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2.3 Die Folgen: Die antisemitische Sicht auf die Welt

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Der lange geführte antisemitische Diskurs, der entsprechend der Epistemologie »wiederholen ist beweisen« einer antisemitischen Erziehung über Jahrhunderte hinweg gleichkam, konnte seine Wirkung nicht verfehlen. Die Juden erschienen als etwas anderes, eine Outgroup, denen man alle nur erdenklichen Negativa zuschreiben konnte. Zwar gab es durch persönliche Kontakte »Ausnahmen« von der negativen Sicht, aber Ausnahmen bestätigen bekanntlich die Regel. Auch dies ist ein Mittel des Zurückrückens widersprüchlicher Fakten ins stereotype Licht, das die Ursprungsmeinung konstant hält.

Wie stark die Macht des (sprachlichen) Konstrukts ist und dass die Funktion des Antisemitismus und nicht etwaige Realitäten für dominante Bilder verantwortlich sind und diese am Leben erhalten, zeigt sich vor allem darin, dass gerade in Gegenden mit gänzlich fehlender jüdischer Population der Antisemitismus stark ausgeprägt war.112 Konnten Kontakte teilweise das stark verzerrte Bild noch relativieren, so entfiel dort diese Möglichkeit vollends und das Hörensagen stellte den einzigen Erfahrungswert dar.113 Zudem wurden und werden gerne die vielen Begriffe der Gaunersprache, die aus dem Jiddischen stammen, als Indiz oder gar Beweis für die »Charakterschwäche« der (sprich: aller) Juden gewertet. Wie der Journalist Ronen Steinke in seinem Büchlein Antisemitismus in der Sprache aufzeigt, wurde das Phänomen nicht als Ausdruck der strukturellen Gewalt durch Berufsbeschränkung erkannt.114 Steinke zeigt auf, wie die Reaktion auf die strukturelle Diskriminierung auf die Opfer derselben projiziert wird; ein Mechanismus, der über das Gaunertum – heute würde mal eventuell an »Clans« denken – geht.

Sobald Mitglieder der Führungselite – die Opinion Leader – sich offen zum Antisemitismus bekannten, kam dies einer öffentlichen Anerkennung des Gedankenguts gleich. Damit war jemand mit einer gegenteiligen Meinung in der Minderheit und konnte diese weniger laut und überzeugend vertreten – schon allein, weil nicht an die dominierenden Vorstellungen angeknüpft werden konnte. Antisemitische Akteure konnten hingegen effektiv (latent) vorhandenes und kollektiv akzeptiertes »Wissen« voraussetzen und hieran anschließen.

Diese Orientierung am Mainstream ist bei allen öffentlichen Debatten zu beobachten. Wie stark die Indoktrination sogar die Mitglieder der geouteten Gruppe selbst betraf, beschreibt Victor Klemperer mit vielen Beispielen. Dem Sog der (sprachlichen) Ausgrenzung und Diffamierung konnten sich auch die Betroffenen kaum entziehen. Dies konnten die Mitglieder anderer Outgroups zum Beispiel der polnischen Minderheit oft auch nicht, die auf die Juden als etwas Schlechteres verwiesen – was wiederum auch als Strategie der eigenen Entlastung bzw. versuchten Aufwertung verstanden werden kann.115

Daniel Goldhagen hat in seinem Buch Hitlers willige Vollstrecker die Frage aufgeworfen, wie man sich dem Eindruck von Gefahr hätte entziehen können, nachdem diese jahrelang als von den Juden kommend heraufbeschworen worden war. Umgekehrt könnte mehr darüber nachgedacht werden, welche Personen sich im Dritten Reich angesichts der Massivität des antijüdischen Diskurses diesem Einfluss entziehen konnten. Außerdem stellt sich die Frage, welche Motive ausschlaggebend waren, um Juden im Dritten Reich zu unterstützen. Wichtig wäre beispielsweise zu wissen, welche Werteerziehung die Helfer hatten.

Denn auch in Zeiten der Indoktrination – im Falle des Judenhasses eine Zeitspanne von mehreren hundert Jahren – gab es immer wieder Menschen, die solche Mechanismen durchschauten, bei denen der Menschenhass nicht fruchten konnte und die damit zeigten, dass Eigenverantwortung und Wahlfreiheit im Handeln eng miteinander verknüpft sind. Sie entheben gerade nicht die Mehrheit von der Verantwortung für ihr Handeln, so kohärent sich auch das sie umgebende diskursive System über eine potenzielle Outgroup präsentierte.

Antisemitismus und Islamophobie

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