Doch es war der Fährmann, der sich wieder zu Wort meldete.
»Der eine hatte so ein richtiges Ferkelgesicht«, sagte er. »Und der andere hatte Pockennarben.«
»Welche Sprache benutzten sie?« wollte Hasard wissen.
»Deutsch natürlich«, erwiderte der Mann verblüfft.
»So natürlich ist das nicht«, sagte Hasard. »Sie hätten auch Polen sein können.«
»Ja«, sagte der Mann verächtlich. »Aber mit denen will ich nichts zu tun haben, zum Henker. Denen hätte ich gar nichts gesagt, auch nicht für eine Goldmünze.«
»Es gibt auch bei uns genug Schweinehunde«, sagte der Schenkenwirt. »Man darf nicht alle Menschen über einen Kamm scheren. Im übrigen hatte ich nach der Aussprache dieser beiden Kerle den Eindruck, als wären sie keine Pommern.«
»Sondern? Woher stammen sie?« fragte Hasard.
Der Wirt hob die Schultern und ließ sie wieder sinken. »Schwer zu sagen. Die Beschreibung stimmt aber. Der eine hat so ein dämliches Ferkelgesicht, und der andere ist vierschrötig mit Blatternarben im Gesicht.«
»Hätte ich doch aufgepaßt«, sagte der Fährmann mit Verzweiflung in der Stimme. »Ich habe gleich geahnt, daß sie nicht erschienen waren, um den schönen Ausblick auf die See zu genießen. O Herr Jesus, wie schrecklich ist das alles.«
Hasard versuchte, noch mehr von den Männern zu erfahren, doch sie wußten keine weiteren Einzelheiten. Mit den Beschreibungen der beiden Fremden war nicht viel anzufangen, es hätte weiterer Details bedurft, um sie zu identifizieren.
»Wir müssen abwarten, was Dan und Piet zu berichten haben, wenn sie zurückkehren«, sagte er zu Ben Brighton, zu Roger, Ferris, Shane, Old O'Flynn und den anderen, die sich unterdessen bei ihm eingefunden hatten.
Inzwischen hatte sich noch ein Mann aus der Menge vorgedrängt. Er trat ein paar Schritte über die Pier auf Hasard zu und blieb dicht vor ihm stehen.
»Mein Name ist Heinrich Paleske«, sagte er. »Ich bin der Stadthauptmann von Rügenwalde. Man hat mich soeben alarmiert. Ist es wahr, daß das Fräulein von Lankwitz tot ist? Können Sie mir berichten, was vorgefallen ist?«
Hasard schilderte die traurige Begebenheit, obgleich es ihm schwerfiel. Er musterte dabei Heinrich Paleske, ohne es ihn merken zu lassen. Dieser Mann war von stämmiger Statur und hatte ein offenes, ehrliches Gesicht. Auf seinen Beistand konnte man sich gewiß verlassen – doch was konnte er schon tun?
Paleske war erschüttert. »Natürlich kannte ich Gisela von Lankwitz persönlich«, sagte er mit bebender Stimme, als Hasard geendet hatte. »Und natürlich kenne ich auch die Familie von Lankwitz – und Arne von Manteuffel. Kapitän Killigrew – ich lasse sofort die Verfolgung der Mörder aufnehmen.«
Hasard schüttelte den Kopf. »Das ist nicht nötig, Hauptmann. Zwei Männer meiner Besatzung sind ihnen bereits auf den Fersen. Warten Sie, bis die beiden zurück sind. Ich bin davon überzeugt, daß es ihnen nicht nur gelingt, die Spur der Kerle im Auge zu behalten, sondern die beiden Unbekannten auch zu stellen und hierherzubringen.«
»Sind Sie ganz sicher, daß sie es schaffen, Kapitän Killigrew?«
»Ja.«
»Gut, dann warte ich ab«, sagte Paleske.
Hasards Annahme sollte sich jedoch bald als ein folgenschwerer Irrtum herausstellen. Er beging einen Fehler – er hätte Paleske mit einem Aufgebot von Männern aufbrechen lassen sollen, damit sie nach den Mördern suchten. Damit hätte er das neue Unglück, das sich anbahnte, aller Wahrscheinlichkeit nach verhindern können. So aber nahmen die Dinge wieder unaufhaltsam ihren unheilvollen Lauf.