Читать книгу Antisemitismus und Islamophobie - Sabine Schiffer - Страница 14

2.2.2.1 Konstanz und Varianz

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Für das Motiv eines Gefühls von Feindschaft oder zumindest einer erwarteten Andersartigkeit der Juden erhellt bereits ein Blick auf die letzten dreihundert Jahre die Kohärenz dieser Wahrnehmung/Unterstellung der Juden als Fremdkörper, der immer wieder zu einer Bedrohung stilisiert werden konnte.51 Die Teiltabuisierung des Themas nach dem Zweiten Weltkrieg bedeutet nicht, dass die Judenfeindschaft verschwunden wäre52 – wie die Geschichte des antisemitischen Diskurses selbst zeigt: Immer wieder keimte der Antisemitismus nach Perioden der Ruhe und Gleichgültigkeit auf und konnte für politische Zwecke reaktiviert werden.53

Es zeigt sich, dass es eine Tendenz gibt, gerade nach dem Wegbrechen von ausgedienten Wahrheiten – wie etwa historisch nach der Periode der Aufklärung – die kulturelle Identität durch Ersatzerklärungen aufrechtzuerhalten. Und dies geschieht sehr häufig in der Abgrenzung zum »Anderen«, ob tatsächlich anders oder nur vermeintlich.

In Bezug auf die Juden ersetzte so ein wissenschaftlich verbrämter Antisemitismus die alten christlichen Motive für die ablehnende Haltung gegenüber den Juden. Es ist offensichtlich ein allgemeines psychisches Phänomen, bei Veränderungen das Gefühl von Unsicherheit zu vermeiden und mittels alt-neuer Ansätze eine Kohärenz herzustellen. Dies schließt nicht aus, dass man diese als neu und modern empfindet. Dabei verbleibt man wie stets im Muster der Auswahl und Verallgemeinerung in Bezug auf eine Outgroup. Man selektiert weiterhin unbewusst das, was man schon kennt, und verallgemeinert diese stark vereinfachten Bruchstücke. Unbekanntes, Unerwartetes übersehen die Betrachter allzu leicht und so können andere Fakten das einmal geschaffene kohärente Bild vom »Anderen« nicht wirklich infrage stellen.

Auch in der Interpretation diverser Bruchstücke folgt man eintrainierten Mustern, die teilweise sogar Uminterpretationen nötig machen, um das eigene Weltbild, das einem ein Sicherheitsgefühl gibt, konstant zu halten. Widersprüche werden (un-)bewusst ignoriert und so entsteht ein vermeintlich logisches Erklärungsmodell für einen komplexen Sachverhalt.54 Diese individualpsychologischen Prozesse vollziehen sich in einem gesellschaftlichen Umfeld, welches durch Machtverhältnisse strukturiert wird – so entstehen Feindbild -Narrative und Vorstellungen nicht unabhängig von bestehenden gesellschaftlichen (Macht-)Strukturen.

Als Grund für die Judenfeindschaft ermittelt Jacob Katz ein emotionales Vorurteil, welches die psychologische Begründung dafür ist, dass das Bild bei sich ändernden Ideologien weitestgehend konstant blieb.55 Die Bewertungskomponenten für Juden, die die Periode des sogenannten »Früh-Antisemitismus« kennzeichnen, wie

»böse, fremdstämmig, hinterlistig, machtbesessen, materialistisch, minderwertig, parasitär, unlauter, unmündig, unredlich, unsittlich, verstockt, zerstörerisch, krankhaft, separatistisch, unrein und unzivilisiert«56

tauchen in der Geschichte und bis heute immer wieder auf.57

Obwohl sich die Argumentation in Folge der Säkularisierung verändert hat, blieben diese Stereotypen weitestgehend konstant.58 Das rassistisch-anthropologische Denken in Verbindung mit dem Glauben an die Objektivität der Wissenschaften als Folge der »Aufklärung« – was den Diskurs um die Juden ebenso betraf wie etwa den um die Frauen und die sogenannten Menschenrassen – hat sogar alte, religiös verbrämte »Wahrheiten« verfestigt, da sie nun als »wissenschaftlich geprüft« und somit »bewiesen« gelten konnten.59

Johann Andreas Eisenmengers Entdecktes Judentum, das Anfang des 18. Jahrhunderts erschien und die Juden als antichristliche Häretiker »entlarvte«, sowie Jakob Friedrich Fries’ Über die Gefährdung des Wohlstands und des Charakters der Deutschen durch die Juden von 1816, das die religiöse Betrachtungsweise durch eine soziologisch-politische ersetzte, wodurch die Juden primär als gefährliche Nation wahrgenommen wurden, markieren zwei Meilensteine in der Veränderung der Argumentation über die Juden einerseits und die Kontinuität ihrer Diffamierung andererseits.60

Besonders in den Äußerungen und den Schriften August Rohlings, vor allem in Der Talmudjude, kamen die alten Mythen und Fehlinterpretationen von Eisenmenger & Co. in wissenschaftlich verbrämter Form wieder daher.61 Dass Rohling damit Ruhm und Professorentitel erwarb, zeugt von der Anfälligkeit aller, das Erwartete nicht der gleichen Prüfung zu unterziehen, wie es bei unerwünschten Thesen erfolgen würde – die Wissenschaft hat hier auf ganzer Linie versagt. Gerade die vermeintlich wissenschaftlichen Erkenntnisse ersetzten nun alte Vorurteile, die somit als objektiv galten und sich als stabile kognitive Systeme etablieren konnten. Nicoline Hortzitz spricht in diesem Zusammenhang treffend von Evidenzsuggestion.62

Interessant ist auch eine scheinbar gegenläufige Bewegung im Diskurs um die Juden. Dem Hofprediger Adolf Stoecker gelang es zeitweise, den antisemitischen Diskurs zu rechristianisieren – und er entsprach damit sicher dem Volksempfinden. Unbewusst und nun auch bewusst empfand sich »der Deutsche« als Christ, Säkularismus hin oder her. Auch hier entpuppt sich der Bruch zur voraufklärerischen Zeit als weniger prägnant. Man vergleiche damit aktuelle Debatten um das »christliche Abendland«, während man gleichzeitig auf Aufklärung und Säkularismus pocht.

Diesen Mechanismus kann man bis heute beobachten. Denn Formulierungen verraten oft unreflektierte Prämissen. So steckt in der Aussage »Das Verhältnis von Deutschen und Juden hat sich normalisiert« eine ebenso ausgrenzende Prämisse wie in der Formulierung »Das Verhältnis von Deutschen und Muslimen verbessert sich«. In beiden Fällen wird eine religiöse Kategorie dem Deutschsein gegenübergestellt. Die Gegenprobe mit der unmarkierten Formulierung verrät nun die nicht explizite Grundlage einer solchen Äußerung: »Das Verhältnis von Deutschen und Christen ist…« Letzterer Satz wäre unsinnig und zeigt, dass viele – Säkularität und Atheismus hin oder her – Deutsche immer noch für grundsätzlich christlich halten. Eine vergleichbare Bezeichnung wie »deutsch-jüdischer Autor« oder Ähnliches zeigt seine Redundanz erst in der Gegenprobe mit der Formulierung »deutsch-christlicher Autor«. Dieser sprach­liche Ausgrenzungsmechanismus weist auf Einteilungen hin und liegt noch weiter unterhalb der Schwelle der Ablehnung – auch Philosemitismus und Unbedachtheit grenzen darum aus dem »normalen« Kollektiv aus.63

Nicht nur, aber auch in der historischen Entwicklung lässt sich die Konstanz in der Ablehnungshaltung bei gleichzeitiger Varianz in den Motiven beobachten. Es lassen sich regionale Unterschiede ausmachen, so etwa die Bezeichnung der Juden als »asiatisch« in Deutschland und als »germanisch« in Ungarn im 19. Jahrhundert, was bezeugt, dass es sich um eine willkürliche Wahrnehmung des Anderen schlechthin handelte.64 Die allgemeine Kategorisierung der Juden als jeweils »anders« erleichtert eine verstärkte Wahrnehmung der Gruppe bei allen nur erdenklichen Thematisierungen.

Darüber hinaus spielen Konzeptmetaphern eine wichtige Rolle im rassistischen Diskurs – ebenso wie bei der Kreation eines Bedrohungsszenarios und schließlich eines Feindbilds.65 Neben der entmenschlichenden Tiermetaphorik wurde bezüglich der Juden vor allem eine Vorstellung von Krankheit formuliert.66 Die Eigenlogik dieser Metapher suggeriert den impliziten Schluss: Vor Krankheit muss man sich schützen.67

Also konnten aggressive Taten als Akt der Selbstverteidigung interpretiert werden. Diese Strategie kann als ein Mittel zur Wahrung und Propagierung eines idealisierten Selbstbildes verstanden werden, da man sich ja selbst nicht als ungerecht empfinden wollte und die eigene Dominanz als gerecht erscheinen sollte. All diese zumeist unbewussten Mechanismen, denen wir auch heute unterliegen, wirkten auf ihre fatale Weise bei der Begründung einer skeptischen oder gar ablehnenden Haltung den Juden gegenüber zusammen.

Antisemitismus und Islamophobie

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