Читать книгу Rechtsanwaltsvergütung - Sabine Jungbauer - Страница 120
4. Die Abwägung/Mittelgebühr
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Anhand der vorstehend dargestellten Kriterien hat der Rechtsanwalt abzuwägen, welche Höhe der Gebühr im gegenständlichen Fall angemessen ist.
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Nach herrschender Meinung ist bei der Abwägung zunächst von der Mittelgebühr auszugehen. Sodann ist zu überprüfen, inwieweit die maßgeblichen Kriterien des § 14 Abs. 1 RVG eine Gebühr oberhalb oder unterhalb der Mittelgebühr rechtfertigen.[30]
Wie bereits dargelegt, sollte eine Abweichung von der Mittelgebühr dargelegt und begründet werden. Teilweise wird sogar von einer Notwendigkeit ausgegangen, das ausgeübte Ermessen darzulegen.[31]
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Es war schon zu BRAGO-Zeiten möglich, dass ein besonders gewichtiges Merkmal die anderen, weniger gewichtigen Merkmale, kompensiert (Kompensationstheorie), so dass in diesem Fall trotzdem eine höhere Gebühr beansprucht werden könnte.[32] Dieser Grundsatz gilt nach wie vor fort.
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Während die Mindestgebühr nur dann in Betracht kommt, wenn sämtliche Kriterien unterdurchschnittlich sind, kann die Höchstgebühr bereits dann in Ansatz gebracht werden, wenn nur ein Merkmal den Ansatz der Höchstgebühr rechtfertigt, auch wenn die übrigen Umstände nur durchschnittlich sind.[33] Das OLG München hielt die Annahme einer Höchstgebühr nur dann für gerechtfertigt, wenn mehrere Kriterien überdurchschnittlich sind[34]. Der Auffassung des OLG Nürnberg, dass nur dann, wenn sämtliche Umstände überdurchschnittlich waren, eine Höchstgebühr in Ansatz gebracht werden kann, kann nicht gefolgt werden.[35] Diese Auffassung ist nach Ansicht der Verfasserin überholt. Rechtsprechung, die mehr als 2 Jahrzehnte alt ist, kann nicht ohne weiteres auf die heutigen Verhältnisse übertragen werden.
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Eine Höchstgebühr ist jedoch nicht nur dann angebracht, wenn alle Umstände für eine Erhöhung sprechen. So kann z.B. bei durchschnittlichen wirtschaftlichen Verhältnissen allein der Umfang oder die Schwierigkeit den Ansatz einer Höchstgebühr rechtfertigen.[36]
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Zu beachten ist jedoch die Ausnahmeregelung, die sich aufgrund der Anm. zu Nr. 2300 VV RVG ergibt, vgl. dazu auch Rn. 65 in Kapitel 7 und bei der Geschäftsgebühr ab einem Gebührensatz von 1,3 die in § 14 genannten Kriterien auf die beiden Kriterien Umfang oder Schwierigkeit begrenzt.
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Übersicht Rechtsprechungsübersicht hinsichtlich Höchstgebühr
Tatbestand | Entscheidung |
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Nebenkläger (Umfang, Bedeutung undSchwierigkeit überdurchschnittlich) | LG Nürnberg-Fürth Beschl. v. 22.11.2007, Az. 5 Qs 166/07, NZV 2008, 163. |
Streit wg. Erwerbsminderungsrente | SG Detmold NZS 2008, 504 = AnwBl. 2008, 638. |
Rechtsbeschwerdeverfahren in Abschiebehaftverfahren | OLG Köln NStZ-RR 2011, 360. |
Unfallsache (3 verstorbene Familienmitglieder) | LG Zweibrücken Schluss-Urt. v. 11.4.2008, Az. 1 O 654/07, BeckRS 2009, 20999. |
Disziplinarsache (hier: zu den Voraussetzungen des Ansatzes einer Höchstgebühr) | VG Wiesbaden Beschl. v. 15.5.2013, Az. 28 O 28/13.WI.D, BeckRS 2013, 53676. |
Unzulässige Handwerksausübung | LG München I Beschl. v. 31.8.2012, Az. 14 Qs 39/12, JurBüro 2013, 86. |
Es müssen für den Ansatz der Höchstgebühr nicht alle Kriterien erfüllt sein. | BayObLG JurBüro 2000, 640. |
Erfüllung nur eines Kriteriums führt nur imAusnahmefall zur Höchstgebühr. | OLG Köln RVGreport 2012, 98. |
Höchstgebühr gerechtfertigt, wenn mehrere Bezugsmerkmale erfüllt sind. | LSG Nordrhein-Westfalen Beschl. v. 26.4.2007, Az. L 7 B 36/07 AS, BeckRS 2009, 59824. |
Ein Vorschuss für Rahmengebühren darf nicht im Umfang der Höchstgebühr angefordert werden, wenn sich noch nicht übersehen lässt, ob der tatsächliche Aufwand der Mandatserfüllung diese Gebührenhöhe rechtfertigt. | BGH Urt. v. 11.12.2003, Az. IX ZR 109/00, NJW 2004, 1043 = FamRZ 2004, 535 = MDR 2004, 715. |
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Die Mittelgebühr ist grundsätzlich dann zu erstatten, wenn es sich um eine durchschnittliche Angelegenheit handelt. Sie soll gelten und damit zur konkreten billigen Gebühr in den ,,Normalfällen“ werden, d.h. in den Fällen, in denen sämtliche, vor allem die nach § 14 Abs. 1 S. 1 RVG zu berücksichtigenden Umstände durchschnittlicher Art sind, also übliche Bedeutung der Angelegenheit, durchschnittlicher Umfang und durchschnittliche Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, wirtschaftliche Verhältnisse des Auftraggebers, die dem Durchschnitt der Bevölkerung entsprechen.[37]
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Die einzelnen Bemessungskriterien des § 14 RVG können Anlass geben, von der Mittelgebühr nach oben oder unten abzuweichen, soweit ein Umstand vom Durchschnitt besonders hervor- oder zurücktritt.[38]
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Die Mittelgebühr ist auch dann gerechtfertigt, wenn einzelne Merkmale eine Erhöhung, andere wieder eine Absenkung der Gebühr rechtfertigen würden, so dass sich diese gegenseitig aufheben.[39]
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Die Mittelgebühr bei Rahmengebühren wird durch das arithmetische Mittel gebildet. Dies bedeutet, dass Mindest- und Höchstsatz addiert und sodann durch zwei geteilt werden.
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Beispiel Betragsrahmengebühr
Grundgebühr Nr. 4100 VV Gebührenrahmen (Wahlverteidiger) Mindestgebühr 40 €; Höchstgebühr 360 € 40 € + 360 € = 400 €; 400 € geteilt durch 2 = 200 € |
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Beispiel Geschäftsgebühr Nr. 2300 VV
Satzrahmen: Mindestsatz 0,5; Höchstsatz 2,5
0,5 + 2,5 = 3,0; 3,0 geteilt durch 2 = 1,5
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Die Mittelgebühr wird von der Praxis als die in durchschnittlichen Fällen angemessene Gebühr erachtet. Eine Pauschalierung für eine Vielzahl von Fällen verbietet sich jedoch und ist mit dem Grundgedanken von § 14 RVG, der die Bestimmung im Einzelfall fordert, nicht vereinbar.
3. Kapitel Grundlagen des anwaltlichen Gebührenrechts › III. Rahmengebühren, § 14 RVG › 5. Besonderheiten in Strafsachen