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c) Europäische Menschenrechtskonvention

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Die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) vom 4.11.1950[78] enthält als erstes Instrument des völkerrechtlichen Menschenrechtsschutzes effektive Durchsetzungsmechanismen auf internationaler Ebene im Rahmen eines justizförmigen Verfahrens. Die seit dem Inkrafttreten des Protokolls Nr 11[79] am 1.11.1998 obligatorische Individualbeschwerde (Art. 34 EMRK) eröffnet Individuen nach Erschöpfung innerstaatlicher Rechtsbehelfe („local remedies rule“, Art. 35 Abs. 1 EMRK) direkt den Weg zum (ständigen) Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg (vgl Art. 19 EMRK). Daneben gibt es die Staatenbeschwerde (Art. 33 EMRK) und das Gutachtenverfahren (Art. 47 EMRK)[80]. Die frühere Europäische Kommission für Menschenrechte und der EGMR, der seit 1.11.1998 allein zuständig ist, haben durch eine dynamische (EMRK als „a living instrument“[81]), aber gleichwohl behutsame Rechtsprechung, die den Mitgliedstaaten die nötigen Beurteilungsspielräume („margin of appreciation“) gibt[82], ohne die Maßstäblichkeit der EMRK zu vernachlässigen[83], eine Art gemeineuropäischen Grundrechtsstandard geformt. Die Einbeziehung der ehemaligen Ostblockstaaten und damit die Ausweitung auf mittlerweile 47 Vertragsparteien (alle Mitgliedstaaten des Europarats) macht die EMRK zu einem gesamteuropäischen Grundrechtsschutzsystem, stellt dieses aber auch vor besondere Herausforderungen: Zusammenführung doch relativ heterogener Rechtssysteme, Einbeziehung von Staaten, die sich noch im Übergang zu einer tatsächlich demokratischen und rechtsstaatlichen Ordnung befinden (vor allem, aber nicht nur Russland), Reaktion auf diesbezügliche Rückschritte (Türkei), Kohärenz der Rechtsprechung bei 47 Richtern aus 46 Staaten (Art. 20 EMRK; die Stelle des Richters Liechtensteins ist mit einem Schweizer besetzt), wachsender Arbeitsanfall[84], der den EGMR selbst mit dem Problem überlanger Verfahrensdauer[85] konfrontiert. Die bisherigen Erfahrungen mit dem ständigen EGMR und Fällen aus den ehemaligen Ostblockstaaten stimmen insoweit eher positiv[86]. Problematisch ist dagegen der in letzter Zeit zumindest teilweise zu beobachtende „judicial activism“ des EGMR, der zu Akzeptanzproblemen führen kann[87]. Konflikte können durch gegenseitige Rücksichtnahme von EGMR und BVerfG gelöst bzw vermieden werden[88].

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Art. 2–12 EMRK sowie das Zusatzprotokoll und die Protokolle Nr 4 und 7 gewährleisten die „klassischen“ Grundrechte[89] sowie relativ detailliert Verfahrensrechte (zB zweite Strafgerichtsinstanz, Unschuldsvermutung), ferner das Wahlrecht, das Verbot der Ausweisung von Staatsbürgern und der Kollektivausweisung von Ausländern; Protokolle Nr 6 und Nr 13 verbieten die Todesstrafe[90]. Zum Verfahren s. Art. 27 ff EMRK, die Verfahrensordnung des EGMR[91] sowie Grabenwarter/Pabel, § 13 und Schweitzer/Dederer, Rn 1195 ff.

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Die EMRK hat in den Rechtsordnungen der Vertragsparteien unterschiedlichen Rang, in Österreich Verfassungsrang, in Deutschland (formell) den Rang eines einfachen Gesetzes. Allerdings sind nach der Rechtsprechung des BVerfG die Grundrechte des GG als Prüfungsmaßstab für einfache Gesetze nicht nur in Einklang mit der EMRK, sondern auch mit der Rechtsprechung des EGMR auszulegen[92], womit es zu einem – der Völkerrechtsfreundlichkeit des GG entspringenden – faktischen Vorrang der EMRK vor deutschem Recht kommt[93], der seine Grenzen jedoch in den tragenden Grundsätzen der Verfassung findet[94]. Für die Anwendung und Auslegung deutschen Rechts führt dies infolge Art. 20 Abs. 3 GG zu einer weitgehenden Berücksichtigungspflicht auch von Entscheidungen des EGMR durch deutsche Behörden und Gerichte[95]. Die EMRK bindet die Vertragsparteien und damit sämtliche Mitgliedstaaten der Europäischen Union, die sich dem nicht durch die Übertragung von Hoheitsrechten auf die EU entziehen können (s. Rn 262 ff). Zugleich ist die EMRK Rechtserkenntnisquelle für die Anwendung des Art. 6 Abs. 3 EUV, der die Grundrechtsbindung der Organe der Europäischen Union begründet bzw fixiert (s. Rn 464, 757 ff). Gemäß Art. 52 Abs. 3 GRCh ist die EMRK bei der Auslegung der EU-Grundrechtecharta als Mindeststandard zu berücksichtigen (s. Rn 775). Der Vertrag von Lissabon sieht vor, dass die Europäische Union der EMRK beitritt (Art. 6 Abs. 2 EUV), was durch die Einfügung des Art. 59 Abs. 2 EMRK mit dem Inkrafttreten des 14. Zusatzprotokolls zur EMRK[96] ermöglicht wurde, aber durch den EuGH[97] blockiert wird, der das verhandelte Beitrittsabkommen für mit Art. 6 Abs. 2 EUV und das dazu erlassene Protokoll (Nr 8) unvereinbar hält (s. dazu Rn 773).

§ 2 Entwicklung und Stand der Europäischen Integration › V. Gesamteuropäische Perspektiven und Organisationen › 3. Fortentwicklung des KSZE-Prozesses

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