Читать книгу Antisemitismus und Islamophobie - Sabine Schiffer - Страница 20
2.2.3 Die mediale Aufbereitung des Antisemitismus im Nationalsozialismus: Der ewige Jude
ОглавлениеDas Propagandaministerium gab Ende der Dreißigerjahre des 20. Jahrhunderts die Filme Jud Süß und Der ewige Jude in Auftrag, welche die Juden als »verderbliche Klasse« vorführen sollten.108 Obwohl letzterer kein Kassenschlager wurde, bringt dennoch die Analyse dieser »Dokumentation«, im Gegensatz zu dem Beitrag aus dem Filmgenre, erhellende Erkenntnisse über Techniken und argumentative Strukturmerkmale im antisemitischen Diskurs in den Medien der damaligen Zeit.
Für mich [Sabine Schiffer] bedeutete das Ereignis, diesen Film im Rahmen der Fünfzigjahrfeier des Staates Israel in Erlangen sehen zu können, eine einschneidende Zäsur in meiner Arbeit. Die Parallelen zu heute geführten diskriminierenden Diskursen, wie dem über den Islam, aber auch dem über Migranten und andere markierte Gruppen, waren deutlich erkennbar. Die Hilflosigkeit, mit der sowohl das Publikum als auch der begleitende Pädagoge bei der Vorführung 1998 auf diesen Film reagierten, machte deutlich, dass eine Reflexion über die Struktur von antisemitischer sowie rassistischer Propaganda noch nicht allgemein und schon gar nicht ausreichend stattgefunden hat.109
Zum Film: Im Vortext wird bereits faktizierend auf »Das Problem des Weltjudentums« hingewiesen. Dabei wird Polen kurzerhand zur »Niststätte der Juden« erklärt – ein Begriff aus der Tierwelt. An die Konzeptmetapher »Tier« kann später kohärent angeknüpft werden, wenn von »Ratten« die Rede ist und das »Parasitentum« der Juden bewiesen werden soll: das Konzept »Ungeziefer« stellt dabei eine Subkategorie zur Tier-Metaphorik dar. Die Bilder aus den östlichen Gettos erhalten erst durch den Text ein skurriles Licht. Die interpretierende Vertextung ist auch dafür verantwortlich, dass die Tierhaftigkeit von Juden, welche sich demnach in der Enge, dem Schädlingsbefall und dem ärmlichen Aussehen manifestiert, auf die Juden selbst zurückfällt und nicht etwa auf deren spezifische Situation. Die vorinterpretierte Kausalität führt zu einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung, die es erlaubt, den starken Dualismus auch auszusprechen: alliterativ werden »Werte« als »arisch« und »Waren« als »jüdisch« gegenübergestellt.
Die These von der »Unterwanderung« durch die Juden wird pseudowissenschaftlich belegt durch Zitate – so zum Beispiel aus dem 5. Buch Mose: »die Fremden magst Du überwuchern […], deinesgleichen nicht« (siehe oben), die durch ihre eigenwillige Übersetzung und ihr Herausgerissensein aus dem Zusammenhang einen gänzlich falschen Eindruck erwecken.110 Mithilfe seltsam anmutender Bilder von betenden (wippenden) Juden wird zudem ihre Zurechnungsfähigkeit angezweifelt. Der Religiosität der Outgroup wird die Rationalität der Ingroup gegenübergestellt, die wissenschaftliche »Beweise« für die Niedertracht der Juden anführen könne. So wird mithilfe der Linguistik nachgewiesen, dass Fachausdrücke der Gaunersprache aus dem Hebräischen und Jiddischen stammen – und dies angeblich »aus gutem Grund«.111
Die Technik der Sinn-Induktion kommt sowohl sprachlich als auch bildlich häufig zur Anwendung. So wird die Gefahr, die durch die Juden drohe, in Kartenschaubildern visualisiert, die sinn-induktiv hintereinander geschnitten sind: Eine grafische Darstellung der jüdischen Expansionsgeschichte wird verknüpft mit Aufnahmen von Unmengen von Ratten, die die Konzepte »Masse« und »Ungeziefer« evozieren und mit einer grafischen Darstellung der Ausbreitung der Ratten und der Juden über die ganze Erde verschmelzen. Suggerierter Schluss: Die Juden vermehren sich wie Ungeziefer und trachten nach weltumspannender Macht.
Der Text untermauert diese Interpretation. Der vermeintliche Gegensatz zu den Nichtjuden, der im östlichen Ghetto augenfällig ist – nicht aber im Berlin der Dreißigerjahre –, wird dadurch aufrechterhalten, dass den Berliner Juden Verstellung vorgeworfen wird. Die zuvor geforderte Assimilation wird nun als Verkleidungsmanöver »enttarnt«, die Berliner Juden damit ins stereotype Licht zurückgerückt. Diese Interpretation wird dadurch verstärkt, dass man mit harten Fakten – nämlich Zahlen – »beweist«, wie sich die Juden angeblich immer noch vor der Arbeit drückten. Ihr geringer Anteil an der hoch geschätzten Arbeiterschaft und ihr vergleichsweise hoher Anteil an Bildungsberufen, etwa Richter, Anwälte oder Ärzte sowie bei Geschäftsleuten, wurde als Beweis für deren Verstellungskunst und Verschwörungsdrang angeführt.
Die Selektion der dann folgenden Filmausschnitte, in denen die Rollen jüdischer Film- und Theaterdarsteller die negativen Charakterzüge der Juden allgemein belegen sollten, ist nicht nur absurd, sondern zeigt deutlich den Teufelskreis, in dem sich die Juden befanden. Hier konnte bereits explizit auf die Früchte eines lange geführten Diskurses, der die Vorurteile über Juden festgeschrieben hatte, zurückgegriffen werden. Die entsprechende Kontextualisierung der Fakten und Verleumdungen und deren Wiederholung in immer neuen Schattierungen wirkte so kohärenzstiftend, dass selbst der Bruch, filmisch Fiktionales – Sequenzen aus dem Film Die Rothschilds – als »Beweis« in einer »Dokumentation« anzuführen, nicht aufstieß.
Die Diffamierung erfolgreicher Juden schlug sich in Begriffskombinationen wie »Bühnendiktator« und »Relativitätsjude« nieder – ebenfalls eine alte antisemitische Diskurstradition, womit auch Personen wie Max Reinhardt und Albert Einstein ins stereotype Licht des Nur-Jude-seins zurückgeordnet wurden. Die sogenannte Dokumentation endet mit abschreckenden Szenen des Schächtens, wobei entsprechend dem dualistischen Ansatz die »Arier« als Tierfreunde und die Juden als barbarische Tierfeinde monosemiert wurden. Im Endfokus dann die Hitlerrede, die die »Lösung des Problems« verspricht – hinterlegt mit Einblendungen sauberer, heller »Ariergesichter«.
An diesem Kulminationspunkt antisemitischer Propaganda war ein sehr hoher Explizitheitsgrad erreicht, da immer wieder auf das zuvor hinter vorgehaltener Hand Geäußerte und die kollektiv vorhandenen latenten Überzeugungen als »Wissen« zurückgegriffen werden konnte. Da bei Der ewige Jude die Intention des Auftraggebers bekannt ist, wird klar, wie gezielt bestimmte Techniken hier eingesetzt wurden, um bestimmte Wirkungen zu erzielen. Der Film wurde zudem mehrmals im Sinne des Auftraggebers, Joseph Goebbels, neu geschnitten.
Allerdings können die gleichen Techniken auch aus Unbedacht zur Anwendung kommen, wie wir noch sehen werden. Die oben zitierten Autoren (Andics, Noack, Katz und Hortzitz) verweisen zu Recht auf das Faktum, dass der antijüdische Diskurs sowohl durch »böse Absicht« als auch »aus Unwissenheit« immer wieder neue Nahrung fand, was niemanden entlasten darf, sondern – im Gegenteil – vor jeglicher Verharmlosung warnen soll.