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Adrian Neumann war inzwischen zu Wodka übergegangen. Nachdem er den gesamten Biervorrat geleert hatte, brauchte er etwas Stärkeres. Geschlafen hatte er gar nicht. Wie so oft die letzten Nächte. Er saß einfach nur da und starrte die Wand an. Ausgerechnet an dem Tag, an dem er alles beenden wollte, wurde vor seinen Augen die Nachbarin vom Balkon geworfen. Einfach so. Es war unfassbar.

Adrian stand noch einige Minuten auf dem Dach und versuchte zu begreifen, was er da gesehen hatte. Er konnte es nicht. Irgendwann machte er sich an den Abstieg und kehrte zu seiner Wohnung zurück. Er öffnete ein weiteres Bier und versuchte zu verstehen, wer das getan haben könnte und warum. Er kannte die Frau. Es war Larissa Kreuzner. Er hatte ein paar Mal mit ihr zu tun. Besonders gemocht hatte er sie nicht. Aber warum stieß sie jemand vom Balkon?

Er spürte eine Mischung aus Entsetzen und Wut. Entsetzen, dass jemand einen anderen Menschen einfach hinunter warf, wie ein Stück Müll, aber auch Wut, dass es ausgerechnet an jenem Abend passierte, an dem eigentlich er sterben wollte. Er, nicht sie. Es war eine makabre Ironie des Schicksals.

Stunden später saß er noch immer regungslos in seiner Wohnung. Er schenkte sich erneut ein Glas Wodka ein und leerte es in einem Zug. Das Brennen in seiner Kehle tat gut. Wirklich betrunken machte es ihn nicht. Adrian war den Alkohol gewöhnt. Er war in der letzten Zeit sein bester Freund. Abhängig war er nicht, zumindest glaubte er das. Eigentlich war es ihm auch egal, er wollte eh alles beenden. Ob er dann abhängig war oder nicht, spielte keine Rolle. Adrian plante keine Kehrtwende. Er würde einfach kommende Nacht wieder hinaufsteigen und hoffen, dass er es dieses Mal durchziehen konnte. Er hätte es auch letzte Nacht noch tun können. Niemand sonst schien von Larissa Kreuzners Tod etwas mitbekommen zu haben. Offenbar war er der einzige Zeuge. Aber er konnte es nicht. Er wusste nicht warum, aber ihm war klar, in dieser Nacht würde er es nicht mehr tun.

Inzwischen wurde es draußen hell. Adrian hatte sich gefragt, wie lange es dauern würde, bis jemand ihren Tod bemerkte. Einige Stunden vergingen, ohne dass etwas passierte. Irgendwann in den frühen Morgenstunden sah er dann ein Blaulicht auf der Hauswand gegenüber. Nacheinander trafen Polizei-, und Rettungswagen ein. Adrian kamen kurz Zweifel, ob Larissa den Sturz möglicherweise überlebt hatte. Aber das war bei der Höhe ausgeschlossen. Bald darauf kamen zwei weitere Fahrzeuge, vermutlich von der Kripo, und Adrian bemerkte einen Herrn, der von seinem Fahrzeug zusammen mit einer jungen Frau zum Tatort ging. Außerdem waren Leute von der Spurensicherung aufgetaucht. Als nicht allzu lange danach die Leiche auf einer Bahre mit einer schwarzen Plane abtransportiert wurde, bestätigte sich das, was er eigentlich schon wusste. Larissa Kreuzner war tot.

Einige Zeit später sah er Polizeibeamte, die die Häuser abklapperten und vermutlich nach Zeugen suchten. Sie klingelten auch bei ihm. Aber er machte nicht auf. Er wusste, er hätte Informationen liefern können, hätte erzählen können, was er gesehen hatte, aber er konnte es nicht. Die Polizei würde Fragen stellen. Unangenehme Fragen. Und was sollte er sagen, was er auf dem Dach gemacht hatte? Sich die schöne Aussicht ansehen? Es gab noch einen weiteren Grund. Sie würden ihn bitten, mit auf das Präsidium zu kommen, damit sie seine Aussage schriftlich aufnehmen konnten. Sie würden vielleicht wieder kommen und neue Fragen stellen. Er würde in den Fall involviert werden. Und das wollte Adrian auf keinen Fall. Er wollte abschließen. Mit sich, mit dem Leben. Wenn er sich erst aus der Deckung wagte, ging das nicht mehr so einfach. Sonst glaubten sie am Ende noch, sein Suizid hätte mit Frau Kreuzner zu tun.

Er schenkte sich ein weiteres Glas ein, hielt aber in der Bewegung inne. Allmählich machte sich der Alkohol bemerkbar. Ihm war schlecht und in seinem Kopf begann es zu hämmern. Normalerweise bekamen die Leute erst hinterher einen Kater, wieso hatte er so ein Pech? Er stellte das Glas wieder ab und ging erneut zum Fenster. Mittlerweile war es nahezu Tag und die Szenerie gut erkennbar. Die Polizei schien fertig zu sein. Von den Männern in der weißen Kleidung war nichts mehr zu sehen. Auch die beiden Kommissare konnte er nirgends entdecken. Nur das Absperrband und ein Polizeiwagen standen noch da. Draußen hatte sich ein ganzer Haufen sensationslüsterner Nachbarn eingefunden, die alle noch etwas aufschnappen wollten. Blöde Gaffer. Vermutlich war es das Highlight in ihrem langweiligen Leben. Jetzt hatten sie endlich mal etwas zu erzählen. Adrian hegte keinerlei Zweifel, dass dieselben Nachbarn auch um seine Leiche herumstehen und tuscheln würden. Der komische Eigenbrötler, der sich mehr und mehr verkroch, dem die Frau weggelaufen und dessen Sohn tot war. Klar, sie würden sich ihr Maul über ihn zerreißen. Und wer weiß, was sie noch alles hinzudichteten.

Larissa Kreuzner hatte es gut. Sie musste sich um derlei Dinge keine Gedanken mehr machen. Er ließ den Vorhang los und legte sich aufs Sofa. Wie musste es sich anfühlen, eine Familie zu haben, der man berichten konnte, was passiert war? Der man überhaupt etwas erzählen konnte. Er konnte sich nicht mehr erinnern. Es war zu lange her. Vielleicht hatte er nie eine Familie gehabt. Aber tief in seinem Inneren wusste er, es war anders. Es gab eine Familie. Es gab eine glückliche Zeit in seinem Leben. Damals, noch gar nicht allzu lange her. Bevor die Tragödie sein Leben heimsuchte, und von einem Tag auf den anderen nichts mehr war wie vorher. Er wollte nicht mehr darüber nachdenken. Nie wieder. Sofort spürte er den Schmerz. Er konnte ihn nicht abstellen. Er konnte ihn auch nicht mehr ersäufen. Sein Leben war vorbei. Er spürte, wie ihn die Müdigkeit endlich einholte. Er schloss die Augen und hoffte, nie wieder aufzuwachen.


Ich weiß was du getan hast

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