Читать книгу Strafprozessrecht - Sabine Swoboda - Страница 98

2. Die Bindung der Staatsanwaltschaft an Präjudizien

Оглавление

147

Gem. § 152 II StPO besteht für den Staatsanwalt eine Pflicht zum Einschreiten, wenn zureichende tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen, dass eine verfolgbare strafbare Handlung begangen wurde. Bei hinreichendem Tatverdacht muss gem. § 170 I StPO Anklage erhoben werden (Legalitätsprinzip). Offen bleibt dabei jedoch, wer über die Rechtsfrage entscheidet, ob das fragliche Verhalten eine „verfolgbare strafbare Handlung“ darstellt. So entsteht das Problem, ob sich die StA auf den Standpunkt stellen kann, ein bestimmtes Verhalten sei aus Rechtsgründen nicht strafbar, folglich auch nicht anzuklagen, obwohl die Rspr dieses Verhalten für strafbar hält. Umgekehrt kann auch der Fall eintreten, dass die StA eine Tat anklagen möchte, hinsichtlich derer nach der Rechtsauffassung der Gerichte nur ein Freispruch in Frage kommt.

Für den letzteren Fall dürfte es der StA nicht verwehrt sein, eine hergebrachte Gerichtspraxis zur Überprüfung zu stellen. Sonst hätten die Gerichte mangels Anklage überhaupt nicht die Gelegenheit, eine einmal etablierte Rechtsprechung zu korrigieren. Aus Sicht des Beschuldigten stellt es zwar eine nicht unerhebliche Belastung dar, sich dem gerichtlichen Verfahren stellen zu müssen[25], das Erfordernis des Eröffnungsbeschlusses (§ 203 StPO) bietet jedoch ausreichenden Schutz.

148

Problematisch ist dagegen die erste Fallgruppe, in der die StA entgegen der Rspr die Strafbarkeit verneint. Die im Schrifttum wohl schon hL lehnt die Bindung des Staatsanwalts an die höchstrichterliche Rechtsprechung ab[26]. Dafür spricht, dass die StA gem. § 150 GVG vom Gericht unabhängig ist und als Herrin des Ermittlungsverfahrens im Rahmen des ihr eingeräumten Beurteilungsspielraums frei über die Erhebung der Anklage bzw die Einstellung des Verfahrens entscheiden kann. Einen Verstoß gegen das Legalitätsprinzip (§§ 152 II, 170 I StPO) könnte man mit der Begründung ablehnen, dieses komme nur zum Tragen, sofern auch nach Ansicht der Anklagebehörde eine verfolgbare Straftat vorliege.

Zutreffend befürworten jedoch die Rspr[27] und ein großer Teil des Schrifttums[28] die Bindungswirkung. Die rechtsprechende Gewalt ist nach Art. 92 GG den Gerichten übertragen. Im Widerspruch dazu wäre diesen wegen des Anklagemonopols der StA die Möglichkeit genommen, über ein Rechtsverhältnis abschließend zu entscheiden, wenn es der StA freistünde, ein Verfahren wegen einer Sache einzustellen, in der es – den von der StA ermittelten Sachverhalt unterstellt – nach der Auffassung der Gerichte zu einer Verurteilung kommen müsste. Dies würde auch dem Sinn des § 170 I StPO widersprechen, nach dem „Anlass zur Erhebung der öffentlichen Klage“ dann gegeben ist, wenn eine hinreichende Wahrscheinlichkeit der Verurteilung besteht. Außerdem wäre die Gleichheit vor dem Gesetz (Art. 3 I GG) gefährdet, wobei insbes. die Weisungsunterworfenheit der StA Anreiz zu Missbräuchen geben könnte. Ergänzend ist schließlich noch auf den Gewaltenteilungsgrundsatz hinzuweisen, nach dem es nur dem Gesetzgeber obliegt, einer festen Rechtsprechung durch Änderung des Gesetzes die Grundlage zu entziehen. Für die Unabhängigkeit der StA (§ 150 GVG) bleibt im Rahmen der Beurteilung von Tatsachenfragen genügend Raum. Ihr steht es im Übrigen frei, ihre Rechtsauffassung im gerichtlichen Verfahren zu vertreten und ggf Freispruch aus Rechtsgründen zu beantragen.

Auf der Grundlage dieser Auffassung stellt sich aber noch das Anschlussproblem, wann eine Rechtsprechung als hinreichend gefestigt anzusehen ist, damit eine Bindungswirkung eintritt. Hier sollte man den Handlungsspielraum des Staatsanwalts eher großzügig bemessen und eindeutige BGH-Urteile bzw eine ständige unangefochtene Rechtsprechung unterer Gerichte fordern. Sind diese Anforderungen nicht erfüllt, hat die StA die Frage der Strafbarkeit selbst zu entscheiden[29].

§ 5 Die Staatsanwaltschaft › IV. Stellung der Staatsanwaltschaft › 3. Anklagepflicht bei „außerdienstlicher“ Kenntniserlangung?

Strafprozessrecht

Подняться наверх