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a) Der Vertrag von Maastricht

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Nachdem zunächst streitig war, ob der Binnenmarkt schnellstmöglich durch eine Wirtschafts- und Währungsunion mit gemeinsamer Währung ergänzt werden müsste, setzte sich seit der Tagung des Europäischen Rates vom 27./28.6.1988 in Hannover diese vor allem von Frankreich und der Kommission (Präsident Delors) verfochtene Auffassung durch. Auf der Grundlage des Delors-Berichts (vgl Rn 1143) und entsprechender Beschlüsse des Europäischen Rates auf den Gipfelkonferenzen in Straßburg am 8./9.12.1989 und in Rom am 14./15.12.1990 wurden die Vertragsverhandlungen zur Wirtschafts- und Währungsunion aufgenommen. In der – allerdings nicht einhelligen – Erkenntnis und Forderung, dass eine gemeinsame Währung eine gemeinsame Wirtschaftspolitik, diese aber letztlich eine Politische Union mit einem entsprechenden institutionellen Rahmen bedingt (zur Aktualität dieser Frage s. Rn 1170), wurde der Gegenstand der Vertragsverhandlungen auch auf die Politische Union und dabei sowohl auf neue Entscheidungsverfahren als auch auf neue Entscheidungsmaterien erstreckt. Einbezogen wurde – auch angesichts des unkoordinierten Verhaltens der Mitgliedstaaten und der Gemeinschaft im sog. ersten Golf-Krieg gegen den Irak 1990/91 – die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik.

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Angesichts grundsätzlich unterschiedlicher Vorstellungen der Mitgliedstaaten über Wesen und Inhalt der Europäischen Union gestalteten sich die Vertragsverhandlungen erwartungsgemäß schwierig. Wie so oft in der Geschichte der Gemeinschaften bzw Union gelang letztendlich aber doch eine Einigung auf der Tagung des Europäischen Rates am 9./10.12.1991 in Maastricht, die allerdings nur durch deutliche Abstriche bei der Politischen Union zu Stande kam. Am 7.2.1992 wurde der Vertrag über die Europäische Union (EUV)[23] unterzeichnet. Er trat erst nach dem Urteil des BVerfG[24] über die Verfassungsbeschwerden gegen das deutsche Zustimmungsgesetz am 1.11.1993 in Kraft.

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Durch den Maastrichter Vertrag sollte der mit der Gründung der Europäischen Gemeinschaften eingeleitete Prozess der Europäischen Integration „auf eine neue Stufe“ gehoben werden. Die deklaratorische Gründung der „Europäischen Union“ (Art. 1 Abs. 1 EUV aF) allein konnte dies aber nicht bewirken. Entscheidend waren die eingeführten substanziellen Veränderungen sowie für die weitere Entwicklung auch diejenigen Veränderungen, die nur als Zielvorgabe erscheinen. Das Strukturproblem einer großen, eng verbundenen und mit weiten Kompetenzen ausgestatteten Gemeinschaft wurde durch das Postulat einer „immer engeren Union der Völker Europas“, „in der die Entscheidungen möglichst bürgernah getroffen werden“ sollen (Art. 1 Abs. 2 EUV aF), zu lösen versucht. Um dies zu verdeutlichen, wurden das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung (s. dazu Rn 550), das Subsidiaritätsprinzip und der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit in der Ausübung der Gemeinschaftskompetenzen (s. dazu Rn 176 f) in Art. 5 EGV (jetzt Art. 5 EUV) ausdrücklich verankert. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang auch Art. 6 Abs. 3 EUV aF (jetzt Art. 4 Abs. 2 EUV), wonach die Union die nationale Identität ihrer Mitgliedstaaten achtet. Die Europäische Union als „Union von Völkern und von Staaten“ stützt sich auf eine in ihrer strengen Gleichgewichtigkeit neuartige, bundesstaatsbegrifflich nicht erfassbare, doppelte Legitimation über das Europäische Parlament und die nationalen Parlamente, die ihre jeweiligen Regierungen kontrollieren[25] (vgl auch Rn 385 ff).

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Der Maastrichter Vertrag behielt die durch die EEA auf eine vertragliche Grundlage gestellte (vgl Rn 36) Aufteilung der Union auf zwei (bzw drei: EG – GASP – ZBJI/PJZS) Säulen, nämlich die Europäischen Gemeinschaften einerseits und die mit dem Unionsvertrag eingeführten Politiken und Formen der Zusammenarbeit, und deren Verknüpfung bei (vgl Art. 1 Abs. 3, Art. 3 EUV aF); zur Struktur nach dem Vertrag von Lissabon s. Rn 89 f. Die damals drei Gemeinschaften bestanden als Völkerrechtssubjekte fort, während der Union als solcher keine ausdrückliche Völkerrechtsfähigkeit zuerkannt wurde (jetzt durch Art. 47 EUV entschieden, s. Rn 143).

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Die institutionellen Änderungen betrafen zunächst die Verknüpfung von Gemeinschaften sowie den neu eingeführten intergouvernementalen Politiken GASP und ZBJI. Substanziell wurden hinsichtlich der Rolle des Europäischen Rates, des Europäischen Parlaments und der Kommission im Wesentlichen die Bestimmungen der EEA zur EPZ übernommen[26]. Teilweise wurde die bisherige Praxis auf eine vertragliche Grundlage gestellt und damit auch klargestellt bzw geringfügig modifiziert[27]. Dem Europäischen Rat wurden Zuständigkeiten im Rahmen der Europäischen Union insgesamt übertragen (s. Rn 296 ff). Er gibt der Union die für ihre Entwicklung erforderlichen Impulse und legt die allgemeinen politischen Zielvorstellungen für diese Entwicklung fest (Art. 4 Abs. 1 EUV aF; jetzt Art. 15 Abs. 1 S. 1 EUV).

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Eine wesentliche Aufwertung erfuhr das Europäische Parlament. Die bisherigen Rechtsetzungsverfahren der Anhörung und der Zusammenarbeit wurden inhaltlich übernommen (Art. 252 EGV) und durch ein neues Verfahren der Mitentscheidung (Art. 251 EGV; jetzt Art. 294 AEUV) ergänzt (s. Rn 558 ff). Dieses Verfahren machte in seinem Anwendungsbereich das Europäische Parlament tatsächlich zum Mitgesetzgeber. Außerdem erhielt das Parlament das Recht, die Kommission zu Initiativen aufzufordern (s. Rn 336). Ferner brachte der Unionsvertrag ein Petitionsverfahren und einen Bürgerbeauftragten des Europäischen Parlaments. Zudem gelang durch eine neue Sitzverteilung eine Reduktion des durch die deutsche Wiedervereinigung weiter erhöhten Ungleichgewichts in der Vertretung, die auch die Interessen der anderen großen Mitgliedstaaten berücksichtigte.

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Als neues Nebenorgan führte der Unionsvertrag einen Ausschuss der Regionen ein (Art. 263 ff EGV, jetzt Art. 305 AEUV, s. Rn 184).

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Als redaktionelle Änderung wurden durch den Maastrichter Vertrag Teile des FusV wieder in den EWGV übernommen. Dieser wurde zudem in Vertrag über die Gründung der Europäischen Gemeinschaft (EGV) umbenannt, um klarzustellen, dass sich die Gemeinschaft von einer reinen Wirtschaftsgemeinschaft in Richtung auf eine Politische Union hin entwickelt hat.

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Materiell-rechtlich wies der Maastrichter Vertrag der neu benannten Europäischen Gemeinschaft neue Kompetenzen in verschiedenen Bereichen zu, in denen die EWG vor 1993 zwar schon umfassend tätig war, allerdings mit zweifelhaften Kompetenzgrundlagen (meist Art. 235 EWGV, jetzt Art. 352 AEUV). Darüber hinaus wurden die Titel über die Kompetenzen, in denen die Gemeinschaft nur unterstützend tätig wird, neu gefasst und die Kompetenzen hierdurch teils begrenzt, teils erweitert[28]. Eingefügt wurde zudem ein Titel über die Entwicklungszusammenarbeit mit Drittstaaten, dh Entwicklungsländern (Art. 177–181 EGV; jetzt Art. 208–211 AEUV)[29]. Die Assoziierung der überseeischen Länder und Hoheitsgebiete gemäß Art. 182 ff EGV blieb davon unberührt (vgl Art. 179 Abs. 3 EGV)[30].

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Kernstück des Vertrags von Maastricht war die Schaffung der Wirtschafts- und Währungsunion durch eine eng koordinierte Wirtschaftspolitik, haushaltswirtschaftliche Vorschriften, die unwiderrufliche Festlegung der Wechselkurse im Hinblick auf die Einführung des Euro als einheitlicher Währung, die Festlegung und Durchführung einer einheitlichen Geld- sowie Wechselkurspolitik, die vorrangig am Ziel der Preisstabilität orientiert ist, und die Schaffung eines Europäischen Systems der Zentralbanken und einer Europäischen Zentralbank (s. Rn 1181 ff).

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In Art. 17 EGV (jetzt Art. 20 AEUV) führte der Maastrichter Vertrag die Unionsbürgerschaft ein, durch die den Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten zusätzliche, nicht vom Gebrauch der Grundfreiheiten des EGV (jetzt AEUV) abhängige Rechte gegenüber den anderen Mitgliedstaaten eingeräumt werden (s. Rn 1023 ff).

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Außerhalb der Europäischen Gemeinschaft schaffte der Maastrichter Vertrag durch die Titel V und VI des EUV die Grundlagen für die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP, Art. 11–28 EUV aF – hierbei handelte es sich um eine weitgehende Übernahme der vormaligen EPZ; jetzt Art. 23–46 EUV) sowie die Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten in den Bereichen Justiz und Inneres (ZBJI, nach dem Vertrag von Amsterdam PJZS, Art. 29–42 EUV aF; jetzt integriert in den RFSR, Art. 82–89 AEUV, s. Rn 1055 f). Grundsätzlich herrschten hier Koordination, Kooperation und Konsultation vor. In bestimmten Fällen waren jedoch auch rechtlich verbindliche Maßnahmen des Rates vorgesehen (vgl Art. 34 Abs. 2 EUV aF). Diese waren dem vom Gemeinschaftsrecht getrennten Unionssekundärrecht zuzurechnen.

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