Читать книгу Der Riesen Arztroman Koffer Februar 2022: Arztroman Sammelband 12 Romane - Sandy Palmer - Страница 57

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Der Tag war hart gewesen — und er war noch nicht zu Ende. Jochen Gorbach erwartete noch den Besuch eines wichtigen Holzlieferanten, mit dem er ins Geschäft kommen wollte, denn bei diesem Mann stimmten nicht nur Preis und Qualität, er war in der gesamten Möbelbranche darüber hinaus auch als äußerst zuverlässig bekannt, und man unternahm deshalb alle Anstrengungen, ihn als Partner zu gewinnen.

Aus diesem Grund wollte ihn Jochen auch nicht in seinem Fabrikbüro, sondern in der Villa empfangen, um der Zusammenkunft einen gemütlicheren, privaten Anstrich zu verleihen.

Ein giftgrüner Rasenmäher-Traktor ratterte über die großen Grünflächen, von denen die Villa umgeben war. Ein Mann in verschwitztem schwarzem T-Shirt steuerte das Gefährt. Jochen kannte ihn nicht.

Die Grundstückspflege oblag einer Großgärtnerei, deren Personal häufig wechselte, weil das Gehalt so niedrig war. Es tauchte so häufig ein neues Gesicht auf, dass Jochen sich nicht mehr bemühte, sich eines zu merken. Hauptsache, die Arbeit wurde zufriedenstellend erledigt. Von wem, das war unbedeutend.

Jochen betrat die Villa.

Tamara war im Salon. Schweigsam. Geistesabwesend. Mit dunkelblauen Schleifen an den Zöpfen. Aha. Jochen wusste Bescheid. Ihr Stimmungsbarometer war mal wieder ganz unten. Möglicherweise hätte ihr ein Psychiater helfen können, doch davon wollte sie nichts wissen. Er hatte nur mal eine vage Andeutung in dieser Richtung gemacht, und Tamara war sofort die Wände hochgegangen.

Sie war das seltsamste Mädchen, das ihm je begegnet war. Und — ganz ehrlich — er hätte inzwischen nichts mehr dagegen gehabt, wenn sie sich verabschiedet hätte.

Seit seiner Rückkehr in die Fabrik fühlte er sich wieder stark zu Jasmin hingezogen, und er glaubte zu wissen, dass auch er ihr noch nicht gleichgültig war. Manchmal fragte er sich sogar, warum er sich von dieser hübschen, liebens und begehrenswerten Frau zurückgezogen hatte. Er konnte damals nicht alle fünf Sinne beisammen gehabt haben, und er war froh, dass es inzwischen noch keinen anderen Mann in Jasmins Leben gab. Vielleicht ließ sich alles wieder einrenken.

Aber nicht, solange 'Tamara bei ihm war. Er hatte sofort gemerkt, dass die beiden Frauen sich nicht mochten, und seither dachte Jochen — wenn ihm die viele Arbeit als Designer und Leiter der Möbelfabrik Zeit dazu ließ — darüber nach, wie sich dieses Problem auf eine anständige Weise lösen ließ.

Er fragte Tamara nicht, wie es ihr ging. Das sah er. Er sagte ihr, wen er erwartete.

Sie schien ihm nicht zuzuhören. Sie stand auf und meinte: „Ich gehe ein bisschen spazieren. Darf ich?”

„Aber ja. Du brauchst doch nicht zu fragen.”

Sie blinzelte, als würde sie in diesem Moment aufwachen. Und sie sah Jochen so unsicher an, als wüsste sie nicht genau, was sie soeben gesagt hatte. War ihr am Ende etwas entschlüpft, das sie lieber für sich behalten hätte?

Tamara öffnete die Terrassentür und ging hinaus. Sie trug ein weißes Baumwollkleid mit verspielten Rüschen. Unheimlich jung sah sie heute aus. Überhaupt nicht wie Anfang Zwanzig.

In Gedanken versunken schlenderte Tamara davon. Das Knattern des Rasenmäher-Traktors störte sie nicht. Sie nahm es überhaupt nicht wahr, war geistig sehr weit weg — irgendwo in der Vergangenheit. Die Erinnerungen ließen sie versonnen lächeln. Sie dachte oft an die Zeit, die hinter ihr lag. In den letzten Tagen immer öfter. Und sie wurde dann immer sehr unruhig.

Dem Mann im verschwitzten schwarzen T-Shirt, der den Rasen mähte, schenkte sie keine Beachtung.

Aber er interessierte sich für sie. Sie war ihm sofort aufgefallen, als sie aus dem Haus gekommen war. Dieses junge Mädchen mit den Zöpfen und dem strahlendweißen Rüschenkleid erinnerte ihn an jemanden.

Sein Name war Hans Lapunsky. Er war ein unbeständiger Typ, ein Wandervogel, der es nirgendwo lange aushielt. Arbeit zu finden, fiel ihm nie schwer, denn er war freundlich, kräftig und zäh, hatte geschickte Hände und machte einfach alles. Selbst vor den schwierigsten Jobs drückte er sich nicht. Dass es ihn zumeist nach kurzer Zeit schon wieder weiterzog, war eine andere Sache.

Lapunsky war weit im Land herumgekommen. Flensburg, Kiel, Hamburg, Bremen, Hannover, Berlin, Köln, Aachen, Bonn, Frankfurt, Wiesbaden, Mainz, Saarbrücken, Karlsruhe, Stuttgart ... Ach, wo war er eigentlich noch nicht gewesen?

Und nun war er in München. Er hatte viel gesehen und erlebt, und die Finger seiner beiden Hände reichten nicht aus, um all die Jobs zu zählen, die er schon hinter sich hatte. Seine Chefs hatten nie Grund zu Klagen gehabt. Wenn er arbeitete, dann immer so, dass man ihm nichts nachsagen konnte. Und er war stolz darauf, behaupten zu können, noch nie entlassen worden zu sein. Die Dienstverhältnisse waren stets von ihm gelöst worden.

Dieses Mädchen ...

Lapunsky verlangsamte die Fahrt.

Diese Ähnlichkeit ...

Lapunsky änderte den Kurs.

Einfach verblüffend, diese Ähnlichkeit ... Oder war sie es? War es Tamara?

„Tamara!”

Das Mädchen blieb stehen, als wäre es gegen eine unsichtbare Wand gelaufen. Sie ist es, dachte Lapunsky aufgewühlt. Sie ist es tatsächlich! Liebe Güte sie ist hier! Hier in München. So ein verrückter Zufall. Wenn mir einer prophezeit hätte, dass ich hier auf sie stoße, hätte ich ihn ausgelacht. Ich hätte ihm gesagt, dass er bekloppt ist.

„Tamara!” Er hielt grinsend an. „Ist das eine Überraschung.” Er stieg ab.

Sie starrte ihn an — entsetzt, verstört, panisch.

„Du weißt, wer ich bin”, lachte er. „Ich seh’s dir an.”

„Hans Lapunsky”, kam es tonlos über ihre Lippen.

„Genau. Und du bist Tamara. Ich dachte vorhin, meinen Augen nicht trauen zu können. Die liebe, gute, brave, sanfte, gehorsame Tamara, die mir niemals Schwierigkeiten machte, die immer still und artig war, über die ich mich nie zu ärgern brauchte. Tamara Ettrich — hier in München.”

„Eggert. Tamara Eggert.”

Lapunsky grinste breit. „Ich weiß genau, dass du früher Ettrich geheißen hast. Weißt du, wieso? Ich hatte mal eine Freundin, die Ettrich hieß. Magda Ettrich. Deshalb habe ich mir deinen Namen gemerkt. Also Eggert nennst du dich nun. Soll mir recht sein.” Er lachte meckernd. „Hattest allen Grund, dich umzubenennen, nicht wahr?”

Unverhohlene Feindseligkeit funkelte in Tamaras braunen Augen. „Weshalb bist du hier, Lapunsky?”

„Um den Rasen zu mähen. Und aus welchem Grund bist du hier?”

Sie antwortete nicht.

„Du hast doch nicht etwa wieder vor ... Hör mal, Tamara, ich muss mit dir reden, aber ich habe jetzt keine Zeit, muss zuerst meine Arbeit fertigmachen. Doch danach ... Wir treffen uns dort drüben hinter den Silbertannen. Sagen wir in zwei Stunden. Ich rate dir, zu kommen. Du weißt, was für dich auf dem Spiel steht. Sei pünktlich. Solltest du so unvernünftig sein, mich zu versetzen, sehe ich mich gezwungen, anstatt mit dir mit Gorbach zu reden. Ich kann mir nicht vorstellen, dass du das möchtest, weil ich dem Mann nämlich Dinge erzählen würde, von denen er mit Sicherheit keine Ahnung hat. Der Gute würde aus allen Wolken fallen ...”

„Ich werde kommen”, unterbrach ihn Tamara heiser.

„Das ist sehr klug von dir”, sagte Lapunsky zufrieden.

„In zwei Stunden hinter den Silbertannen.”

„Exakt”, sagte Lapunksy, setzte sich wieder auf die Maschine und brauste davon. Er hielt sich für einen Glückspilz, denn Tamara Ettrich — oder Eggert, wie sie sich nun nannte — war in seinen Augen ein Geschenk des Himmels.

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