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b) Echte extraterritoriale Wirkungen

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Diese betreffen die Anwendung der Wettbewerbsregeln der Art. 101, 102 AEUV auf Unternehmen, die ihren Sitz außerhalb der EU haben, wenn deren Verhaltensweisen auf dem Markt der EU wettbewerbsverzerrende Wirkungen haben. Da auch das Unionsrecht grundsätzlich dem im allgemeinen Völkerrecht anerkannten Territorialitätsprinzip unterliegt, wonach die Vornahme von Hoheitsakten auf der Grundlage einer bestimmten Rechtsordnung regelmäßig auf den räumlichen Geltungsbereich dieser Ordnung begrenzt ist, bedürfen solche Maßnahmen einer besonderen Rechtfertigung. Sie spielen im Wettbewerbsrecht eine große Rolle, da ohne sie jede Wettbewerbspolitik angesichts der gegenwärtigen weltweiten Wirtschaftsverflechtungen weitgehend ineffektiv wäre.

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Fall 1 (nach EuGH, verb Rs 89, 104, 114, 116, 117, 125–129/85, Ahlström ua/Kommission („Zellstoff“), Slg 1988, 5193 = HVL, S. 478 ff = Pechstein Nr 242):

Hersteller von Zellstoff mit Sitz im Vereinigten Königreich und einigen Drittstaaten hatten ein internationales Kartell gebildet und Absprachen zur einheitlichen Preisgestaltung getroffen, die auch für Verkäufe in der Union gelten sollten. Dadurch wurden über 60 Prozent des Zellstoffabsatzes innerhalb der Union beeinträchtigt. Die Kommission sah darin einen Verstoß gegen Art. 101 AEUV und verhängte Geldbußen gegen alle Teilnehmer des Kartells. Die Firmen erhoben Nichtigkeitsklage gemäß Art. 263 Abs. 4 AEUV ua mit der Begründung, die Union könne ihre Jurisdiktion nach allgemeinem Völkerrecht nicht auf Staatsangehörige dritter Staaten und solche Verhaltensweisen ausdehnen, die außerhalb der Union stattgefunden haben.

Zu Recht?

Lösung Fall 1:

I. Zulässigkeit der Klage

Die Nichtigkeitsklage gemäß Art. 263 Abs. 4 AEUV ist zulässig. Auch eine ausländische juristische Person ist klageberechtigt, wenn sie Adressatin eines Beschlusses der Kommission ist (s. Rn 651, 667 f).

II. Begründetheit der Klage

1. Unionsrechtliche Beurteilung der Zugrundelegung des Auswirkungsprinzips

Art. 101 AEUV verbietet Maßnahmen, die eine Einschränkung des Wettbewerbs innerhalb des Binnenmarktes bewirken. Wenn man die Anwendbarkeit der wettbewerbsrechtlichen Verbote von dem Ort der Bildung des Kartells abhängig machen würde, so liefe dies offensichtlich darauf hinaus, dass den Unternehmern ein einfaches Mittel an die Hand gegeben würde, sich diesen Verboten zu entziehen. Entscheidend ist somit der Ort, an dem das Kartell durchgeführt wird. Der EuGH hat jedenfalls bei Tätigwerden innerhalb der Union das Auswirkungsprinzip zugrunde gelegt[55].

2. Völkerrechtliche Zulässigkeit

Der EuGH legitimiert die Bußgeldentscheidungen der Kommission gegenüber den ausländischen Unternehmen mit dem völkerrechtlich anerkannten Territorialitätsprinzip. Diese Begründung, die nur auf den Erfolgsort und nicht auf die die Wettbewerbsstörung hervorrufende Handlung abstellt, genügt aber nicht, da sie das Problem der Setzung von Hoheitsakten gegenüber im Ausland ansässigen Ausländern übergeht. Das an die vorgeworfene Handlung anknüpfende Auswirkungsprinzip, das über das reine Territorialitätsprinzip hinausgeht, lässt sich aber völkerrechtlich durchaus rechtfertigen. Wie das internationale Strafrecht (vgl §§ 4 ff StGB sowie § 1 VStGB[56]) zeigt, ist die Anknüpfung nationaler Jurisdiktionsgewalt an internationale Sachverhalte völkerrechtlich nicht unzulässig. Vielmehr lässt das Völkerrecht den Staaten insoweit einen gewissen Spielraum.

Die dem internationalen Strafrecht zugrunde liegenden Prinzipien tragen allerdings nicht das Auswirkungsprinzip. Damit ist dieses allerdings noch nicht völkerrechtlich unzulässig. Die Grenze des völkerrechtlich Zulässigen ist erst bei dem Verbot erreicht, Hoheitsakte auf fremdem Territorium zu setzen. Da das unionsrechtliche Prinzip der Inlandsauswirkung einen juristisch präzise fassbaren Inlandsbezug hat, auf Einzelentscheidungen begrenzt bleibt und lediglich der Beseitigung der Inlandsauswirkung dient, bemüht es sich um den gebotenen Interessenausgleich der betroffenen Staaten und ist völkerrechtlich akzeptabel. Das Problem möglicher Doppelsanktionen bleibt der nationalen Rechtsordnung des Heimatstaates des betreffenden Ausländers zur Regelung überlassen. Die Vollstreckung einer Entscheidung der Kommission ist nur mithilfe des Heimatstaates möglich, es sei denn, sie kann sich an im Unionsgebiet belegene Gegenstände halten.

Literatur:

Knebel, H.-W., Die Extraterritorialität des Europäischen Kartellrechts, EuZW 1991, 265; K.M. Meessen (Hrsg.), Extraterritorial Jurisdiction in Theory and Practice, 1996; Meng, W., Extraterritoriale Anwendung des EU-Rechts, in: von der Groeben/Thiesing/Ehlermann (Hrsg.), Kommentar zum EU-/EG-Vertrag, 5. Aufl., 1997, Bd. 5, S. 1207 ff.

§ 3 Grundlagen der Europäischen Union › IV. Zeitlicher Geltungsbereich

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