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II.
Der lange kultivierte Antisemitismus und seine Folgen

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Die Reduktion der Diskussion um den Antisemitismus auf den Holocaust verhindert ein Verstehen der Zusammenhänge ebenso wie ein Übertragen der Erkenntnisse auf andere Manifestationen von Rassismus sowie dem zugrundeliegenden rassistischen und verschwörungstheoretischen Denken. Viele Arbeiten von heute werden von dem moralischen Fazit der Verbrechen in der Vergangenheit dominiert. Die Erkenntnis über das Möglichmachen der systematischen Vernichtung von Menschen verhindert aber nicht automatisch neue Diffamierungen bis hin zur Entmenschlichung. Die Konstruktion von alten oder neuen Feindbildern kann von der Beleidigung des Gegenübers über die Ausgrenzung einer Personengruppe bis hin zu ihrer angestrebten oder tatsächlichen Vernichtung führen.

»Die Aufzählung von Grausamkeiten hat noch nie weitere Grausamkeiten verhindert.«1

Im Fall des Antisemitismus ist aus heutiger Sicht – also a posteriori – das verwerfliche Handeln ganz klar. Erkenntnisse aus der Antisemitismusforschung können darum helfen, auch a priori entmenschlichende Mechanismen zu durchschauen, die immer ein Potenzial zu weiteren Aktionen beinhalten, welchen Grades auch immer.2

Dabei ist es wichtig, nicht ausschließlich die Zeit des Nationalsozialismus zu fokussieren, da die Radikalisierung des vorhandenen Antisemitismus in der Nazidiktatur »lediglich« den Kulminationspunkt einer langen Diskurs- und Denktradition darstellt.3 Was nicht heißt, dass die Nazis in Ausgestaltung und Perfidie nicht noch eine besondere Menschenverachtung an den Tag legten. Aber besonders wichtig ist in diesem Zusammenhang der jahrhundertealte wegbereitende Diskurs, der dieses Denken und Handeln erst möglich gemacht hat, sprich: das »Vorgewusste«, die Vorurteile, die viele Menschen das Behauptete haben leichter glauben machen können.

Ein anschauliches Beispiel liefert über die Zeit des 19. und des frühen 20. Jahrhunderts hinaus die filmmediale Gestaltung des Antisemitismus im Nationalsozialismus. Die Analyse des Propagandafilmes Der ewige Jude kann also durchaus hilfreich sein, weil dort neben vielen Übertreibungen auch gängige mediale Darstellungsweisen sichtbar werden. Den Betrachtern sollte dabei jedoch bewusst sein, dass der Streifen eben keine Dokumentation, sondern ein Werkzeug des Hasses ist: eine völlig überzogene Zusammenstellung offensichtlich fest verankerter Stereotype.

Die uns leitende Fragestellung muss sein: Wie konnte den vornehmlich christlichen Deutschen das Gefühl vermittelt werden, dass die Diskriminierung ihrer jüdischen Mitbürger berechtigt sei?

Antisemitismus und Islamophobie

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