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1. Begriff der Befangenheit

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Die gesetzliche Definition in § 24 II StPO besagt zwar, was Bezugspunkt der Besorgnis sein muss (nämlich die Unparteilichkeit), bestimmt aber nicht, auf wessen Blickrichtung es ankommt. Der betreffende Richter selbst wird sich häufig nicht für befangen halten. Eine tatsächliche Voreingenommenheit wird man daher nur selten feststellen können und wird deshalb auch nicht gefordert[10]. Da nach § 24 II StPO bereits ein Grund ausreicht, der „Misstrauen“ gegen die Unparteilichkeit rechtfertigt, muss es auf die „Empfängerperspektive“, dh zumeist auf die Sicht des Angeklagten ankommen. Entscheidend ist, ob dieser Anlass zum Misstrauen hat. Um aber die Schwelle der Befangenheit nicht zu weit unten anzusetzen, sodass bereits jede skeptische Bemerkung eine Ablehnung begründen könnte, müssen Überempfindlichkeiten des Angeklagten unbeachtlich bleiben. Man wird daher darauf abstellen müssen, ob der durchschnittliche Beobachter, der sich in die Rolle des Angeklagten versetzt, bei verständiger Würdigung der Umstände den Verdacht hegen würde, es bestehe eine Voreingenommenheit[11]. Damit wird der „vernünftig denkende“ bzw „verständige“ oder „besonnene“ Angeklagte zum Leitbild[12].

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Beispiele, in denen Befangenheit bejaht wurde[13]:

BGH MDR 1958, 741: In einem Totschlagsverfahren sagt der Richter zum Angeklagten, es möge ihm „seine tote Frau nachts vor Augen treten“.

BGH StV 1986, 369: Richter geht mit dem Angeklagten Tennis spielen und anschließend zum Essen.

BayObLG NJW 1993, 2948: Gerichtsvorsitzender sagt zum Angeklagten: „Nach Aktenlage lügen Sie unverschämt.“

OLG Frankfurt StV 2001, 496: Erlass eines vorläufigen Berufsverbots im Zwischenverfahren ohne vorherige Anhörung des Angeschuldigten. In diesem Fall ist die Grenze zwischen hinzunehmenden Verfahrensfehlern (diese können gerügt oder auf sie kann uU ein Rechtsmittel gestützt werden) und schweren Verfahrensfehlern überschritten. Bei schweren Verfahrensfehlern erscheint ein Weiterwirken des Entscheidungsträgers als inakzeptabel. Bei schweren Grundrechtseingriffen ohne Beachtung der verfahrensrechtlichen Schutzvorschriften oder bei einem Vorgehen, das den Anschein der Willkür erweckt (beides dürfte im Fall des OLG Frankfurt erfüllt sein), sollte eine Befangenheit des Entscheidungsträgers bejaht werden[14].

OLG Brandenburg StV 1997, 455: Nach einem Gerichtsbeschluss entgegen dem Antrag der Verteidigung sagt der Vorsitzende: „Ihre erste Niederlage, Herr Verteidiger“.

LG Mainz StV 2004, 531: Richter erklärt am Telefon gegenüber dem Verteidiger, die Einlassung des Beschuldigten in der Hauptverhandlung sei „schwachsinnig“ und der Sachverständige, der im vorbereitenden schriftlichen Gutachten diese Aussage gestützt hat, müsse sich „für die Hauptverhandlung warm anziehen“.

KG StV 2005, 490: Der Vorsitzende entgegnet auf die den Tatvorwurf bestreitende Einlassung des Angeklagten: „Dann will ich es Ihnen mal erklären, denn Sie waren es.“

BGH StV 2006, 59: Mehrere Beweisanträge zur Schuldunfähigkeit des Angeklagten wurden gestellt, die Verhandlung wird daraufhin für eine Stunde unterbrochen. Auf Hinweis eines Verteidigers, dass die Unterbrechung zu kurz sei, erklärt der Vorsitzende noch vor der Beratung: „Meinen Sie, dass wir die Anträge noch schneller ablehnen können?“

BGH NStZ 2016, 218[15]: Vorsitzender Richter einer Strafkammer veröffentlicht auf Facebook ein Bild, auf dem er ein T-Shirt mit der Aufschrift trägt: „Wir geben Ihrer Zukunft ein Zuhause: JVA“ – kommentiert mit „Das ist mein ‚Wenn Du rauskommst, bin ich in Rente‘-Blick“.

BGH StraFo 2018, 188: Im Urteil eines früheren Verfahrens, in dem der jetzige Angeklagte als Zeuge ausgesagt und der jetzige Gerichtsvorsitzende als Richter mitgewirkt hatte, wurde der Zeuge als „impertinent“ klassifiziert.

BGH NStZ 2019, 223: In einem Fall mit mehreren Angeklagten, die möglicherweise bei der (bereits zugegebenen Tat) als Bande agierten, bespricht der Richter mit nur einem Verteidiger eines Angeklagten das bisherige und zukünftige Aussageverhalten und stellt für ein Geständnis im Sinne der Anklage (unter Zugeben des Bandenvorwurfs in Bezug auf alle Angeklagten) nur diesem einen Angeklagten eine erhebliche Strafmilderung in Aussicht.

BGH StV 2019, 154: Der Schöffe unterbricht die Einlassung des Angeklagten als „Quatsch“.

▸ Beispielsfall bei Beulke, Klausurenkurs III, Rn 58a.[16]

§ 4 Ausschließung und Ablehnung des Richters › II. Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit, § 24 II StPO › 2. Besondere Fallgruppen

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