Читать книгу Ich weiß was du getan hast - Stefan Zeh - Страница 19
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ОглавлениеDamals ... Julius saß alleine auf seinem Platz und wartete, dass der Unterricht anfing. Die anderen waren wie üblich in der Nähe von Erwin und seiner Clique verteilt, den “Coolen“, wie sie sich selbst nannten. Claudia und Mareike saßen bei Theresa und diskutierten lautstark. Worüber, konnte er nicht verstehen. Marvin lehnte am offenen Fenster und unterhielt sich mit Dominic. Tobias konnte er nirgends entdecken, vermutlich war er kurz zur Toilette gegangen. „Mist“, hörte er Erwin fluchen. „Kann ich die kurz von dir abschreiben?“ Die Frage galt Jonas. Seine Antwort konnte Julius von seinem Platz aus nicht hören. Er überlegte, ob er sich zu einem der kleinen Grüppchen dazu stellen sollte, aber eigentlich wollte er das nicht. Es lief sowieso immer aufs Gleiche hinaus. Sobald er Kontakt zu den anderen suchte, kam irgendein blöder Kommentar und sie grenzten ihn aus der Gruppe aus. Die große Wanduhr zeigte eine Minute vor acht. Er hoffte, Frau Kreuzner würde pünktlich kommen. Er hasste es, so alleine zu sitzen, während sich alle anderen angeregt unterhielten. Das machte ihn noch mehr zum Außenseiter, aber er wusste nicht, wie er es ändern sollte. In dieser Sekunde kam Erwin zu seinem Platz gestürmt. „Hey, Pissbacke“, begrüßte er ihn. „Ich muss kurz die Hausaufgaben von dir abschreiben. Gib mal dein Heft!“ „Wir hatten in Deutsch gar nichts auf“, erwiderte Julius. „Ich sprech ja auch von Englisch, du Vogel.“ „Die habe ich selber nicht“, behauptete er. „Lüg mich doch nicht an!“, schrie Erwin aufgebracht. „Als ob du die Hausaufgaben jemals nicht hast.“ Erwins lauter Ton sorgte dafür, dass sich einige umdrehten, gespannt, was passieren würde. „Nee, das geht nicht“, versuchte sich Julius gegen Erwin zur Wehr zu setzen. „Was soll die Scheiße? Her damit!“, forderte Erwin drohend. Als Julius nicht sofort antwortete, griff Erwin nach seinem Füller. „Hey, das ist meiner. Gib ihn zurück!“ Erwin hielt den Füller so, dass Julius nicht ran kam. „Ich will die Hausaufgaben, dann kriegst du deinen Füller zurück!“ „Ich hab doch gesagt, ich hab sie selber nicht.“ Wo blieb Frau Kreuzner nur? „Du lässt mir keine Wahl“, sagte Erwin in selbstgefälligem Ton. „Marvin, fang.“ Erwin warf Marvin den Füller zu. Doch anstatt ihn zu fangen, machte Marvin einen Schritt zur Seite und der Füller flog aus dem Fenster. „Hups“, sagte Marvin, und Erwin brach in schallendes Gelächter aus. „Verdammt, Erwin“, fluchte Julius. „Was soll das denn?“ Er lief vor Scham rot an und stürmte an Erwin vorbei. „Was soll das denn?“, äffte Erwin ihn nach. „Bist selber schuld!“ Julius rannte aus dem Klassenzimmer. Er musste einmal um das ganze Gebäude herum, um den Füller auf der Wiese zu finden. „Guck mal in seinem Ranzen“, sagte Marvin zu Erwin. „Ich brauch die Hausaufgaben auch noch.“ Erwin nahm Julius Schulranzen, stellte ihn auf den Kopf und begann den gesamten Inhalt des Ranzens auszuleeren. Hefte, Bücher und Karteikarten flogen heraus und landeten auf dem Boden. Erwin hob ein Heft mit blauem Umschlag auf und sah sich die letzte Seite an. „Soviel zum Thema hat nix“, sagte er mit Blick auf den Text. „Ey, was für ne Sauklaue, das kann doch keiner lesen“, beschwerte er sich und warf einen Blick zu Marvin. „Vielleicht Absicht“, antwortete dieser gelassen. „Haha“, machte ihn Erwin übertrieben genervt nach. „Und stinken tut er obendrein.“ Er roch an dem Heft. „Brauch jetzt erst mal Deo.“ Inzwischen hatte Julius die Wiese erreicht und suchte die Stelle, wo der Füller gelandet sein konnte. Er hasste Erwin. Was konnte er denn dafür, wenn Erwin seine Hausaufgaben nicht machte? Vielleicht hätte er ihm das Heft einfach geben sollen. Aber das wollte er nicht. Nicht ständig, und nicht für jemanden, der ihn behandelte wie Dreck. Er hatte versucht, nein zu sagen, aber es war sinnlos. Wenn Erwin nicht bekam, was er wollte, kamen solche Aktionen. Er fand den Füller und hob ihn auf. Er warf einen Blick in den Klassenraum, aus dem ihn bereits einige boshaft angrinsten. Was war nun wieder? Er stellte sich auf Zehenspitzen, um besser sehen zu können. Der gesamte Inhalt seines Ranzens lag auf dem Boden verstreut. „Erwin!“, rief er. Wieso konnte er es nicht lassen? Er tat ihm doch nichts. Er versuchte sogar extra, ihm aus dem Weg zu gehen. Aber selbst im Schwimmbad gelang ihm das nicht und jedes Mal lief es gleich ab. In diesem Moment betrat Larissa Kreuzner, gefolgt von einer jungen Frau, den Klassenraum. Erwin, der noch auf Julius Tisch saß und versuchte, den Inhalt zu entziffern, legte das Heft auf den Tisch und setzte sich neben Marvin auf seinen Platz. Frau Kreuzner ließ ihren Blick über den Boden wandern und bemerkte die verstreuten Hefte und Bücher. „Was ist denn hier los?“, fragte sie argwöhnisch in die Runde. Keiner antwortete. Julius, noch immer knallrot vor Scham, lief an Frau Kreuzner vorbei, setzte sich auf seinen Platz und begann, seine verstreuten Sachen wieder in seinen Ranzen zu packen. „Julius, alles ok?“, fragte ihn Frau Kreuzner stirnrunzelnd. „Jaja, alles bestens“, murmelte er verlegen. Erwin und Marvin grinsten selbstgefällig. Dass das ausgerechnet heute passieren musste, wo die Neue kam, dachte Julius beschämt. Jetzt stand er auch noch vor ihr wie der letzte Depp da. Seine Stirn schien förmlich zu brennen. Er kochte vor Wut. Und das Schlimmste war: Jeder sah es. Sobald ihm etwas unangenehm war, lief er rot an wie eine Tomate. Er hasste sich dafür. Am Liebsten wäre er im Boden versunken. Warum war er nur gekommen? Wieso war er nicht auf halbem Weg umgekehrt und wieder nach Hause gegangen? Dann hätte seine Mutter nicht mal etwas mitbekommen. Larissa Kreuzner, die schweigend beobachtete, wie er alles wieder verstaute, sah in die Runde. „Nun denn, ich möchte euch eure neue Mitschülerin vorstellen.“ Sie deutete auf die junge Frau. „Das ist Jennifer Weihn, ihre Eltern sind von Frankfurt hierher gezogen und sie wird ab heute in unsere Klasse gehen.“ Sie lächelte Jenny aufmunternd zu, die ein schüchternes „Hi“ von sich gab. „Dort hinten, neben Claudia, ist noch ein Platz frei, bitte setz dich doch da hin.“ Sie zeigte auf den freien Stuhl. Jenny tat wie ihr geheißen, während Claudia, die bisher den Tisch für sich hatte, anfing, Platz zu schaffen. Marvin beugte sich zu Erwin rüber. „Soviel zum Thema Fette.“ Erwin reagierte nicht und stierte stattdessen Jenny an. Das war sie in der Tat ganz und gar nicht. Sie machte schon auf den ersten Blick allen Frauen im Raum Konkurrenz. Endlich mal ne richtig heiße Braut, dachte Erwin und wartete, dass sich Jenny auf den leeren Platz vor ihn setzte. Sie packte ihre Tasche aus und legte einen Block sowie Mäppchen vor sich. In der Zwischenzeit begann Frau Kreuzner, vorne Blätter auszuteilen und erzählte irgendwas dazu. Erwin hörte gar nicht zu. Er beobachtete Jenny, während sie einen Kugelschreiber aus dem Mäppchen fischte, ihn aber nicht richtig zu fassen bekam. Der Kugelschreiber landete auf dem Boden und rollte direkt vor seine Füße. Erwin bückte sich, nahm den Kugelschreiber und reichte ihn seiner neuen Mitschülerin. „Danke“, sagte Jenny, nahm den Kugelschreiber entgegen und lächelte ihn freundlich an. „Keine Ursache“, sagte Erwin leise und setzte sein charmantestes Lächeln auf. „Ich bin übrigens Erwin.“ „Freut mich“, sagte sie. „Nenn mich Jenny.“