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Teil 1Beratungshilfe Kapitel 1:Einführung I.Allgemeines

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1Die Beratungshilfe ist das Pendant zur Prozesskostenhilfe im außergerichtlichen Bereich. Die Beratungshilfe basiert auf dem Beratungshilfegesetz (BerHG) vom 18. Juni 19801 (dieses ist am 1. Januar 1981 in Kraft getreten). Mit dem Gesetz zur Änderung des Prozesskostenhilfe- und Beratungshilferechts2 im Jahre 2014 hat das BerHG seine bisher umfangreichsten Änderungen erfahren. Kleinere weitere Änderungen im BerHG erfolgten durch das Gesetz zur Modernisierung des notariellen Berufsrechts und zur Änderung weiterer Vorschriften, welches zum 1.8.2021 in Kraft getreten ist (BGBl. I, 2154 v. 2.7.2021).3 Sh. hierzu Rn. 7a. Der Gesetzesentwurf wurde am 10.6.2021 in 3. Beratung im Bundestag verabschiedet. Dabei ergaben sich gegenüber dem Entwurf nur Änderungen bei den Artikeln 15-22 des ursprünglichen Gesetzesvorhabens. Im Übrigen – so der Rechtsausschuss – wurde der bisherige Gesetzesentwurf unverändert beibehalten. In der Bundesratssitzung vom 25.6.2021 wurde dem Entwurf zugestimmt. Das Inkrafttreten erfolgte zum 1.8.2021. Wie die gesetzliche Formulierung bereits besagt, ist sie Hilfe für die Wahrnehmung von Rechten außerhalb eines gerichtlichen Verfahrens (Beratungshilfe).

2Die Rechtsberatung für finanziell schwächer gestellte Bürger hat eine lange Tradition. Klinge4 geht in seinem Vorwort davon aus, dass jemand, der das Beratungshilfegesetz in rechter Weise verstehen und würdigen wolle, etwas über die Geschichte und Theorie des Gesetzes wissen müsse.

Hinweis:

Da sich dieses Buch indes in erster Linie als Nachschlagewerk für die Praxis versteht, wird an dieser Stelle daher von einer weiteren Vertiefung der Entwicklungs- und Entstehungsgeschichte abgesehen und lediglich die Zielsetzung des Gesetzes skizziert.

3Die Hilfe für die Wahrnehmung von Rechten außerhalb eines gerichtlichen Verfahrens wird auf Antrag gewährt, wenn der Rechtsuchende die erforderlichen Mittel nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen nicht aufbringen kann, andere Möglichkeiten für eine Hilfe nicht zur Verfügung stehen, deren Inanspruchnahme dem Rechtsuchenden zuzumuten ist und die Inanspruchnahme der Beratungshilfe nicht mutwillig erscheint, § 1 BerHG. Der Gesetzgeber hat nach zähem Ringen auch unter Berücksichtigung von Regelungen anderer Länder letztlich erkannt, dass „der Prozess keineswegs die allein mögliche Lösung ist, sondern die ultima ratio bei der Rechtsklärung sein sollte.“5

Das Beratungshilfegesetz hat sich aus dieser Tradition heraus entwickelt. Der Gesetzgeber hat sich letztlich unter den verschiedenen Gesetzesentwürfen für die anwaltliche Lösung entschieden. Aspekt war auch, dass es zu den anwaltlichen Primäraufgaben gehört, Prozesse zu vermeiden.6

Knapp ein Jahr nach der Prozesskostenhilfe wurde letztlich auch das Beratungshilfegesetz eingebracht und sollte zusammen mit dieser die bestehende Lücke im System der Rechtsberatung schließen, soweit noch keine Hilfe bestand.

Seit dem Gesetz zur Änderung des Prozesskostenhilfe- und Beratungshilferechts7 ist es erstmals auch anderen Berufsgruppen möglich, im Rahmen deren jeweiligen Kompetenzen (siehe hierzu Rn. 265) Beratungshilfe zu leisten. Die bisherige Praxis seit Inkrafttreten der Reform hat aber gezeigt, dass von dieser Möglichkeit bislang nur selten Gebrauch gemacht wird. Fast ausschließlich erfolgen nach wie vor die Beratungsleistungen durch Rechtsanwälte.

4Das Beratungshilfegesetz ist Ausfluss aus dem Prinzip des sozialen Rechtsstaates.

Es wurde eingeführt, um zu anderen Hilfsmöglichkeiten hinzuzutreten und vor allem dort wirksam zu werden, wo anderweitige Hilfe ganz fehlt.8

Es soll die Chancengleichheit bei der Rechtsdurchsetzung auch für finanziell schwächere Bürgerinnen und Bürger, unabhängig von Einkommens- und Vermögensverhältnissen, und damit den Gleichheitsgrundsatz nach Art. 3 GG wahren.9

Auch dieser Personenkreis sollte sich seiner Rechte bewusst sein und seine berechtigten Interessen unabhängig seiner finanziellen Mittel durchsetzen können und nicht an finanziellen Nöten, Schwellenängsten oder aufgrund von Bürokratie scheitern. Klinge10 formuliert es als eine der „Wesensaufgaben“ des Rechtsstaates, dass er seine Bürger über die Existenz und das Ausmaß seiner ihm zur Verfügung stehender Rechte sowie deren Anwendung aufklärt.

Das Beratungshilfegesetz sichert damit den Bürgern mit niedrigem oder keinem Einkommen gegen eine geringe Eigenleistung Rechtsberatung und Rechtsvertretung außerhalb eines gerichtlichen Verfahrens und im so genannten obligatorischen Güteverfahren zu.

Ein weiteres Ziel des Beratungshilfegesetzes ist ferner, durch diese finanzielle Unterstützung Rechtsprobleme bereits im Vorfeld zu klären, um dadurch oft teurere und langwierige gerichtliche Verfahren zu vermeiden. Die Kunst des Rechtsanwaltes sei es, Prozesse zu vermeiden.11 Mit der Erweiterung der Beratungshilfe auf andere Beratungspersonen als Rechtsanwälte gilt diese Konzeption auch für diese.

5Die Ziele des Beratungshilfegesetzes lassen sich daher im Wesentlichen wie folgt zusammenfassen:

– Weiterführung des sozialen Rechtsstaatsprinzips,

– Hilfe, wo keine sonstige Hilfe existiert (Schließung der Lücken im Rechtsberatungssystem),

– Reduzierung von Schwellenängsten,

– Schaffung einer Möglichkeit der Verfolgung berechtigter Interessen,

– Ergänzung anderer Hilfen,

– Wahrung von Chancengleichheit,

– Entbürokratisierung bei Vorliegen von Problemen,

– Vermeidung von teuren und langwierigen gerichtlichen Verfahren.

6Sinn und Zweck von Beratungshilfe ist es jedoch nicht, dem Rechtsuchenden jede – und noch dazu zumutbare – Eigenarbeit zu ersparen oder gar eine eigene Rechtsabteilung zur Seite zu stellen. Dies wurde bereits im damaligen Gesetzgebungsverfahren deutlich. Unbemittelte brauchen auch nur solchen Bemittelten gleichgestellt zu werden, die bei ihrer Entscheidung für die Inanspruchnahme von Rechtsrat auch die hierdurch entstehenden Kosten berücksichtigen und vernünftig abwägen.12 Unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten stellt die Versagung von Beratungshilfe grundsätzlich auch keinen Verstoß gegen das Gebot der Rechtswahrnehmungsgleichheit dar, wenn Bemittelte wegen ausreichender Selbsthilfemöglichkeiten die Inanspruchnahme anwaltlicher Hilfe vernünftigerweise nicht in Betracht ziehen würden.13

Generell soll die Beratungshilfe auch nicht die von anderen, meist über besondere Sachkunde verfügenden Einrichtungen kostenfrei geleistete Beratung ersetzen, sondern diese ergänzen.14

Im Zuge zuvor vorgeschlagener Reformen der Beratungshilfe15 und der dadurch veranlassten Praxisanhörungen wurde deutlich, dass diese Ziele teilweise in Vergessenheit geraten sind. Vielfach wird Beratungshilfe heutzutage wegen alltäglicher Probleme beansprucht, so z. B. wegen einfacher Sprach‑, Schreib- oder Verständnishilfen. Es dürfte absehbar sein, dass sich diese Entwicklung durch die wegen der Corona Pandemie erwartete wirtschaftliche Verschlechterung noch verfestigen wird. Gerade hierzu dient das BerHG jedoch nicht.16

7Es ist daher nicht Ziel des Beratungshilfegesetzes

– eine zumutbare Eigenarbeit des Rechtsuchenden zu ersparen,

– eine angemessene Selbsthilfemöglichkeit zu ersetzen,17

– eine Besserstellung der bedürftigen Partei gegenüber nicht beratungshilfeberechtigten Personen herbeizuführen,18

– eine eigene Rechtsabteilung bereitzustellen,

– jedes alltägliche Problem zu lösen,

– gerichtliche Verfahren vorzubereiten,

– andere, meist über besondere Sachkunde verfügende Einrichtungen19 zu ersetzen,

– Schreib‑, Lese- oder Sprach- und Verständigungsprobleme zu beseitigen.20

Die Beratungshilfe endet dort, wo sie den historischen Zielen dieser Gesetzgebung entgegensteht.

Zur weiteren Vertiefung wird auf die entsprechenden Bundestagsdrucksachen21 verwiesen.

7aDas Gesetz zur Modernisierung des notariellen Berufsrechts und zur Änderung weiterer Vorschriften beinhaltet auch an einigen wenigen Stellen eine Änderung der Vorschriften des BerHG.

Erfolgt sind hier jedoch in erster Linie eine übersichtlichere Gestaltung des BerHG durch die Einführung von Überschriften, die sprachliche Gleichstellung von Frau und Mann durch die Verwendung des bei beiden Geschlechtern gleichen Plurals, eine Vereinheitlichung der Terminologie innerhalb des BerHG sowie eine klarstellende Regelung betreffend der elektronischen Antragstellung. Liest man die Gesetzesbegründung, ist dabei keinesfalls beabsichtigt, an der bisherigen Rechtsprechung und Auslegung „zu rütteln“, insbesondere soll durch die Verwendung des Plurals nicht zum Ausdruck kommen, dass bei mehreren Antragstellern (in derselben Sache) mehrere Berechtigungsscheine zu erteilen wären.22 Nicht mehr zutreffende Übergangsregelungen wurden gestrichen. Im Folgenden wird an den jeweils entsprechenden Stellen im Praxishandbuch mittels einer Synopse zwischen bisheriger Rechtsnorm und den im Gesetz erfolgten Änderungen dargestellt, sh. hierzu Rn. 106a, 191, 208 und 236b.

Beratungshilfe mit Prozess- und Verfahrenskostenhilfe

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