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c) Austritt

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Bis zur ausdrücklichen Regelung des einseitigen, rechtlich geordneten Austritts aus der EU im Vertrag von Lissabon (Art. 50 EUV) war die Frage, ob ein Mitgliedstaat aus der EU austreten kann, umstritten. Die Gemeinschaftsverträge enthielten dazu keine Bestimmungen. Daraus und aus der Geltung des Vertrags „auf unbegrenzte Zeit“ (Art. 53 EUV) wurde gefolgert, dass ein Austritt oder die Kündigung durch einen Mitgliedstaat ausgeschlossen ist (vgl Art. 56 Abs. 1 WVRK). Dies konnte natürlich einen faktischen Austritt oder eine Kündigung nicht verhindern. Das BVerfG hat im Maastricht-Urteil ein Austrittsrecht aus der Gemeinschaft als Ultima Ratio (beim Scheitern der „Stabilitätsgemeinschaft“ Währungsunion) angenommen[35].

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Die aus dem allgemeinen Völkerrecht hergeleiteten rechtlichen Möglichkeiten eines Austritts[36] sind durch Art. 50 EUV als lex specialis mit konkreten Vorgaben verdrängt. Als Regelfall ist der Abschluss eines Abkommens zwischen dem austrittswilligen Staat und der EU vorgesehen (Art. 50 Abs. 2 EUV). Kommt dieses nicht zustande und wird die Zweijahresfrist des Art. 50 Abs. 3 EUV nach Abgabe der Austrittsabsichtserklärung nicht auf Wunsch des Austrittskandidaten durch einstimmigen Beschluss des Europäischen Rates verlängert, endet die Mitgliedschaft ohne Anschlussregelung und die Beziehungen zur EU bestimmen sich nach allgemeinem Völkerrecht. Dies bestätigt, dass der Austritt unionsrechtlich ein einseitiges Recht ist und nicht begründet werden muss. Die Austrittsabsichtserklärung kann vor Wirksamwerden des Austritts widerrufen werden[37]. Falls ein ausgetretener Staat der EU wieder beitreten möchte, muss er das Aufnahmeverfahren gemäß Art. 49 EUV durchlaufen (Art. 50 Abs. 5 EUV). Art. 50 Abs. 1 EUV verweist auf den Einklang mit den jeweiligen verfassungsrechtlichen Vorschriften. Art. 23 Abs. 1 GG schließt einen Austritt Deutschlands aus der EU nicht völlig aus[38], setzt einem solchen Schritt aber verfassungsrechtliche Grenzen[39].

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Aufgrund des nicht obligatorischen und rechtlich nicht verbindlichen, aber als politisch bindend gesehenen Referendums vom 23.6.2016 hat die Regierung des Vereinigten Königreichs am 29.3.2017 die Absicht erklärt, aus der EU austreten zu wollen. Zwischen der britischen Regierung und der EU wurde am 14.11.2018 ein Austrittsabkommen vereinbart[40], das jedoch vom britischen Parlament (Unterhaus), dessen Zustimmung nach britischem Verfassungsrecht erforderlich ist[41], mehrfach abgelehnt wurde. Um einen ungeregelten „Brexit“ zu verhindern, wurde die Frist bis 31.10.2019 verlängert[42]. Daher nahm das Vereinigte Königreich als Noch-Mitgliedstaat am 23.5.2019 an den Europawahlen teil.

Literatur:

Craig, P., Brexit: A Drama in Six Acts, ELRev 2016, 447; Gold, M.-T., Voraussetzungen des freiwilligen Austritts aus der Union nach Art. I-60 Verfassungsvertrag, in: Niedobitek/Ruth, Die neue Union, 2007, 55; Grumbach, S., „Splendid Isolation?“, Der Austritt aus der Europäischen Union gemäß Artikel 50 EUV. Ablauf und Konsequenzen des Austritts eines Mitgliedstaates auf Ebene der EU, 2018; Hanschel, D., Der Rechtsrahmen für den Beitritt, Austritt und Ausschluss zu bzw aus der Europäischen Union und der Währungsunion, NVwZ 2012, 995; Jaekel, N.A., Das Recht des Austritts aus der Europäischen Union – zugleich zur Neuregelung des Austrittsrechts gem. Art. 50 EUV in der Fassung des Vertrages von Lissabon, JURA 2010, 87; Kramme/Baldus/Schmidt-Kessel (Hrsg.), Brexit. Privat- und wirtschaftsrechtliche Folgen, 2. Aufl. 2019; Michl, W., Die formellen Voraussetzungen für den Austritt des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union, NVwZ 2016, 1365; Schroeder, W., Austritt und andere Formen des Ausscheidens aus der EU, JRP 2016, 287; Skouris, V., Brexit: Rechtliche Vorgaben für den Austritt aus der EU, EuZW 2016, 806; Thiele, A., Der Austritt aus der EU – Hintergründe und rechtliche Rahmenbedingungen eines „Brexit“, EuR 2016, 281.

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