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2.Gründe für die hohen Ausgaben im Rahmen der Vergütungsfestsetzung

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10Naturgemäß werden in Zeiten einer schlechten Haushaltslage gestiegene und hohe Ausgabepositionen kritischer hinterfragt, so dass die Beratungshilfe in den letzten Jahren auch daher etwas mehr in den Fokus der Verantwortlichen gerückt ist.28

Ab dem Jahre 2006 wurde bundesweit versucht, den Gründen dieser überproportionalen Steigerung auf den Grund zu gehen. Unter anderem hatte sich unter Federführung der Länder Sachsen-Anhalt und Nordrhein-Westfalen die Bund-Länder-Arbeitsgruppe „Begrenzung der Ausgaben für die Beratungshilfe“ konstituiert.

Die Aufgabe der Gruppe betraf Ursachenforschung, die Schaffung von gesetzlicher Hilfestellung für alle beteiligten Personen und die Suche nach Möglichkeiten, die Kostenexplosion einzudämmen.

Das Ergebnis dieser Untersuchungen ist in den danach eingebrachten Gesetzesentwurf des „Gesetzes zur Änderung des Beratungshilferechts“ gemündet, welcher am 7.5.2010 durch den Bundesrat genehmigt wurde und dann dem Bundestag vorlag.29 Der eingebrachte Entwurf war in der davor liegenden Legislaturperiode nicht mehr abschließend beraten worden und ist damit zunächst dem Grundsatz der Diskontinuität zum Opfer gefallen. Zwischenzeitlich wurde dann durch das Bundesministerium der Justiz am 4.5.2012 ein eigener, einheitlicher Referentenentwurf (RefE) hinsichtlich eines Gesetzes zur Änderung des Prozesskostenhilfe- und Beratungshilferechts vom 4.5.2012 vorgelegt, der sowohl die Reform der Beratungshilfe, wie auch der Prozesskosten- und Verfahrenskostenhilfe umfasste. Dieser mündete nach Anhörung des Bundesrates30 nun in den Gesetzesentwurf vom 14.11.2012,31 der schließlich in der Fassung des Rechtsausschusses vom 15.5.201332 am 16.5.2013 beschlossen wurde (nach Einigung im Vermittlungsausschuss am 26.6.2013) und seit dem 1.1.2014 in Kraft ist.33

10aDas zum 1.1.2014 in Kraft getretene Reformvorhaben bewirkte zahlreiche Änderungen im Beratungshilfegesetz. Im Folgenden sollen die wesentlichen Veränderungen in einer Zusammenfassung kurz wiedergegeben werden.

– Mutwilligkeit: Die Begrifflichkeit wurde definiert und präzisiert.

– Erforderlichkeit der Vertretungshandlung: Die Begrifflichkeit wurde definiert und präzisiert.

– Wegfall der Beschränkung auf Anwälte, Rechtsbeistände und Beratungsstellen und damit verbunden die Öffnung auch für neue Beratungspersonen.

– Veränderungen im Bewilligungsablauf.

– Beibehaltung des Direktzugangs.

– Frist zur nachträglichen Antragstellung.

– Option einer Bewilligungsaufhebung.

– Erfolgs- und Wahlanwaltshonorare sowie Leistungsmöglichkeit „pro bono“.

Seit dem Inkrafttreten der Reform zeichnet sich bis zum aktuellen Zeitpunkt ein stetiger Rückgang bei der Anzahl der gestellten Anträge an. Es liegt somit die Vermutung nahe, dass die damalige Reform den angestrebten Erfolg gebracht hat. Eine Sensibilisierung in der Ausbildung, ein höheres Augenmerk in der gerichtlichen Praxis werden zudem ihren Teil hierzu beigetragen haben.

11In Zusammenhang mit den Reformvorhaben wurden Praxisanhörungen sowie Prüfungen durch die staatlichen Rechnungsprüfungsämter durchgeführt. Die Beratungshilfe war Teil der Denkschriften der Rechnungshöfe Baden-Württembergs34 und Nordrhein-Westfalens35 sowie Gegenstand einer justizeigenen Controllinguntersuchung des Landes Baden-Württemberg (November 2007). Hierin wurden Vergleiche mit verschiedenen sozio-ökonomischen Daten aus verschiedenen Jahren einerseits und den Beratungshilfeausgaben anderseits vorgenommen.

12Seit vielen Jahren rangieren die Beratungshilfeanträge und die Auslagen auf einem hohen Niveau, allerdings ist in den vergangenen Jahren wie oben bereits erwähnt ein Absinken der Zahlen zu erkennen. Die Gründe für die Vielzahl der Anträge liegen nicht nur an niedrigen Einkommen, steigender Arbeitslosigkeit oder Wirtschaftskrisen. In Jahren von sinkenden Arbeitslosenzahlen haben sich die Ausgaben von Beratungshilfe nicht verringert. Ebenso bestätigten sich Vermutungen, dass Gerichtsbezirke mit einer höheren Arbeitslosenquote als andere auch höhere Fallzahlen haben, ebenfalls nicht.

Die Zusammenlegung von Sozial- und Arbeitslosenhilfe im Rahmen des Vierten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt („Hartz IV“) hat zum 1.1.2005 den Kreis der Beratungshilfeberechtigten zwar erheblich erweitert. Aber dass dies die Betroffenen vermehrt zu anwaltlicher Beratung und Vertretung treibe, geht nicht mit den tatsächlichen, nachprüfbaren Entwicklungen konform. In den Jahren 2006 und 2007 fanden vielfach Prüfungen durch die Landesrechnungshöfe statt. Der Landesrechungshof Nordrhein-Westfalen beispielsweise hatte im Jahr 2006 diesen Vorwurf geprüft und nur in 8,65 % aller Beratungshilfefälle einen „Hartz IV“-Bezug festgestellt.36 Nur 15,3 % der geprüften Verfahren betrafen überhaupt behördliche Verfahren.

Es lässt sich ein Trend erkennen, dass vermehrt Alltagsprobleme juristisch überprüft werden und die Hemmschwelle für die Inanspruchnahme einer Beratungsperson und damit auch die Eigeninitiative der Rechtsuchenden sinkt. Der Bericht des Landesrechnungshofs Nordrhein-Westfalen etwa stellt nach Auswertung umfangreicher Stichproben fest, dass in einer erheblichen Zahl von Fällen Beratungshilfe in Angelegenheiten bewilligt worden sei, die in den Bereich der allgemeinen Lebenshilfe fielen.37 Dies deckt sich auch mit den gerichtlichen Erfahrungswerten und den Untersuchungen der Bund-Länder-Arbeitsgruppe.

Im Rahmen der Untersuchungen wurde weiter festgestellt, dass sich unter den Antragstellern viele sog. „Vielfach-Antragsteller“ befanden, die eine Vielzahl von Alltagsproblemen mittels Beratungsperson in Form der Beratungshilfe lösen lassen. Auch erfolgen nicht selten im Rahmen der Erstmandatierung weitere Folgeanträge.

Des Weiteren stellt die außergerichtliche Schuldenbereinigung seit Inkrafttreten der Insolvenzordnung im Jahr 1999 einen Sonderfall der Beratungshilfe dar, der ebenfalls steigende Ausgaben verursacht. Durch das Gesetz zur weiteren Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens vom 22.12.202038 wurde mit Wirkung ab 1.10.2020 die Dauer der insolvenzrechtlichen Entschuldungsphase dauerhaft von bisher 6 auf zukünftig 3 Jahre halbiert. Dies gilt dabei für die natürlichen Personen, gleich ob Verbraucher oder Unternehmer. Die absehbare Folge dürfte sein, dass zumindest eine erste Welle an vielen Insolvenzanträgen befürchtet werden darf, die in den meisten der Fälle mittels der BerH vorbereitet werden wird.

Die steigenden Freibeträge, welche bei der Berechnung der Bedürftigkeit zu berücksichtigen sind, spielen ebenfalls eine Rolle.39 So betrug bspw. der Freibetrag für die Partei im ersten Halbjahr 2002 353,00 EURO, während dieser für den Zeitraum ab dem 1. Januar 2021 bereits 491,00 EURO (Freibetrag Bund) beträgt.

Die gesetzlichen Änderungen im Rechtsanwaltsvergütungsrecht in den vergangenen Jahren sowie aktuell spielen sicherlich auch eine entsprechende Rolle. Die Einführung des RVG gegenüber der bis dahin geltenden BRAGO, das 2. Kostenrechtsmodernisierungsgesetz 201340 sowie das aktuelle Kostenrechtsänderungsgesetz 2021 (KostRÄG 2021) zum 1.1.2021 lassen die Gebühren stetig steigen, so dass sich die Ausgaben weiter erhöhen werden.

In den bisherigen Gesetzesentwürfen zur Änderung des Beratungshilferechts waren als weitere Gründe die vor allem wenig konturierten Gesetzesbegriffe, Strukturschwächen des Bewilligungsverfahrens und mangelhafte Aufklärungsmöglichkeiten sowie die mangelnde Kenntnis anderer Hilfemöglichkeiten genannt.

Diese Defizite führten zu einer nicht hinreichenden Prüfung, einer vorschnellen Bejahung der Voraussetzungen der Beratungshilfe und zu einer uneinheitlichen Bewilligungspraxis der Gerichte. Vielleicht mag dies auch daran liegen, dass die Prüfungsdichte seitens der Gerichte betreffend die Beratungshilfe aufgrund der steigenden Zahlen in den vergangenen Jahren erheblich zugenommen hat. Wie bereits oben ausgeführt, sind ab dem Jahr 2015 rückläufige Zahlen zu verzeichnen.

Fazit:

Ob dieser Trend auch unter Berücksichtigung der in 2014 umgesetzten Reformen (die jedoch im Vergleich zu den früheren Entwürfen deutlich abgeschwächt wurden) sich fortsetzen wird, ist derzeit noch nicht abschließend beurteilbar.41 Die entscheidenden Indikatoren für einen Zuwachs oder auch ein Abschwächen der Fallzahlen lassen sich nicht genau bestimmen. Durch den merklichen Rückgang an Ausgaben seit 2014 und die deutliche Abnahme an veröffentlichten Entscheidungen zum Beratungshilferecht darf man zumindest annehmen, dass die Reform eine Kehrtwende eingeläutet hat. Nachdem nun mit dem Gesetz zur Modernisierung des notariellen Berufsrechts und zur Änderung weiterer Vorschriften weitere „Klarstellungen“ erfolgten, dürfte jedenfalls alles getan worden sein, um die bisherigen Unklarheiten im Gesetz zu beseitigen. Wirtschaftliche Indikatoren – wie die sich durch die Coronapandemie in naher Zukunft wohl abzeichnende stärkere Wirtschaftskrise – bleiben aber unberechenbar.

Beratungshilfe mit Prozess- und Verfahrenskostenhilfe

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