Читать книгу Ich weiß was du getan hast - Stefan Zeh - Страница 24
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ОглавлениеJennys anfängliche Zuversicht nach dem Vorstellungsgespräch war verflogen. Sie war sicher, relativ schnell eine Rückmeldung zu erhalten und insgeheim auch überzeugt, die Stelle zu bekommen. Allerdings waren schon zwei Wochen vergangen, ohne dass sich das Unternehmen meldete. Kein gutes Zeichen.
Sie seufzte, während sie ihren E-Maileingang schloss und den Laptop herunterfuhr. Keine Information. Keine Zusage, keine Absage, gar nichts. Zwei Wochen! Sie hatten doch versprochen, sich spätestens nach einer Woche zu melden. Sie verstand es nicht. Oder war sie vielleicht einfach zu ungeduldig? In diesem Moment kam Sven aus seinem Zimmer. Er machte sich ganz offensichtlich zurecht für die Arbeit und war dabei, sein Hemd zuzuknöpfen.
„Alles in Ordnung bei dir?“, fragte er, dem ihr missmutiger Blick nicht entgangen war.
„Weiß nicht“, murmelte sie. „Krieg irgendwie keine Info von dem Unternehmen, wo ich vor zwei Wochen das Vorstellungsgespräch hatte.“
„Das muss noch nichts bedeuten.“ Svens Stimme klang gelassen. „Die haben bestimmt dutzende von Bewerbern und vermutlich dauert das Auswahlverfahren einfach noch etwas.“
„Sie meinten, sie melden sich innerhalb einer Woche“, erwiderte Jenny missmutig und drehte sich zu ihm um. „Und inzwischen sind zwei Wochen vergangen. Normalerweise geht das doch ratz fatz, wenn sie sich für einen Kandidaten entschieden haben.“
„Hmm“, gab ihr Mitbewohner von sich. „Dann ruf an!“
„Das ist eine gute Idee.“ Sie sprang auf.
„Am besten ganz unverbindlich“, rief er ihr hinterher, während sie auf dem Weg in ihr Zimmer war, um ihr iPhone zu holen. Darauf hätte ich auch selbst kommen können. Sie holte ihr Handy vom Schreibtisch und drückte den Einschaltknopf, doch nichts geschah. Sie stöhnte genervt. Gestern hatte sie das Teil aufgeladen, jetzt war der Akku bereits wieder leer. Sehr zuverlässig. „Kann ich kurz deins haben?“ Sie schloss ihr Gerät wieder an das Ladekabel und spähte ins Wohnzimmer.
„Klar“, antwortete er. Er holte das Handy aus seiner Tasche und reichte es ihr. Jenny ging nach nebenan, um in Ruhe zu telefonieren. Sie switchte mit dem Finger über das Display und der orangene Hintergrund leuchtete. Sie googelte die Nummer des Unternehmens, das sie in ihrem Handy eingespeichert hatte, und tippte auf die Nummer. In dem Moment, als sie auf Anrufsymbol klicken wollte, vibrierte das Handy und eine Whatsappnachricht leuchtete auf dem oberen Teil des Bildschirms auf. Sie wartete, bis die Nachricht wieder verschwunden war, dann rief sie an. Etwas machte sie stutzig, sie wusste im ersten Moment allerdings nicht, was. Das Gespräch war sehr kurz. Die Empfangsdame informierte sie freundlich, dass sie sich noch ein bisschen gedulden müsse, das Auswahlverfahren sei noch nicht abgeschlossen. Also genau das, was ihr Mitbewohner vermutete. Das Gespräch hatte sie ein wenig entspannt. Es klang nicht so, als wäre sie schon aus dem Rennen. Sie wollte das Handy gerade zurück auf das Bett legen, als es erneut vibrierte. Eine neue Nachricht vom selben Absender leuchtete auf und das Whatsappsymbol zeigte eine kleine Zwei an. Irgendetwas an der Nachricht fiel ihr ins Auge. Beziehungsweise nicht am Inhalt der Nachricht, sondern am Absender. Obwohl die Nachricht nur kurz aufgeploppt war, hatte sie den Eindruck, den Namen des Absenders schon mal gehört zu haben. Sie wusste aber nicht, wo und wann. Sie spähte nach draußen. Sven schien in seinem Zimmer beschäftigt. Sie öffnete Whatsapp, nicht um die Nachricht zu lesen, sondern den vollständigen Namen zu sehen. Die Mitteilung wurde gleich an oberster Stelle angezeigt. Simon Helmen, las Jenny in Gedanken. Unter dem Absender stand die Nachricht, allerdings konnte sie nur einen kleinen Teil lesen. „Hallo, wollte nur mal wissen...“ Mehr sah sie nicht. Aber das interessierte sie auch nicht. Ihr Blick wanderte wieder hoch zu dem Absender. Simon Helmen? Jenny überlegte. Den Namen hatte sie auf jeden Fall schon mal gehört. Nur wo? Sie erinnerte sich nicht. Das Geräusch der Badezimmertür riss sie aus ihren Gedanken. Sie beendete schnell die App und legte Svens Handy wieder aufs Bett.
„Und?“, erkundigte sich ihr Mitbewohner.
„Äh, nichts“, gab sie unüberlegt von sich.
„Wie, nichts?“, fragte Sven perplex. „Haben sie sich für einen anderen Kandidaten entschieden?“
Gott, er meinte das Telefonat. Jenny war völlig von der Rolle. „Ach so“, bemühte sie sich schnell zu antworten. „Nein nein, das Auswahlverfahren läuft noch.“
„Hab ich dir doch gesagt“, schmunzelte er.
„Ja, genau. Ich brauchte nur Gewissheit.“ Sie lachte unsicher. Was war los mit ihr?
„Alles ok?“ Sven sah sie aufmerksam an.
„Ja, alles gut.“ Sie bemühte sich um ein Lächeln. Sie fühlte sich wie ein kleines Kind, auf frischer Tat ertappt. Sie griff das Handy und reichte es ihm.
„Danke.“ Er nahm es entgegen. „Ich muss los, wir sehen uns später.“
„Gut.“ Die Tür fiel hinter ihm ins Schloss.
Jenny nahm einen tiefen Atemzug. Die Whatsapp löste etwas in ihr aus. Sie wusste nur nicht, was. Und warum. Simon Helmen. Woher kannte sie diesen Namen?
Jenny fand in dieser Nacht keinen Schlaf. Zu viele Gedanken schwirrten ihr durch den Kopf. Angefangen bei dem Mord an Larissa Kreuzner, die rätselhaften Ereignisse von damals, genauso wie die Whatsappnachricht, von der sie nicht begreifen konnte, warum sie der Absender so beschäftigte. Nach einer Stunde gab sie es auf und stand auf. Draußen war alles dunkel. Ihr Mitbewohner war noch nicht wieder zurück, vermutlich arbeitete er noch im Werk. Sie war total bescheuert. Wieso hatte sie Sven nicht einfach nach dem Namen gefragt? Er hätte ihr bestimmt sagen können, wer das war, und sie hätte im Handumdrehen gewusst, was Sache ist. Stattdessen raubte ihr das Thema den Schlaf. Simon Helmen. Keine Ahnung. Am besten, sie fragte ihn morgen danach. Sie stand auf, zog den Rollladen ein Stück nach oben und öffnete das Fenster. Angenehm kühle Abendluft schlug ihr entgegen. Sie atmete tief ein. Der Sauerstoff tat ihr gut. Sie sah nach draußen. Außer ein paar Lichtern, auf der gegenüberliegenden Seite, war es absolut dunkel. Es waren keine Geräusche zu hören, mit Ausnahme einiger Autos. Sie schloss das Fenster und drehte sich zu ihrem Bett um. Bis auf die zerwühlte Bettdecke und das Kissen war es völlig leer. Auf einmal fühlte sie sich sehr einsam. Sie war ganz allein. In der großen Wohnung. Außer ihr war keiner hier. Sie öffnete die Zimmertür und klopfte bei Sven, aber wie zu erwarten war ihr Mitbewohner noch nicht wieder daheim. Sie wünschte sich, sie könnte jetzt mit ihm sprechen. Aber ausgerechnet ihm hatte sie die Wahrheit vorenthalten. Sie kehrte in ihr Zimmer zurück und legte sich wieder aufs Bett. Sie streckte den Arm auf die andere Seite der Matratze aus. Durch ihren Kopf zogen Bilder. Bilder von ihm, wie er sie in den Arm nahm. Wie sie sich an ihn kuschelte. Wie er ihr beruhigend zuflüsterte. All das war vorbei. Jäh zu Ende gegangen, von einem Tag auf den anderen. Und sie wusste noch nicht einmal, warum. Und nun passierten diese seltsamen Dinge. Erneut seufzend, kuschelte sie sich wieder unter die warme Bettdecke und hielt das große Kopfkissen eng umschlungen. Sie nahm ihr iPhone vom Nachttisch und durchforstete die Galerie. Sie öffnete das letzte Foto, das sie von ihm hatte. Das letzte Foto, auf dem sie beide gemeinsam zu sehen waren. Glücklich. Verliebt. In diesem Augenblick spürte sie ein Stechen in ihrem Brustbereich, das so heftig war, dass ihr unwillkürlich die Tränen aufstiegen. „Du fehlst mir so sehr“, flüsterte sie leise. Dann zog sie sich die Bettdecke über den Kopf und weinte.