Читать книгу Ich weiß was du getan hast - Stefan Zeh - Страница 8
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ОглавлениеDer Klingelton seines Handys riss Kriminalhauptkommissar Markus Kern aus dem Schlaf. Er drehte sich zur Seite und sah auf den Wecker. Die Leuchtziffern zeigten 04:45 Uhr an. Kern gab einen mürrischen Laut von sich, worauf sich seine Frau Sandra vom ihm wegdrehte und die Decke über den Kopf zog. Sie war die nächtlichen Anrufe gewöhnt. Kern griff nach seinem Handy. „Kern“, meldete er sich, noch etwas verschlafen.
„Guten Morgen, Chef“, erklang die fröhliche Stimme von seiner Kollegin. Es war Kriminaloberkommissarin Kathrin Klein, die zu jeder Uhrzeit den Eindruck erweckte, fit und ausgeschlafen zu sein. Aber das lag vermutlich an ihren 28, während er selbst bereits 50 war. Der Unterschied machte sich allmählich bemerkbar.
„Tut mir leid, Sie so früh morgens wecken zu müssen“, entschuldigte sich Kathrin.
„Schon ok“, murmelte Kern. „Was und wo?“ Er ahnte bereits, was kommen würde.
„Neugereut, Pelikanstraße“, informierte ihn seine Kollegin. „Dort wurde vor einer halben Stunde eine Frauenleiche gefunden.“
„Gut, bin so schnell wie möglich da.“
Kurze Zeit später fuhr Markus Kern mit seinem schwarzen BMW die Kormoranstraße entlang und bog hinter der U-Bahnhaltestelle in die Pelikanstraße ein. Er kannte die Gegend nur wenig, aber dank seinem Navi war es einfach zu finden, und um diese Uhrzeit gab es kaum Verkehr. Er bog links ab und parkte seinen Wagen auf dem großen Parkplatz, der sich vor mehreren Hochhäusern befand. Kern stieg aus. Es war noch sehr kühl an diesem Montagmorgen, obwohl die Temperaturen für Mitte Mai tagsüber schon angenehm warm waren. Kathrin Klein kam ihm entgegen. Sie hatte lange, blonde Haare, blaue Augen und ein hübsches Gesicht. Mit ihrer schlanken, sportlichen Figur zog sie nicht selten die Blicke von Männern auf sich. Kern bemitleidete sich selbst kurz angesichts von so viel Frische und Jugendlichkeit, und das mitten in der Nacht. Seine optisch besten Zeiten waren definitiv vorbei. Sein ursprünglich braunes Haar war mittlerweile leicht ergraut und wurde von einigen kahlen Stellen unterwandert.
„Morgen“, grüßte Kern seine Kollegin. „Wo ist die Leiche?“
„Dort drüben.“ Kathrin deutete auf eine Stelle hinter dem weiß-blauen Hochhaus, neben dem Kern geparkt hatte. „Eine Passantin hat sie heute morgen auf dem Weg zur Arbeit gefunden.“ Kathrin führte Kern auf den Rasen hinter dem Gebäude, wo bereits eine Polizeiabsperrung angebracht war. Daneben hatten sich ein paar neugierige Passanten eingefunden, die sich das Spektakel, trotz der frühen Uhrzeit, nicht entgehen lassen wollten. Ein bärtiger, gut genährter Polizist begrüßte sie und ließ Kern und Kathrin durch die Absperrung.
Auf dem Rasen lag die Leiche einer jungen Frau. Ihre Haltung war verkrümmt und neben ihr war eine Blutlache, soweit Kern das in dem Licht, das die Kollegen angebracht hatten, erkennen konnte. Sie trug keine Schuhe und war nur leicht bekleidet. Über sie war ein Notarzt gebeugt. Mehrere Kollegen der Spurensicherung umkreisten die Szenerie und schossen Fotos.
„Was wissen wir?“, wandte sich Kern seiner Kollegin zu.
„Die Frau heißt Larissa Kreuzner“, antwortete Kathrin. „Die Nachbarin, die sie gefunden hat, konnte sie zweifelsfrei identifizieren.“ Sie deutete auf eine junge Frau neben der Absperrung, die sichtlich geschockt wirkte und sich mit einem uniformierten Polizisten unterhielt.
„Todesursache?“
„Vermutlich ein Fall aus großer Höhe“, antwortete der glatzköpfige Notarzt, der sich erhob und Kern begrüßte. „Ich gehe davon aus, sie ist von einem der Balkone gestürzt.“ Er deutete nach oben. „Ich kann im Moment allerdings noch nicht sagen, ob Suizid oder Fremdeinwirkung. Das muss die Obduktion klären.“
„Können Sie schon etwas zum Todeszeitpunkt sagen?“, hakte Kern nach.
„Schwierig.“ Der Notarzt runzelte die Stirn und warf einen erneuten Blick auf die Leiche. „Ich würde sagen, mindestens zwei und höchstens sechs Stunden. Genauer möchte ich mich im Moment nicht festlegen.“
„Danke.“ Kern nickte und sah sich um. Gegenüber befanden sich weitere Hochhäuser, mit einem rot-orange-beigen Anstrich. Mit etwas Glück hatte einer der Nachbarn von dort aus etwas gesehen, wobei die hohen Bäume die Sicht deutlich erschwerten.
„Was ist mit den Nachbarn?“, fragte Kern den uniformierten Polizisten.
„Werden im Moment von meinen Kollegen befragt“, erklärte der Beamte, der sich als Herr Fischer vorstellte. „Wir konnten mithilfe der Nachbarin bereits den Hausmeister ausfindig machen. Er hat die Wohnung von Larissa Kreuzner aufgeschlossen, das Team von der Spurensicherung ist bereits vor Ort. Soll ich Sie zur Wohnung führen?“
Offenbar waren heute morgen alle auf Zack, dachte Kern verdrießlich. „Bringen Sie meine Kollegin hinauf, ich möchte mich noch kurz mit der Nachbarin, die die Leiche gefunden hat, unterhalten.“
„Einverstanden.“ Fischer verschwand mit Kathrin hinter dem Gebäude.
Kern wandte sich der jungen Frau zu, die noch immer ziemlich verstört drein blickte. „Guten Morgen“, sagte Kern höflich. „Mein Name ist Kern, Kripo Stuttgart. Kann ich Ihnen kurz ein paar Fragen stellen?“
„Natürlich“, antwortete die junge Frau unsicher, ihren Blick jetzt von der Leiche abgewandt. Kern schätzte sie auf Ende 20, mit braunen, schulterlangen Haaren. Sie trug einen Mantel und drückte eine kleine Handtasche an sich. Die Arme hatte sie vor der Brust verschränkt.
„Sie sind?“
„Nadine Feiß“, antwortete sie. Kern notierte sich den Namen auf seinem Notizblock.
„Sie haben die Leiche von Larissa Kreuzner gefunden?“
„Ja, ich wollte heute morgen zur Arbeit und lüfte immer kurz, bevor ich die Wohnung verlasse. Als ich die Balkontür öffnete, habe ich einen dunklen Schatten auf dem Rasen entdeckt. Ich bin auf den Balkon, um nachzusehen, was das war, und da habe ich sie gefunden.“ Sie schüttelte fassungslos den Kopf und Kern merkte, wie ihr die Tränen hochstiegen. „Der Anblick war entsetzlich.“
Kern holte ein Taschentuch aus seiner Jacke und reichte ihr es. Nadine Feiß nahm es dankend an.
„Um wie viel Uhr war das?“
„Müsste so gegen vier gewesen sein“, überlegte sie. „Ich verlasse meistens gegen 04.10 Uhr das Haus.“
„Ist Ihnen vielleicht heute morgen oder gestern Abend irgendetwas aufgefallen?“
Nadine dachte nach. „Nicht, dass ich wüsste, nein.“ Sie schüttelte abermals den Kopf. Sie wirkte etwas nervös.
„Wie war das Verhältnis zwischen Ihnen und Frau Kreuzner?“
„Nachbarschaftlich“, entgegnete sie. „Ich kannte sie nicht wirklich, wir haben uns ein oder zweimal im Treppenhaus unterhalten, ansonsten das übliche „Hallo“ und „Auf Wiedersehen“.
„Verstehe.“ Kern nickte.
„Hören Sie, bitte verstehen Sie meine Ungeduld nicht falsch. Ich habe vorhin mit meinem Chef telefoniert, dass ich später komme, ohne ihm genau zu sagen, was los ist. Interessiert ihn vermutlich auch nicht. Aber ich muss jetzt gehen, sonst kriege ich Ärger.“
„Ok, dann möchte ich Sie nicht weiter aufhalten. Wir melden uns, falls wir noch Fragen haben. Danke.“
„Kein Problem.“ Nadine entfernte sich und machte sich eilig auf den Weg zur Haltestelle.
Als Kern in Richtung Hauseingang ging, kam Kathrin um die Ecke. Sie drückte Kern einen Becher mit heißem Kaffee in die Hand.
„Sie sind ein Schatz“, sagte Kern schmunzelnd und nahm ihn dankbar entgegen. „Wo haben Sie denn den aufgetrieben?“
„Der Hausmeister war so freundlich, uns welchen zu machen.“ Kathrin lächelte.
Polizistin hin oder her, ihrem Charme erlag offensichtlich jeder, selbst unter den gräuslichsten Umständen, stellte Kern innerlich fest. „Nett von ihm,“ grummelte er.
„Konnte sie uns weiterhelfen?“ Kathrin deutete mit dem Kopf in Richtung der Stelle, an der sich Kern mit der Nachbarin unterhalten hatte.
„Sie hat die Leiche etwa gegen vier Uhr entdeckt, das grenzt den Zeitraum, laut Angaben des Notarztes, auf zwischen 22 bis 2 Uhr ein. Jetzt müssen wir aber erst mal die Obduktion abwarten, um zu wissen, womit wir es überhaupt zu tun haben.“
Kathrin nickte.
„Was ergab die Spurensuche in der Wohnung?“
„Die Spurensicherung durchkämmt momentan jeden Zentimeter. Ich wollte sie nicht stören und habe nur einen kurzen Blick hineingeworfen. Konnte im ersten Moment aber nichts Auffälliges erkennen.“
„Ok, dann warte ich, bis die Spurensicherung durch ist und sehe mir anschließend die Wohnung nochmal gründlich an. Lassen Sie die Leiche in die Gerichtsmedizin bringen und fahren Sie anschließend ins Kommissariat. Vielleicht haben wir ja bereits erste Ergebnisse. Wir treffen uns dann dort.“
„Alles klar“, antwortete Kathrin und ging zum Leichenfundort, während sich Kern auf den Weg nach oben machte.