Читать книгу Ich weiß was du getan hast - Stefan Zeh - Страница 12

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Kathrin Klein und Markus Kern waren mit Kerns BMW auf dem Weg zu Michael Lehm, dem Freund des Opfers. Ziegler und Cem hatten die undankbare Aufgabe, nochmal die Eltern von Larissa Kreuzner aufzusuchen. So schnell, wie sich Frau Kreuzners Mutter auf den Freund als Mörder eingeschossen hatte, noch bevor überhaupt fest stand, dass es ein Mord war, ahnte Kern bereits, was auf sie zukommen würde. Doch er selbst wollte als Erstes mit Herrn Lehm sprechen, unter anderem auch, um zu überprüfen, wie er auf die Nachricht, dass seine Freundin ermordet wurde, reagierte. Dr. Freck ließ in seinem Gutachten keine Zweifel an einem gewaltsamen Tod aufkommen. Der Gerichtsmediziner entdeckte an der Leiche mehrere Verletzungen und Prellungen im Gesicht, die nicht vom Aufprall stammten. Freck vermutete, dass ihr der Täter mehrmals mit der Faust ins Gesicht geschlagen hatte und sie dann über die Balkonbrüstung warf. Dazu passten die weiteren Verletzungen an der Kopfhaut, die darauf hinwiesen, dass sie an den Haaren nach draußen gezogen wurde. Außerdem Verletzungen am Bauch, als sie über die Brüstung gehievt wurde. Die Blutspuren, die die Spurensicherung am Tatort gefunden hatte, ebenso wie die Schleifspuren auf dem Teppich bestätigten den Verdacht. Außerdem lag Ziegler mit seiner Vermutung, der Täter habe Handschuhe getragen, richtig. Freck gelang es, im Gesicht des Opfers Spuren von Leder zu finden, die auf schwarze Lederhandschuhe hindeuteten. Routinemäßig wurde noch die Auskunft von Larissa Kreuzners Hausärztin angefordert, die bestätigte, dass Frau Kreuzner im Moment nicht suizidgefährdet war.

Es handelte sich um ein besonders gewalttätiges Verbrechen. Wer immer das getan hatte, musste verdammt wütend gewesen sein. Allein brutal auf sie einzudreschen, fand Kern schon schlimm genug - aber sie dann noch wie Müll über die Brüstung zu werfen - das sah nach fürchterlicher Rage aus.

„Hier rechts“, deutete Kathrin auf die Abzweigung. Sie kannte die Gegend wesentlich besser, als er, da sie in unmittelbarer Umgebung wohnte. Sie fuhren über den Ostendplatz, wo zu dieser Zeit geschäftliches Treiben herrschte. Die Ostendstraße führte weiter bergauf, vorbei an der örtlichen Polizeidienststelle und ging dort in die Gablenberger Hauptstraße über.

„Die nächste links“, wies ihn Kathrin an. Wäre Kern alleine unterwegs gewesen, hätte er einfach das Navi eingeschaltet, aber da Kathrin sich auskannte, war das nicht nötig. Kern bog in die Pflasteräckerstraße ein und kurz darauf in die Klingenstraße, die ihnen Michael Lehm als Adresse genannt hatte. Sie suchten die Hausnummern ab und hielten schließlich gegenüber einem weißen Haus, in dem Michael Lehm wohnte.

Kathrin und Kern stiegen aus und klingelten. Ein älterer Herr mit einem grauen Einkaufwägelchen ging an ihnen vorbei und stierte unbeteiligt, leise vor sich hin grummelnd, in die Landschaft. Einige Sekunden vergingen, ohne dass etwas geschah. Kern wurde langsam ungeduldig. Er klingelte erneut. „Wir haben ihm doch gesagt, dass wir kommen, wieso macht er jetzt nicht auf?“ Er sah auf seine Uhr. Viertel nach drei.

„Vielleicht hat er sich verspätet“, meinte Kathrin achselzuckend. Der Türöffner summte und Kern betrat das Treppenhaus, gefolgt von Kathrin. Im dritten Stock öffnete ihnen ein junger Mann mit schwarzen, kurz geschnittenen Haaren und einer hohen Stirn. Michael Lehm wirkte mitgenommen, was angesichts der Tatsache, dass seine Freundin tot war, nicht verwunderte. Völlig am Boden zerstört schien er allerdings nicht.

„Bitte verzeihen Sie das lange Warten“, entschuldigte er sich bei den Kommissaren. „Ich war grade noch am Telefonieren.“

„Kein Problem“, antwortete Kern freundlich und betrat die Wohnung. Michael Lehm führte sie durch den Flur in ein kleines Wohnzimmer, in dem außer einem Fernseher, einer Stehlampe und einer großen Couch nicht wirklich viel vorhanden war. Er lud sie ein, Platz zu nehmen und Kathrin setzte sich neben Kern. Lehm nahm ihnen gegenüber Platz.

„Sie wissen, warum wir hier sind?“, eröffnete Kern das Gespräch.

„Ich gehe davon aus, es geht um den Tod meiner Freundin“, erwiderte Lehm nüchtern.

„Richtig. Meine Kollegen haben Ihnen bereits mitgeteilt, dass Ihre Freundin, Larissa Kreuzner, tot unterhalb ihres Balkons im Garten gefunden wurde. Uns liegen inzwischen die Angaben der Gerichtsmedizin vor und wir können davon ausgehen, dass sie ermordet wurde.“ Kern und Kathrin beobachteten Lehm.

„Oh mein Gott“, entfuhr es ihm. Er zeigte jedoch kaum Regung. Wenn er schockiert war, ließ er es sich nicht anmerken. Nach einigen Sekunden, ohne dass jemand etwas sagte, nahm Lehm den Faden wieder auf. „Ich habe bereits etwas in der Art vermutet, als mir ihre Kollegen von ihrem Tod berichtet haben“, sagte er trocken. „Eine Suizid hielt ich von Anfang an für ausgeschlossen.“

„Wieso?“, erkundigte sich Kathrin interessiert.

„Es gab nie einen Grund, von so etwas auszugehen. Sie war ein fröhlicher, aufgeschlossener Mensch, und ich wüsste nichts von Problemen, die einen Suizid erklären würden.“

„Wir haben gehört, in letzter Zeit gab es häufiger Streit zwischen Ihnen und Ihrer Freundin“, bemerkte Kern.

„Es gab ein paar Auseinandersetzungen, wie in jeder Beziehung“, räumte Lehm achselzuckend ein. „Aber ich denke, das ist normal.“

„Die Nachbarn haben uns berichtet, es hätte am Vorabend des Mordes einen besonders lauten Streit zwischen Ihnen und Ihrer Freundin gegeben“, fühlte Kern ihm auf den Zahn. „Worum ging es da?“

„Ach das“, winkte Lehm ab. „Es ging darum, dass Larissa und ich zum Kino verabredet waren, aber sie einfach nicht erschien. Ich habe sie dann auf dem Handy angerufen, aber sie ging nicht ran. Also beschloss ich, zu ihr zu fahren.“

„Um wie viel Uhr war das?“, fragte Kathrin.

„Ich glaube, kurz nach acht. Der Film fing 20 Uhr an und wir wollten uns davor treffen, aber sie kam einfach nicht.“ Kern holte seinen Block raus und machte sich einige Notizen.

„Was passierte, als Sie bei ihr ankamen?“

„Ich fragte sie, was los war, warum sie nicht an ihr Handy ging und warum sie nicht zu unserer Verabredung erschien.“ Er machte einen Moment Pause. „Aber anstelle einer Entschuldigung kam nur, sie hätte es vergessen und habe im Moment Wichtigeres zu tun.“

„Ich gehe davon aus, darüber waren Sie nicht besonders erfreut?“, hakte Kathrin nach.

„Nein, ganz und gar nicht. Ich habe ihr gesagt, dass ich ihr Verhalten bescheuert finde und wie sie sich eine Beziehung vorstelle, wenn sie ständig absagt!“

„Ständig?“, insistierte Kern.

„Ja, ständig“, wiederholte Lehm, der nun merklich lauter geworden war. „Es war nicht das erste Mal, dass sie mich versetzte, und eigentlich gab es nie einen plausiblen Grund. Das eine Mal hat sie es vergessen, das andere Mal hat sie die Arbeit aufgehalten. Es war ständig irgendetwas.“

„Da haben Sie die Beherrschung verloren und ihr eine versetzt“, folgerte Kern.

„Was? Nein!“ Er wirkte empört. „Wie kommen Sie jetzt auf so was?“

Kern antwortete nicht sofort, sondern wartete gespannt.

„Ich habe sie nie geschlagen! Wir haben uns angeschrien, die ohnehin schon angespannte Atmosphäre wurde noch schlimmer, und schließlich hatte ich die Nase voll und bin wieder gegangen. Aber das war's auch.“

„Um wie viel Uhr war das?“, fragte Kathrin erneut.

„Weiß nicht, gegen 22 Uhr, vielleicht etwas später.“ Er wirkte verunsichert. Die Frage von Kern schien ihn sichtlich zu beunruhigen.

„Als Sie Frau Kreuzner verlassen haben, war sie also noch völlig lebendig und hatte keinerlei erkennbare Verletzungen?“, erkundigte sich Kern.

„Ja, natürlich.“ Lehm schien sich sicher.

„Ist Ihnen irgendetwas aufgefallen, als Sie die Wohnung Ihrer Freundin verließen? Eine andere Person oder sonst etwas?“ Kathrin schaute ihn erwartungsvoll an.

Lehm dachte nach. „Nicht, dass ich wüsste, nein.“ Er schüttelte den Kopf. „Wir waren nur beide ziemlich sauer.“

Kathrin warf einen Blick zu Kern. Ihm war anzusehen, dass er Lehm nicht glaubte.

„Kennen Sie Larissa Kreuzners Mutter?“, fragte Kern.

„Ja, wieso?“

„Sie ist überzeugt, dass Sie der Mörder ihrer Tochter sind und teilte uns das mit, noch bevor fest stand, dass es überhaupt ein Mord war.“

Lehm schnaubte verächtlich. „Das war ja klar. Wer auch sonst? Sie konnte mich noch nie leiden. Vom ersten Tag an, war sie mir gegenüber feindselig eingestellt. Ich weiß nicht, warum, ob es mein Aussehen ist, mein Job oder was auch immer. Sie konnte mich jedenfalls nicht leiden und machte keinen Hehl daraus, dass sie mich für den falschen Freund ihrer Tochter hielt und mich am Liebsten raus ekeln würde. Frau Kreuzner gehört zu den Frauen, die immer genau wissen, was ihrer Tochter gut tut und was nicht, und war überzeugt, ich definitiv nicht!“

Kern überlegte. Die Mutter hatte es Lehm sicher schwer gemacht. Aber in der Regel besaßen Mütter ein feines Gespür. Hatte sie eine Vorahnung, wie Lehm auf eine Zurückweisung reagieren würde?

„Was arbeiten Sie denn?“, griff Kathrin den Job auf.

„Ich arbeite in der Buchhaltung einer großen Firma.“ Seine Stimme klang tonlos.

„Herr Lehm, wie es nach dem bisherigen Stand der Ermittlung aussieht, sind Sie der Letzte, der Larissa Kreuzner lebend gesehen hat. Und Sie hatten kurz davor einen so lauten Streit mit ihr, dass es sogar die Nachbarn mitbekommen haben,“ stellte Kern fest.

„Wollen Sie etwa damit andeuten, dass ich sie getötet habe?“ Lehm wurde deutlich lauter.

„Haben Sie?“, fragte Kern provokant.

Lehm lief dunkelrot an. „So ein Schwachsinn,“ rief er aufgebracht und sprang auf.

„Wir haben uns geliebt, es war lediglich eine kleine Auseinandersetzung, sonst nichts. Das kommt in jeder Beziehung vor.“

Seltsam, dass er das wiederholte, dachte Kathrin. Es schien ihm wichtig zu sein, dass der Streit völlig normal war.

„Setzen Sie sich bitte wieder“, forderte Kern Lehm auf. „Unsere Fragen sind reine Routine.“ Lehm schien das nicht zu besänftigen. Noch immer vor Wut kochend, nahm er wieder Platz und sah den Kommissar an.

„Nehmen wir an, Ihre Schilderungen sind korrekt.“

„Sind sie“, unterbrach Lehm ihn unwirsch.

„Lassen Sie mich bitte ausreden.“ Er hasste es, unterbrochen zu werden. „Larissa Kreuzner starb zwischen 22 und 2 Uhr. Sie sagten, Sie haben die Wohnung gegen 22 Uhr verlassen. Folglich muss der wahre Mörder kurze Zeit später die Wohnung betreten haben. Sie sagen aber, Ihnen sei niemand aufgefallen?“

„Nein“, bekräftigte Lehm, der sich bemühte, ruhig zu bleiben.

„Was passierte, nachdem Sie die Wohnung verließen?“

„Ich habe mich in mein Auto gesetzt und bin hierher gefahren.“

„Kann das jemand bezeugen?“

„Nein, ich wohne, wie Sie sehen können, allein.“

„Haben Sie die Wohnung später nochmal verlassen?“, umging Kern die Provokation.

„Nein.“

Kern blickte zu Kathrin. Das Gespräch war festgefahren. Lehm war unglaublich wütend darüber, auch nur im Entferntesten als Täter in Betracht gezogen zu werden. Dabei war die Möglichkeit alles andere als absurd. Nicht selten verlor ein Freund die Beherrschung, wenn er von seiner Freundin versetzt oder abserviert wurde, und Lehm war äußerst impulsiv und reizbar. Kern konnte sich durchaus vorstellen, dass ihm die Hand ausrutschte. Aber war er deswegen ein Mörder? Kathrins Blicken zufolge, schienen ihr die gleichen Gedanken durch den Kopf zu gehen.

„Ich glaube, wir sind soweit fertig.“ Kern erhob sich. Kathrin stand ebenfalls auf. „Halten Sie sich bitte zu unserer Verfügung, falls wir noch weitere Fragen haben.“ Lehm antwortete nicht und machte keine Anstalten, das Sofa zu verlassen.

„Auf Wiedersehen“, verabschiedeten sie sich und gingen zur Wohnungstür. Lehm schien kein Interesse mehr an Höflichkeiten zu haben.




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