Читать книгу Ich weiß was du getan hast - Stefan Zeh - Страница 25
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ОглавлениеDamals ... Larissa Kreuzner stand vorne am Lehrerpult und ging der Reihe nach die Namen durch. In der Hand hielt sie die korrigierten Klassenarbeiten der Deutschprüfung, die sie letzte Woche geschrieben hatten. „Theresa“, las sie vor und ging zu Theresas Platz, um ihr die Prüfung auf den Tisch zu legen. „Erwin. Bitte einmal nach hinten reichen.“ Sie übergab Claudia Erwins Klassenarbeit. „Yes, 4+“, freute sich Erwin lautstark. „Viertelnote gesteigert!“ „Du Held“, kommentierte Claudia spöttisch. „Reicht fast für eine Belobigung.“ „Ach, so ein Wisch brauch ich nicht“, tat Erwin wie immer cool. „Julius“. Larissa Kreuzner ging auf Julius Platz zu. „Sie können ihn auch Dumpfbacke nennen“, rief ihr Erwin zu. „Glaub damit fühlt er sich wohler.“ „Ich kann dich auch nochmal nachsitzen lassen, vielleicht fühlst du dich damit wohler!“ Erwins Grinsen verflog. „Hier“, sie reichte Julius die Klassenarbeit. Julius nahm sie entgegen. Er hatte eine 3,5. Seine schlechteste Note im Vorjahr war eine 2,5 gewesen. Eine ganze Note schlechter. Seine Eltern würden ausrasten. Normalerweise weckten solche Noten seinen Ansporn, sich mehr anzustrengen. Aber diesmal nicht. Wofür auch? Er merkte, dass Frau Kreuzner nach wie vor neben seinem Platz stand. „Julius, ich möchte nach der Stunde bitte kurz mit dir sprechen. Geht das?“ Julius nickte. „Erwin, mit dir bitte auch.“ Erwin verzog das Gesicht. Aber da ihm keine andere Wahl blieb, murmelte er zustimmend. Die Schüler verließen nach und nach die Klasse, während Julius und Erwin auf ihren Plätzen blieben und darauf warteten, dass Frau Kreuzner ihre Klassenbucheinträge fertig stellte. Wenige Augenblicke später schob sie das Buch beiseite und sah erst zu Julius, dann zu Erwin. „So“, begann sie. „Ich möchte erst mal mit Julius sprechen. Wartest du bitte draußen?“ Sie nickte in Erwins Richtung. „Kein Problem“, antwortete Erwin entspannt und verließ gemächlich den Raum. Larissa Kreuzner nahm sich einen Stuhl und setzte sich Julius gegenüber an seinen Tisch. „Geht es dir wieder besser?“, erkundigte sich Larissa Kreuzner und warf Julius einen kurzen Blick zu. „Ja, geht schon“, entgegnete er wenig überzeugend. „Julius, warum ich mir dir sprechen möchte.“ Larissa Kreuzner kramte eine Liste aus ihren Unterlagen hervor. „Ich habe mir deine Noten seit Beginn des Schuljahres angesehen.“ Sie warf ihm einen erneuten Blick zu. „Wir hatten seitdem zwei Englischklausuren und eine Deutschklausur. In der Englischklausur hattest du eine 3+, das war dein schlechtestes Ergebnis, seitdem du bei mir Englisch hast. Allerdings, da muss ich gestehen, hielt sich meine Überraschung in Grenzen, weil du mit dem Ergebnis immer noch deutlich besser wie der Schnitt warst. Die meisten hielten es offenbar nicht für nötig, in den Ferien auch nur einen Finger zu krümmen. Aber dann hatten wir die zweite Klausur.“ Sie hielt kurz inne und fuhr mit dem Finger an der Notenspalte entlang. „Und du warst schlechter wie in der ersten, hattest eine 3-. Und in der Deutschklausur heute“, sie wies mit dem Kopf auf die vor ihm liegende Prüfung, „eine 3,5. So ganz verstehen tu ich das nicht. Du hattest doch immer Spitzennoten, warst Klassenbester. Und aktuell bewegst du dich irgendwo im mittleren, eher hinteren Drittel. Gibt es dafür eine Erklärung?“ Sie musterte ihn besorgt. „Keine Ahnung“, antwortete Julius schulterzuckend. „Hatte einfach keinen guten Start.“ „Ja, das sehe ich. Aber du hattest nie Noten im Dreierbereich. Ich habe auch mit deinen anderen Lehrern gesprochen. Egal ob Bio, Chemie, Mathe, Französisch, du hast dich seit Schuljahresbeginn in allen Fächern deutlich verschlechtert. Teilweise über eine Note. Dafür muss es doch einen Grund geben?“ Julius sah auf seine Prüfung. Die rote Punktzahl, die ihm Larissa Kreuzner eingetragen hatte, und die 3-4, die daneben stand. Natürlich gab es einen Grund. Aber den konnte er seiner Klassenlehrerin unmöglich sagen. Weder ihr, noch sonst jemandem. Der Grund stand vor der Tür und wartete bestimmt schon ungeduldig, wann sie endlich fertig waren. Ihm waren seine Noten vermutlich scheißegal. „Julius?“ Larissa Kreuzner beobachtete ihn aufmerksam. Er mochte sie. Sie war aufmerksam, geduldig, erlaubte keine blöden Bemerkungen und machte einen vertrauenerweckenden Eindruck. Aber mit ihr darüber sprechen konnte er trotzdem nicht. Sicherlich würde sie versuchen ihm zu helfen, mit Erwin und den anderen Lehrern sprechen. Aber was half das? Nichts. Ganz im Gegenteil, es würde die ganze Situation noch verkomplizieren. Erwin würde sofort wissen, wer ihn angeschwärzt hatte und das als Grund nehmen, die „Petze“ erst recht fertig zu machen. Wie konnte man einen Mitschüler bei seiner Klassenlehrerin anschwärzen? Das ging gar nicht. Dafür musste er bestraft werden. Das war nicht Julius Meinung. Aber genau das würde Erwin sagen. Und dann wäre nicht nur er, sondern auch der gesamte Rest der Klasse gegen ihn. „Es ist alles gut“, behauptete Julius und sah wieder auf. „Hatte nur einen schlechten Start, meine Noten werden auch wieder besser.“ „Sicher?“, hakte Larissa Kreuzner nach. „Du weißt, ich bin Vertrauenslehrerin. Wenn es irgendein Problem gibt, sei es daheim, in der Schule mit deinen Mitschülern, du kannst mit mir reden. Ich werde es absolut diskret behandeln.“ Ihr Blick schien ihn zu durchbohren. Sie wusste, dass etwas nicht stimmte. Sie hatte sofort verstanden, was vorgefallen war, als sie mit der Neuen das Klassenzimmer betrat, und seine Sachen quer über den Boden verteilt vorfand. Aber so gerne er sich ihr anvertraut hätte, er konnte es einfach nicht. Und er hoffte inständig, dass sie nicht aus diesem Grund mit Erwin sprechen wollte. „Nein, danke. Es ist alles bestens.“ Er bemühte sich, es möglichst überzeugend klingen lassen. Sie beobachtete ihn noch einen Moment. Es war ihr anzusehen, dass sie ihm nicht glaubte, beließ es jedoch dabei. „Na, dann.“ Sie legte die Liste wieder zu ihren Unterlagen und erhob sich. „Julius, wenn dir noch etwas auf dem Herzen liegt, du kannst jederzeit zu mir kommen. Ok?“ „Ok“, bestätigte er und stand ebenfalls auf. „Dann schick bitte Erwin rein.“ „Was wollte die Olle denn?“, fragte Marvin, während Erwin an ihm vorbei stürmte. „Nix, wegen meinen Noten halt. Sag mal, ist Jenny noch da?“ „Keine Ahnung“, rief Marvin ihm hinterher. „Vorhin stand sie mit Claudia unten. Wohin willst du überhaupt? Wir wollten doch was essen gehen!“ „Morgen!“ Erwin verschwand hinter der nächsten Ecke. Er wollte unbedingt mit Jenny reden. Wenn er sich beeilte, konnte er sie vielleicht noch abpassen. Er lief die Treppe hinab, durchquerte die Aula und rannte auf den Pausenhof. Von Jenny keine Spur. „Mist!“, fluchte Erwin. Was musste der Penner auch so lange mit Frau Kreuzner quatschen? Er ging zum oberen Teil des Pausenhofs und spähte über den Zaun. Auf der anderen Seite kam Jenny gerade, mit einem belegten Brötchen in der Hand, vom Bäcker. Glück gehabt. Er verließ den Hof durch das Haupttor und holte sie schließlich auf dem Gehweg ein. „Hey Jenny“, sagte Erwin freundlich. Jenny drehte sich überrascht um. „Ach, hi“, erwiderte sie. „Was machst du denn hier?“ „Dich stalken“, grinste er. „Ich merks“, antwortete sie ebenfalls grinsend. „Hat dich Frau Kreuzner zur Schnecke gemacht?“ „Ach was“, winkte Erwin gelassen ab. „Nur ein bisschen bla bla wegen meiner Noten. Nichts Ernstes.“ Er lächelte. „Ok.“ Sie wandte sich ab. „Dann bis morgen.“ „Warte“, stoppte Erwin sie. „Soll ich dich nach Hause fahren? Mein Moped steht direkt um die Ecke.“ Er zeigte mit dem Kopf in die entsprechende Richtung. „Nee, lass mal. Ich lauf lieber die paar Meter.“ Sie wandte sich zum Gehen, als Erwin erneut ansetzte. „Du musst bis zur Oberen Ziegelei laufen. Und von da aus dann mit der U-Bahn fahren. Braucht mindestens 20 Minuten. Mit dem Moped sind wir in zwei Minuten unten.“ „Woher weißt du, wo ich wohne?“, fragte sie etwas perplex. „Ich hab doch gesagt, ich stalke dich.“ Erwin grinste frech. „Hmmm“, machte Jenny laut. „Also, ich weiß nicht so recht.“ Es gefiel ihr, Erwin zappeln zu lassen. „Zwei Minuten“, wiederholte er. Jenny sah Erwin an, der ihren Blick erwiderte. Eigentlich hatte sie nicht wirklich Lust, bis zur Oberen Ziegelei zu laufen. Und das Angebot war verlockend. „Na, schön. Wo stehst du?“ Kurze Zeit später saß sie bei Erwin auf dem Moped und sie düsten die Sommerrainstraße entlang. Erwin jagte die Maschine mit viel zu hoher Geschwindigkeit durch die enge Kurve und bog an der Oberen Ziegelei unter lautstarkem Hupen links ab. „Die Ampel war rot“, rief Jenny durch den Helm zu Erwin. „Festhalten! Ich hab zwei Minuten versprochen.“ Jenny umklammerte Erwin, womit dieser genau das erreichte, was er beabsichtigte. Er raste die Schmidener Straße abwärts, an der U-Bahnhaltestelle Gnesener Straße vorbei und verlangsamte erst beim Kreisverkehr vor dem Hotel das Tempo. Er bog links in Richtung Kursaal ab. „Das Haus gleich da vorne“, wies ihn Jenny an. Sie wohnte mit ihrer Mutter in einer Neubausiedlung in der Teinacher Straße, direkt gegenüber dem Mineralbad Cannstatt. Erwin parkte sein Moped an der Hausecke und ließ Jenny absteigen. „Wow“, sagte Jenny beeindruckt, während sie den Helm abnahm. „Dachte mit dem Teil kannst du maximal 45 km/h fahren, solange du keinen richtigen Führerschein hast.“ Sie wies mit dem Kopf in Richtung des Mopeds. „Hab bisschen dran herum geschraubt.“ Erwin warf sich in Positur. „Nicht schlecht“, gestand Jenny. „Ich komm noch schnell mit hoch!“ „Neene, du bleibt schön hier“, entgegnete Jenny lachend. „Dir entgeht was“, meinte Erwin augenzwinkernd. „Klar, aber ich nehme dich trotzdem nicht mit hoch.“ „Ganz kurz nur? Ein ganz kurzer Quickie?“ „Danke fürs Mitnehmen.“ Jenny ignorierte seinen letzten Kommentar und ließ ihn stehen. „Bis morgen!“ „Kommst du Freitagabend mit?“, rief er ihr hinterher. Jenny drehte sich um. „Wohin?“ „Marvin, ich und ein paar Mädels aus der Klasse gehen auf eine Party in der Stadt. Ist ein richtig geiler Laden.“ Damit hatte er Jennys Interesse geweckt. „Sind die nicht ab 18?“, fragte sie etwas verwundert. „Normalerweise schon, aber am Freitag ab 16. Bis Mitternacht.“ „Klar, warum nicht?“, stimmte Jenny nach einem kurzen Moment zu. Sie diktierte Erwin ihre Nummer, sodass er sie der Whatsappgruppe hinzufügen konnte. „Cool.“ Erwin setzte wieder seinen Helm auf. „Bis morgen.“