Читать книгу Antisemitismus und Islamophobie - Sabine Schiffer - Страница 12
2.2.1 Zum Begriff Antisemitismus
ОглавлениеWie Wolfgang Benz nicht zuletzt in seiner Abschiedsrede als Leiter des Zentrums für Antisemitismusforschung dargelegt hat, ist der Begriff »Antisemitismus« eigentlich nicht korrekt, jedoch inzwischen definiert und etabliert und auch nicht mehr wegzudenken.43 Bei aller Fehlerhaftigkeit hat sich diese Bezeichnung zur Beschreibung des Phänomens antijüdischer Ressentiments durchgesetzt.44 Und auch obwohl er in manchen Kontexten instrumentalisiert wird, wie dies unter anderem Moshe Zuckermann kritisiert, wird niemand Vernunftbegabtes die Existenz von Judenhass sowie die Notwendigkeit seiner politischen Bekämpfung leugnen. Dennoch ist der Antisemitismus-Begriff nicht unproblematisch, denn er verleitet zu Missverständnissen. So halten sich manche arabischstämmige Menschen, da der Sprachgruppe der Semiten zugehörig, für per se nicht »antisemitisch« (siehe unten).
Obwohl der Begriff des Antisemitismus erst im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts – propagiert durch den Journalisten Wilhelm Marr, den Gründer der Antisemitenliga – auftaucht, können bereits der zuvor geführte antijüdische Diskurs ebenso wie die Pogrome unter diesem Begriff subsumiert werden. Seit der Entstehung des modernen, säkularen Judenhasses wurde dieser unspezifische Sammelbegriff für alles verwendet, was irgendwie mit der Abneigung gegen Juden zu tun hatte.45
Zunächst hatte die linguistische Forschung den Terminus »Semit« geprägt, um die semitische Sprachfamilie von der indo-europäischen zu unterscheiden. Diese Terminologie fand dann rassenideologisch Verwendung und steht hier für die Ethnisierung des antjüdischen Diskurses, obwohl die Sprachgruppe der Semiten eigentlich viel größer ist: »Alles, was über die Juden gesagt worden war, wurde jetzt auf die Semiten übertragen, und das Gegenteil galt immer von den Ariern.«46
Hier wird noch einmal deutlich, wie Sprache der Kategorisierung dienen kann.47 Gleichzeitig wird das starke dualistische Denken des 19. Jahrhunderts offensichtlich, das unter anderem in Hegels Dialektik von These und Antithese seinen Ausdruck findet. Damit werden ständig Pol und Gegenpol definiert. Der moderne Begriff des »Antisemitismus« ist also nicht nur eigentlich falsch, sondern kann über seine althergebrachten Elemente der Argumentation hinwegtäuschen: Neben den religiösen wird der Diskurs zudem durch wirtschaftliche, völkisch-nationale und rassisch-anthropologische Bestandteile angereichert und beruht dabei immer noch auf dem alten Feindbild .48
Der Unterschied in der jeweiligen Begründung der Ausgrenzung und Ablehnung kann leicht die Kontinuität des Stereotyps verschleiern. 49 Der Antisemitismus kann beziehungsweise muss als eine »Weiterentwicklung« des Antijudaismus, angepasst an die veränderten sozial-politisch-kulturellen Bedingungen des 18. und 19. Jahrhunderts, verstanden werden. Obwohl sich der antisemitische vom antijudaistischen Diskurs dadurch unterscheidet, dass er in einem neuen Kontext, nämlich im Rahmen einer neuen Bedeutung der Konzepte Staat, Nation und Rasse, entwickelt wurde, spielen alte und beständige antijudaistische Motive weiter eine Rolle.