Читать книгу Ich weiß was du getan hast - Stefan Zeh - Страница 14
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Оглавление„Ein unangenehmer Typ“, bemerkte Kern und stieg in seinen schwarzen BMW.
„Dass er bei Routinefragen gleich so ausrastet, kommt mir verdächtig vor“, sagte Kathrin und stieg auf der Beifahrerseite ein. „Ich könnte mir gut vorstellen, dass er seine Freundin geschlagen hat, aber ob er sie auch vom Balkon geworfen hat, ich weiß nicht.“
„Der gleiche Gedanke ging mir auch durch den Kopf.“ Kern lenkte seinen Wagen auf die Straße. „Als ich das Gutachten gelesen habe, bin ich von einem Täter ausgegangen, aber es besteht natürlich auch die Möglichkeit, dass Herr Lehm seiner Freundin eine verpasst hat und anschließend abgehauen ist“, fuhr Kern fort.
„War Frau Kreuzner, laut Frecks Bericht, nicht bewusstlos, als sie über die Brüstung geworfen wurde?“, überlegte Kathrin laut.
Kern dachte einen Moment nach. „Sie haben Recht“, nickte Kern zustimmend. Ihn erstaunte Kathrins fotografisches Gedächtnis immer wieder. „Wenn sich der Täter keinen gewaltsamen Zutritt zu der Wohnung verschafft hat, kann Frau Kreuzner, nachdem sie bewusstlos geschlagen wurde, niemandem mehr die Tür geöffnet haben. In diesem Fall wäre Herr Lehm unser Mann.“
„Falls er der Schläger ist“, gab Kathrin zu bedenken.
„Richtig. Wir fahren zurück ins Präsidium. Vielleicht gibt es neue Erkenntnisse vom KTI*.“
Eine Stunde später saßen Kern, Kathrin, Ziegler und Cem im Besprechungszimmer und tauschten die Ergebnisse aus. Kathrin schilderte den Besuch bei Lehm und seinen Ausraster, als Kern ihm auf den Zahn fühlte.
„Bei uns sah es nicht besser aus“, berichtete Ziegler erschöpft. „Helga Kreuzner, die Mutter unseres Opfers, wiederholte nur das, was sie den Beamten zuvor schon erzählte. Sie war sich absolut sicher, dass Michael Lehm ihre Tochter umgebracht hat. Die Tatsache, dass es nun tatsächlich ein Mord war, hat sie darin nur bestärkt.“
„Hat sie irgendeinen Grund genannt, warum Herr Lehm ihre Tochter auf dem Gewissen haben soll?“, erkundigte sich Kern.
„Nichts wirklich Neues“, schaltete sich Cem ein. „Ein Schläger, dem sie alles zutraut.“
Kern hatte nichts anderes erwartet.
„Ist ihren Eltern jemals etwas aufgefallen, das auf häusliche Gewalt hindeutet? Verletzungen, Blessuren oder ähnliches?“, hakte Kathrin nach.
„Das haben wir sie auch gefragt“, antwortete Ziegler. „Aber da gab es offensichtlich nichts. Allerdings änderte das nichts an Helga Kreuzners Verdächtigungen.“
Schade, dachte Kern. Mit haltlosen Anschuldigungen konnten sie nichts anfangen, sie brauchten Beweise.
„War nach den Berichten der Beamten vorher zu sehen“, stellte Kern fest, „aber dann gibt es nicht wirklich einen Anhaltspunkt, dass Herrn Lehm öfters mal die Hand ausrutschte. Ich möchte trotzdem, dass wir der Sache nachgehen. Herr Aktürk und Herr Ziegler, Sie klappern den Freundes- und Bekanntenkreis von Frau Kreuzner ab und fragen nach, ob es jemals Hinweise auf Gewalt in der Beziehung gab. Wenn Herr Lehm seine Freundin öfters oder sogar regelmäßig schlug, dann wird es jemandem aufgefallen sein.“
Cem und Ziegler nickten.
„Aktenkundig ist nichts, soviel wissen wir bereits. Herr Lehm ist weder vorbestraft, noch gab es jemals Anzeigen wegen Körperverletzung oder anderer Delikte“, erklärte Ziegler.
„Ok, das muss noch nichts bedeuten. Sie könnte auch Angst vor ihm gehabt haben, aber wir sollten uns Gewissheit verschaffen.“
„Die Mutter erwähnte außerdem eine Svenja Schwarz“, warf Cem ein. „Eine alte Freundin von Larissa Kreuzner aus Studienzeiten, zu der sie regelmäßig Kontakt hatte. Wir konnten sie allerdings noch nicht erreichen.“
„Gut, bleiben Sie dran. Vielleicht weiß sie etwas, dass uns weiterhilft. Liegen die Berichte des KTI vor?“
„Ja.“ Ziegler zog einen Bericht aus dem vor ihm liegenden Ordner. „Also...“ Er nahm einen tiefen Atemzug, „außer den Schleifspuren auf dem Teppich und Blutspuren von Frau Kreuzner wurde DNA von mehreren Personen gefunden, und zwar sowohl auf der Kleidung, als auch auf dem Balkon und in der Wohnung von Frau Kreuzner.“
„Irgendwelche Fingerabdrücke?“, warf Kern ein.
Ziegler verneinte. „Der Täter trug die ganze Zeit über Handschuhe. Sehr wahrscheinlich stammt mindestens eine Probe von Herrn Lehm, aber falls er es nicht war, könnte es sich bei der anderen Probe um die ihres Mörders handeln.“
Kern nickte. „Leider beweisen DNA-Spuren von Herrn Lehm am Tatort gar nichts. Ohne Zeugen wird es extrem schwierig, ihn als Täter zu überführen. Wir werden ihn dennoch bitten, sich einer DNA-Probe zu unterziehen.“ Kern warf Kathrin einen Blick zu.
„Er wird begeistert sein“, sagte Kathrin sarkastisch.
„Geht nicht anders.“ Kern wandte sich wieder an Ziegler. „Von wie vielen Personen wurde DNA gefunden?“ Ziegler nahm wieder den Bericht zur Hand.
„Von mindestens drei verschiedenen Personen.“ Er sah Kern an.
Kern stöhnte. Das klang nach einer Menge Arbeit.
„Gab es Hinweise, dass sich jemand gewaltsam Zutritt zur Wohnung verschafft hat?“, wollte Kathrin wissen. Cem schüttelte den Kopf. „Tür und Schloss waren unversehrt.“
„Dann müssen wir davon ausgehen, dass die Person, die Frau Kreuzner bewusstlos geschlagen hat, der Mörder ist“, schlussfolgerte Kathrin.
„Höchstwahrscheinlich“, stimmte Cem ihr zu.
Kern rieb sich das Kinn.
„Einen Raubmord können wir ausschließen“, ergänzte Ziegler. „Sämtliche Wertgegenstände wie Geld, Kreditkarte, Schmuck, war alles noch da. Das Einzige, was nicht zu finden war, war Frau Kreuzners Handy.“
„Handyortung?“
„Leider ergebnislos. Ihr Handy ist ausgeschaltet.“ Cem klang enttäuscht.
„Das ging schnell“, sagte Kern erstaunt.
„Das Handy war zuletzt um 23.30 Uhr in der Funkzelle in der Pelikanstraße eingeloggt und wurde dann ausgeschaltet. Vermutlich hat es der Täter mitgenommen. Wenn es eingeschaltet wird, erfahren wir es sofort. Ich habe einen Blick in Frau Kreuzners Laptop geworfen, konnte allerdings nichts entdecken, was uns Hinweise zum Mörder liefert“, fuhr Cem fort.
„Na gut. Dann gehen wir folgendermaßen vor. Sie“, Kern wendete sich an Ziegler und Cem, „nehmen sich den Freundes- und Bekanntenkreis von Frau Kreuzner vor. Wenn Herr Lehm in der Vergangenheit gewalttätig gegenüber seiner Freundin war, dann finden wir es heraus. Kathrin und ich werden uns das berufliche Umfeld von Frau Kreuzner anschauen und gleich morgen mit dem Rektor der Schule, wo sie arbeitete, sprechen und uns dort umhören“, bestimmte Kern. Er warf Kathrin einen Blick zu, die zustimmend nickte. „Ok.“ Kern sah auf die Uhr. „Ich denke, für heute können wir Schluss machen. Wir sehen uns dann morgen.“ Cem und Ziegler erhoben sich, während er Kathrin ein Signal gab, dass sie ebenfalls gehen konnte.
Kern wusste nicht, ob sie im beruflichen Umfeld von Frau Kreuzner tatsächlich fündig würden. Die Tatsache, dass Larissa Kreuzners Freund ein Motiv, aber kein Alibi hatte und zur fraglichen Zeit am Tatort war, schien ihm weit mehr als nur ein seltsamer Zufall. War wirklich, kurz nachdem Lehm gegangen war, der wahre Mörder gekommen, hatte ihr ins Gesicht geschlagen und sie vom Balkon geworfen? Oder war die Sache viel einfacher, nämlich ein eifersüchtiger Freund, der durchdrehte? Sehr häufig kamen Täter aus dem direkten Umfeld der Opfer und so reizbar, wie Lehm sich benommen hatte, konnte Kern es sich durchaus vorstellen. Todunglücklich wirkte er nicht. Kern hatte im Laufe seiner Karriere vielen Hinterbliebenen und Verwandten die schmerzhafte Botschaft eines Verlustes übermitteln müssen und nicht selten komplette Zusammenbrüche erlebt. Andere versuchten mit aller Macht, die Fassung zu wahren. Lehm gehörte in keine der beiden Kategorien. Er wirkte nicht tief betrübt über das, was seiner Freundin zugestoßen war, und er stand ganz sicher nicht vor einem emotionalen Zusammenbruch. War der Streit eskaliert? War Lehm so rasend geworden, dass er völlig die Beherrschung verlor und sie umbrachte? Oder hatte Larissa Kreuzner womöglich ein dunkles Geheimnis und ihr Freund war dahinter gekommen? Eine Affäre vielleicht? Sie mussten unbedingt mehr über das Verhältnis zwischen Michael Lehm und Larissa Kreuzner herausfinden. Es gab noch so viele offene Fragen.