Читать книгу Ich weiß was du getan hast - Stefan Zeh - Страница 13
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ОглавлениеDrei Jahre zuvor ... Es war ein drückend heißer Augusttag. Die Sonne brannte mit 39 Grad auf die Stadt, und kaum jemand, der nicht zwangsweise raus musste, verbrachte den Tag in der glühenden Mittagshitze. Der Himmel war wolkenlos und es war beinahe windstill, was die unerträgliche Schwüle noch extremer machte. Erwin Mahle störte das allerdings nicht. Er genoss die heißen Temperaturen. Sie hatten sich für 14 Uhr im F3 in Fellbach verabredet. Er steuerte mit seinem Fahrrad auf den Fahrradständer zu. Normalerweise fuhr er mit dem Moped, aber da es sich zurzeit in der Werkstatt befand, musste er aufs Rad ausweichen. Die große Schlange vor dem Freibad sah er bereits von Weitem. Jeder, der konnte, nutzte den Tag für eine Abkühlung. Er stieg ab und befestigte sein Rad mit der Kette an dem Ständer. Eine breite Gestalt mit dunkelblonden, kurzen Haaren, einem korpulenten Körper in blauem T-Shirt und Badehose kam ihm entgegen. „Hey Erwin“, begrüßte ihn Marvin Leist. „Hi“, nickte Erwin ihm zu, der seine Stimme, ohne aufzusehen, erkannte. „Die Schlange ist krass. Hätte nicht gedacht, dass heute so viel los ist.“ „Wundert mich nicht“, antwortete Erwin, rüttelte an der Kette und erhob sich. Er nahm die Sonnenbrille ab und steckte sie sich an sein Shirt. „Die anderen schon da?“ „Ja, wir haben uns schon mal angestellt.“ Erwin folgte Marvin in die Mitte der Schlange, wo zwei weitere Jungs, mit Sporttasche und Rucksack bewaffnet, standen. „Hey Mann“, begrüßten ihn die beiden und grinsten. „Wir haben schon gewettet, du kommst erst, wenn wir ganz vorne stehen“, feixte der schlanke, junge Mann mit Cappy und ärmellosem Shirt. Der andere trug T-Shirt und Badehose, war groß und stämmig. Erwin nahm sein Cappy ab und strich sich durch die kurzen, schwarzen Haare. „Der Coolste zum Schluss, wisst ihr doch“, entgegnete Erwin selbstgefällig.“ Er begrüßte die beiden Jungs mit Schulterschlag. Der schlanke junge Mann war Jonas Brenz und ging ebenso wie Dominic Freiser und Marvin auf die gleiche Schule wie Erwin. Sie kannten sich seit der fünften Klasse und waren seitdem befreundet. Sie trafen sich zurzeit so oft es irgendwie ging im Freibad, allerdings legten die Temperaturen die letzten Tage nochmal deutlich zu, sodass der Ansturm immens war. Drinnen angekommen, war, wie erwartet, ein Pulk von Leuten, die alle versuchten, die wenigen vorhandenen Schattenplätze für sich zu nutzen. „Ey, ich hab echt keine Lust, in der Sonne zu liegen“, beschwerte sich Marvin. „Hat schon gereicht, in der Schlange gegrillt zu werden.“ „Blindfisch, da drüben ist doch ein freier Schattenplatz! Sogar mit Liege.“ Erwin deutete auf einen Fleck weiter hinten im Bad. „Blindfisch, da liegt ein Handtuch drauf!“, konterte Marvin, was Erwin aber nicht im Mindesten zu stören schien. Er ging schnurstracks auf die Liege zu, griff das Handtuch und warf es auf den Rasen. Marvin und Dominic lachten. „So, jetzt gehört der Platz uns!“ Er stellte seinen Rucksack ab, legte sein eigenes Handtuch auf die Liege und machte es sich unter dem Sonnenschirm bequem. „Was machst du, wenn das Handtuch irgendeiner scharfen Braut gehört?“, fragte Jonas. „Die sind wütend noch viel schärfer“, erklärte Erwin lässig. „Außerdem darf sie sich dann gerne zu mir legen.“ Erwin war es völlig egal, was andere von ihm dachten. Hauptsache, er hatte einen guten Platz. Er konnte es auch nicht leiden, in einer Schlange anstehen zu müssen. Normalerweise drängelte er sich einfach vor. Ein paar empörte Kommentare nahm er in Kauf. Man musste eben schauen, wo man blieb. Er zog das T-Shirt aus und brachte einen braun gebrannten, sportlichen Oberkörper zum Vorschein, für den er regelmäßig ins Fitnessstudio ging. „Komm, lass uns ins Wasser gehen“, rief Marvin. „Ist selbst im Schatten echt warm.“ „Klar.“ Erwin erhob sich. Sie überquerten die Wiese und gingen auf das Becken zu, das völlig überlaufen war. Wirklich schwimmen konnte man hier nicht, es gab gerade genug Platz, ein wenig zu planschen oder Wasserball zu spielen. Aber das genügte heute völlig. „Ach, sieh mal an, wer da ist“, rief Erwin und deutete auf eine junge Frau, die am Beckenrand stand. „Oh, was machst du denn hier?“, fragte Claudia Morin, die mit ihnen in dieselbe Klasse ging. Sie trug ein helles Top über dem Bikini und hatte einen dunklen, südländischen Teint. „Bin extra deinetwegen hier“, antwortete Erwin plump und nahm Claudia freundschaftlich in den Arm. „Na, klar.“ Sie rollte mit den Augen und schubste ihn weg. „Wieso das T-Shirt? Sind dir unsere 40 Grad in Südafrika zu kalt?“ „Erstens komme ich aus Südfrankreich und zweitens hab ich mir die Schultern verbrannt“, erwiderte Claudia. „Ein Jammer“, sagte Erwin, hörbar sarkastisch, „aber baden kannste trotzdem.“ Er verpasste Claudia einen Stoß und sie landete bäuchlings im Becken. „Gib mir die Faust“, rief Marvin breit grinsend und Erwin stieß ein. Claudia kam laut prustend wieder an die Wasseroberfläche. „Du Idiot“, schrie sie, was Erwin und die anderen dazu brachte, sich erst recht darüber lustig zu machen. „Hey Süße.“ Erwin beugte sich hinunter zum Beckenrand. „Da vorne steht extra ein Schild, vom Rand rein springen verboten. Kannst nicht einfach von der Seite rein!“ Claudia warf ihm einen bitterbösen Blick zu. Lachend entfernten sich Erwin und die anderen von Claudia, die sich noch immer über Erwins maßlose Unverschämtheit ärgerte. Sie gingen zu der gelben Wasserrutsche, an der sich ebenfalls eine Schlange, hauptsächlich von ungeduldig wartenden Kindern, gebildet hatte. „Hast du eigentlich vor den Ferien noch Stress bekommen, wegen der fehlenden Hausaufgaben?“, fragte Marvin, während sie sich der Rutsche näherten. „Nee, hat mich bisschen wütend angeschnauzt, ich solle die Hausaufgaben zukünftig machen, meine Versetzung ist eh schon gefährdet, aber das war's auch. Nur das Übliche blabla. Komm, geh aus dem Weg!“ Erwin stieß zwei kleine Kinder zur Seite und drängelte sich nach vorne zur Rutsche. „Aber jetzt lass uns nicht über Schule reden, geht mir schon genug auf die Nerven, dass wir da drin jedes Mal kochen und sinnlosen Müll lernen, während draußen das geilste Wetter ist.“ Marvin, Dominic und Jonas folgten Erwin, der unter lautstarkem Protest weitere Kinder zur Seite schob und schon beinahe ganz oben stand. „Hör mal“, beschwerte sich eine junge Mutter, die mit ihrem Sohn auf der Rutsche stand, der noch zu klein war, um selbst zu rutschen. „Du kannst dich doch wohl hinten anstellen, wie jeder andere auch!“ „Nee sorry, wir sind VIP's“, grinste Erwin frech und schmiss sich laut grölend auf die Rutsche. Eine halbe Stunde später lag Erwin auf der Liege, die er nach dem Baden in die Sonne gezogen hatte, während seine Kumpels die Handtücher um die Liege herum ausgebreitet hatten. Das weggeworfene Handtuch lag noch immer zusammen geknüllt auf dem Rasen. „Hey Dome, hast du was zu knabbern dabei?“, fragte Erwin. Dome war Dominics allgemeiner Spitzname. „Hier.“ Er fischte ein Dose Chips aus seinem Rucksack und warf sie Erwin zu. „Klasse“, sagte Erwin begeistert und riss sofort die Packung auf. Marvin saß auf dem Handtuch neben ihm und scannte die Landschaft. „Oh weh, ich glaub, da kommt der Typ, dem das Handtuch gehört.“ Erwin drehte sich auf der Liege um und folgte Marvins Blick. Ein Mann, Mitte 40, mit Brille, nahm verwundert das zusammen geknüllte Handtuch in die Hand. „Leg dich hin und tu so, als wüsstet du von nix“, wies Erwin Marvin an und legte sich selbst wieder hin. „Der Typ sieht nicht nach Stress aus.“ „Hey Jungs“, fragte der Mann wenig amüsiert und wandte sich an Erwin. „Kann das sein, dass das mein Platz ist?“ „Nee. Die Liege war frei, als wir kamen“, log Erwin. „Das Handtuch hab ich aber vorhin hier liegen lassen“, beharrte der Mann, der sich um einen freundlichen Ton bemühte. „Keine Ahnung, dann war's der Wind.“ Es ging kein Lüftchen. Der Mann seufzte. „Würdest du jetzt bitte aufstehen und dir einen anderen Platz suchen?“ Erwin erhob sich. Die anderen beobachteten ihn gespannt. Er trat ganz nah an den Mann heran. „Hör mir mal gut zu“, sagte Erwin feindselig und baute sich vor dem Mann auf. „Das ist mein Platz und wenn du zu dumm bist, dein Handtuch so hinzulegen, dass es nicht weg fliegt, dann bist du selber Schuld. Und jetzt mach einen Abgang!“ Er machte mit dem Kopf die entsprechende Bewegung. Eine Sekunde lang passierte nichts. Der Mann stand nur da und starrte Erwin an. Dann entschied er sich, dass es den Streit nicht wert war und ging, jedoch nicht, ohne nochmal den Kopf zu schütteln. „So ein Honk“, rief Erwin und legte sich wieder auf die Liege. „Wir sind kaum eine Stunde da und du hast dich schon mit dem halben Schwimmbad angelegt“, bemerkte Marvin. „Wenn du so weiter machst, schmeißen die uns noch raus.“ „Entspann dich!“, antwortete Erwin gelassen. „Wir sind hier Stammkunden. Die brauchen uns.“ „Na dann.“ Marvin schien mit der Antwort zufrieden und legte sich wieder hin. Eine Viertelstunde später schreckte Erwin hoch. Er war eingeschlafen und hatte irgendeinen Mist geträumt. Er sah sich um. Marvin und Dominic dösten ebenfalls. Nur Jonas hatte Kopfhörer drin und blätterte in irgendeinem Buch. „Jonas, lass uns mal ein Eis holen gehen.“ Jonas reagierte nicht. „Jonas!“, sagte Erwin lauter, da ihn dieser offensichtlich nicht hörte. Jonas sah in Erwins Richtung und nahm die Kopfhörer raus. „Was ist los?“ „Eis ist los!“, erklärte Erwin bestimmt „Klar.“ Jonas stand auf. „Hey Dicker.“ Er trat Marvin an den Fuß. „Komm, lass mal Eis holen.“ „Von mir aus“, seufzte der und erhob sich. Der Terrassenbereich, in dem das Eis angeboten wurde, befand sich auf der anderen Seite des Bades. Erwin und die beiden anderen schlenderten gemächlich über den Rasen, während Erwin den Blick schweifen ließ. „Kann es sein, dass es noch voller geworden ist?“, fragte er mürrisch. „Glaub schon“, stimmte Marvin zu und sah sich um. „Wenn noch mehr kommen, können sie die Leute auf der Wiese stapeln.“ Zwei junge Frauen, die Erwin nicht kannte, kamen ihnen entgegen und warfen Erwin vielversprechende Blicke zu. Frauen kennen zu lernen, war für ihn ein Kinderspiel. Er sah gut aus, konnte charmant sein, und meistens reichte ein Lächeln und ein paar Schmeicheleien und sie warfen sich ihm an den Hals. Jetzt hatte er allerdings keine Lust, sie anzusprechen, es war einfach zu heiß. Er wollte sich ein Eis holen und danach wieder ab ins Wasser. „Ich glaub, ich spinne, guck mal, wer da ist“, rief Marvin und zeigte auf einen kleinen pummeligen jungen Mann, der es sich mit einem einzelnen, beigen Handtuch mitten in der Menschenmenge bequem gemacht hatte. Sein Gesicht war mit zahlreichen Pickeln übersät und er hatte eine leichenblasse Haut, was nur mit Lichtschutzfaktor 50 möglich sein konnte, ansonsten wäre sie entweder braun oder verbrannt. „Was will das Opfer denn hier?“, fragte Marvin und blieb stehen. Julius, der mit ihnen in eine Klasse ging, war ein wenig jünger als sie und der Klassenstreber. Er hatte Bestnoten und war sowohl bei den Lehrern, als auch bei vielen Mitschülern beliebt. Zumindest anfangs. Bis Erwin beschloss, das zu ändern. Er hasste Julius. Er konnte nicht genau sagen, warum. Vielleicht seine Art, sein Auftreten oder seine langsame Stimme. Er mochte den Kerl einfach nicht und machte keinen Hehl daraus, dass er ihn nicht leiden konnte. Erwin wechselte abrupt die Richtung und bewegte sich auf Julius zu. „Erwin, lass den doch“, versuchte Marvin beschwichtigend. „Wir wollten uns doch ein Eis holen.“ Aber Erwin ließ sich nicht beirren und ging zügig auf Julius zu, der sie noch nicht bemerkt hatte. Marvin warf Jonas einen genervten Blick zu, folgte Erwin aber. „Ey, Pissnelke!“, begrüßte Erwin seinen Klassenkameraden. Julius sah kurz auf und gab dann ein kurzes „Hallo“ von sich, ehe er den Blick wieder senkte. „Ganz allein hier?“, fragte Erwin überflüssig laut und trat zum Spaß gegen Julius Rucksack. „Ja“, antwortete Julius in der Hoffnung, Erwin möge schleunigst wieder abhauen. „Wo ist dein schwuler Freund?“, fragte Erwin, der keinerlei Anstalten machte, zu gehen. „Welcher schwule Freund?“ Julius blickte Erwin wieder nur für einen kurzen Moment an. „Na, der, mit dem du immer rumhängst!“ „Hat keine Zeit.“ Erwin spürte, wie unangenehm Julius das Gespräch war. Es gefiel ihm, Leute zu drangsalieren, und umso schlimmer sich der andere fühlte, desto mehr genoss er es. Er war der Chef. Der Anführer. Und der Rest hatte sich unterzuordnen. „Pass mal auf, das Schwimmbad ist schon voll genug. Was hältst du davon, du packst deine Sachen und verziehst dich? Hier ist kein Platz für Opfer wie dich.“ Julius antwortete nicht. „Hallo, ich rede mit dir!“, rief Erwin und trat heftiger gegen Julius Rucksack. „Komm, lass gut sein!“, versuchte Marvin die Situation zu beruhigen. „Ich darf genauso hier sein wie du“, unternahm Julius einen schwachen Versuch, sich gegen Erwin zur Wehr zu setzen. „Ach ja?“, fragte Erwin zynisch. „Hat dir das deine Mama gesagt?“ „Nein.“ Julius wich erneut Erwins Blick aus. Erwin trat ganz nah an ihn ran. „Wir wollen dich nicht. Keiner will dich. Hier nicht, und in der Schule erst recht nicht.“ Julius sagte nichts mehr. Er starrte nur noch gerade aus, traute sich nicht mehr, Erwin anzusehen. „Du bist nichts als Dreck!“, sagte Erwin verächtlich. „Erwin, jetzt komm endlich!“, rief Marvin. Erwin machte einen Schritt zurück, ohne Julius aus den Augen zu lassen. „Wir sehen uns.“ In dem Moment, in dem Julius entspannt aufatmete, trat Erwin mit voller Wucht gegen seinen Rucksack, sodass dieser quer über den Rasen flog. „Was soll denn das?“, rief Julius aufgebracht, und rannte los, um seinen Rucksack zu holen. „Ja los, lauf du Opfer!“, brüllte ihm Erwin hinterher. Er lachte, dann folgte er Marvin und Jonas zur Terrasse.