Читать книгу Ich weiß was du getan hast - Stefan Zeh - Страница 18

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Die Befragung der Arbeitskollegen von Larissa Kreuzner verlief ziemlich ernüchternd, mussten Kathrin und Kern zu ihrem Bedauern feststellen. Frau Kreuzner hatte zu keinem ihrer Kollegen einen wirklich guten Draht, und so konnte ihnen niemand sagen, ob Frau Kreuzner häufiger Streit mit ihrem Freund oder einem bestimmten Schüler hatte. Keinem war die letzten Wochen vor ihrem Tod etwas Ungewöhnliches aufgefallen. Weder wirkte sie besonders gestresst, noch schien sie von jemandem bedroht zu werden. Verletzungen, die auf häusliche Gewalt schließen ließen, gab es ebenfalls keine.

Auf die Frage, ob es in der Vergangenheit größere Konflikte zwischen Schülern gab, mit denen diese sich an Frau Kreuzner gewandt hatten, ernteten sie nur ratlose Blicke. Allerdings stellte sich heraus, dass es neben der Vertrauenslehrerin noch einen Sozialpädagogen gab, der zurzeit im Urlaub war und ihnen hier eventuell weiterhelfen könnte. Kern merkte sich vor, zu einem späteren Zeitpunkt mit ihm zu sprechen. Die Abschlussklasse, die Frau Kreuzner unterrichtete, hatte bereits schulfrei. Der Abschlussball war das letzte gemeinsame Ereignis, bevor sich die Wege der Schüler trennten. Das machte es schwierig, mit einzelnen Schülern zu sprechen, wobei Kern bezweifelte, dass sie das weiterbringen würde. Auch die Untersuchung des Arbeitsplatzes von Frau Kreuzner, den sie mit Erlaubnis des Rektors unter die Lupe nahmen, war ernüchternd. Sie entdeckten mehrere Notenlisten, Unterrichtsmaterialien und Anmerkungen zu einzelnen Schülern. Leider wies nichts auf Auseinandersetzungen oder Anfeindungen hin.

„Irgendwie habe ich mir etwas mehr erhofft.“ Kathrin stieg etwas frustriert zu Kern in den BMW.

„Ich glaube, das berufliche Umfeld ist eine Sackgasse“, entgegnete Kern. „Ein Schüler bekommt von Frau Kreuzner nicht die erwartete Hilfe und bringt sie deswegen um? Das erscheint mir etwas absurd. Wenn es hier Anfeindungen gab, hätten ihre Kollegen doch etwas mitbekommen müssen.“

„Ich weiß nicht.“ Kathrin war nicht überzeugt. „So verschlossen, wie Frau Kreuzner war, erscheint mir das durchaus möglich. Die meisten wussten nicht einmal, dass Larissa Kreuzner in einer festen Beziehung war.“

In dem Moment, als Kern den Motor startete, klingelte sein Handy. Er schaltete den Motor wieder aus und aktivierte die Freisprechanlage, damit Kathrin mithören konnte.

„Kern?“

„Ziegler hier“, ertönte es aus der Freisprechanlage. „Herr Kern, hier ist vor fünf Minuten eine ältere Dame aufgetaucht, Frau Leonie Beck. Sie meinte, sie habe Informationen für uns, was den Mord an Larissa Kreuzner angeht.“

„Sehr gut.“ Kern lehnte sich zufrieden in seinen Sitz zurück. „Bieten Sie ihr einen Kaffee an, wir sind gleich zurück.“

„Alles klar.“ Ziegler beendete das Gespräch.

„Wenigstens eine, die etwas gesehen hat“, meinte Kern optimistisch und starte den Motor.

„Da bin ich mal gespannt.“ Kathrin nahm den Gurt und schnallte sich an.


Kurze Zeit später saßen Kathrin und Kern einer älteren, etwas fülligen Dame im Vernehmungszimmer gegenüber, die sie erwartungsvoll durch ihre dicke Brille ansah. Als Kern und Kathrin den Raum betraten, erhob sie sich und begrüßte die beiden Kommissare überschwänglich, als hätte sie im Lotto gewonnen.

„Danke, dass Sie gewartet haben“, begrüßte Kern Frau Beck. „Mein Kollege meinte, Sie haben Informationen bezüglich des Mordes an Frau Kreuzner?“ Er sah sie gespannt an.

„Ganz genau“, bestätigte Frau Beck.

„Bitte.“ Kern machte eine aufmunternde Handbewegung.

„Ich wohne eine Etage über Frau Kreuzner“, erklärte Frau Beck. „Wir sind uns im Treppenhaus immer mal wieder über den Weg gelaufen und haben hier und da mal ein Wort gewechselt.“ Sie machte eine kurze Pause. „An dem Abend allerdings habe ich sie nicht gesehen, aber gehört.“ Ihre Stimme kletterte einige Oktaven höher.

„Sie meinen den Streit?“, erkundigte sich Kathrin.

„Ja, genau den“, bekräftigte Frau Beck vollauf motiviert. „War auch schwer zu überhören. Es fing zwar leise an, aber der Streit schien regelrecht zu eskalieren. Irgendwann haben sie sich angeschrien und ich hatte schon die Befürchtung, die gehen gleich aufeinander los.“ Ihre Stimme nahm einen besorgten Ton an.

„Haben Sie etwas unternommen?“, fragte Kern.

„Nein.“ Frau Beck blickte etwas reumütig drein und strich sich verlegen durch die kurzen, braunen Haare. „Ich habe es mir zwar mehrfach überlegt und bin sogar die Etage runtergegangen, um genauer zu hören, worum es ging, aber klingeln wollte ich dann doch nicht.“

„Fanden Sie heraus, was los war?“ Kathrin beugte sich interessiert vor.

„Nicht im Detail. Offenbar ging es um ein Treffen, wo Frau Kreuzner ihn versetzt hatte, aber das schien zunehmend in gegenseitige Vorhaltungen und Beleidigungen über zu gehen.“

Kathrin nickte. „Und dann?“

„Ich bin wieder hochgegangen und habe abgewartet. Irgendwann hörte ich die Wohnungstür zuknallen.“

„Um wie viel Uhr war das?“, erkundigte sich Kern.

„Ich denke, so gegen halb elf“, schätzte Frau Beck. „Auf die Uhr geguckt habe ich allerdings nicht.“

Halb elf, überlegte Kern. Das haute zeitlich hin.

„Es war auch schon ziemlich spät. Normalerweise bin ich zu dieser Uhrzeit im Bad und putze Zähne, aber...“

„Ja“, bemühte sich Kern, Frau Becks Redeschwall freundlich auszubremsen. „Haben Sie danach nochmal etwas von ihr gehört?“

„Ihre Stimme nicht mehr“, erzählte Frau Beck weiter. „Allerdings bin ich, nachdem der Streit nicht mehr zu überhören war, raus ins Treppenhaus, weil mir einfiel, dass ich die Blumen im Treppenhaus noch gießen wollte.“

Klar, um halb elf, dachte Kathrin etwas missgünstig. Sie vermutete vielmehr, dass Frau Beck auf keinen Fall etwas von den Geschehnissen verpassen wollte, die sich unten abspielten. Sie schien gerne auf der Suche nach neuen Themen zum Tratschen zu sein. Ein Seitenblick zu Kern verriet ihr, dass er genau das Gleiche dachte.

„Gut, sie waren also die Blumen gießen, als Frau Kreuzners Freund tobend aus der Wohnung stürmte?“

„Ja“, bestätigte Frau Beck überzeugt. „Danach war es ein paar Minuten still.“ Ihre Stimme nahm einen geheimnisvollen Ton an. „Aber danach klingelte wieder jemand.“

Kathrin und Kern horchten auf. „Haben Sie gesehen, wer?“, hakte Kathrin gespannt nach.

„Ich vermute, ihr Freund kam zurück, um sich zu entschuldigen.“ In diesem Punkt schien sie unsicher.

„Vermuten Sie oder wissen Sie es?“, bohrte Kern nach.

„Ich gehe davon aus. Immerhin war ihr Freund erst wenige Minuten zuvor da und ich glaube kaum, dass sie sofort den nächsten Besuch erwartete.“

„Aber haben Sie gesehen, dass ihr Freund zurück gekommen ist?“ Kern wollte es genau wissen. Vermutungen halfen hier nicht weiter.

„Nicht direkt“, wich Frau Beck aus. „Ich stand eine Etage höher. Ich habe nur Schritte im Treppenhaus gehört, dann hat jemand unten geklingelt und die Tür wurde geöffnet.“

„Haben Sie etwas von der anschließenden Kommunikation mitbekommen? Gab es erneut einen Streit?“, wollte Kathrin wissen.

„Ich konnte nicht hören, ob Frau Kreuzner etwas sagte. Aber einen Streit gab es auf keinen Fall. Es war still. Kurze Zeit später hörte ich einen dumpfen Schlag und ich meine mich zu erinnern, dass die Balkontür geöffnet wurde.“

Das war der Mord, da hatte Kathrin keinerlei Zweifel. Aber der entscheidende Hinweis fehlte. „Um wie viel Uhr war das?“

„Vielleicht halb elf, zwanzig vor, so was rum.“ Frau Beck schien sich ziemlich sicher zu sein. Damit konnten sie den Zeitpunkt des Mordes sehr genau eingrenzen. Larissa Kreuzner starb also zwischen 22.30 und 23 Uhr.

„Die Person, die später bei Frau Kreuzner klingelte, befand sich also schon im Treppenhaus?“, schlussfolgerte Kern.

„Auf jeden Fall“, sagte Frau Beck überzeugt. „Die Klingel unten hätte ich gehört. Es hat jemand an der Wohnungstür geklingelt. Wie zuvor auch.“ Das warf die Frage auf, ob Michael Lehm, Larissa Kreuzners Freund, einen Schlüssel zu der Wohnung besaß.

„Frau Beck.“ Kern lehnte sich vor. „Es ist für uns überaus entscheidend, wer die Person war, die nach Frau Kreuzners Freund die Wohnung betrat. Gibt es irgendetwas, oder können Sie sich an irgendetwas erinnern, was uns weiterhilft?“

Frau Beck wirkte nachdenklich. Dann schien ihr plötzlich etwas einzufallen und sie schaute die Kommissare mit großen Augen an. Sie winkte die Kommissare näher zu sich. „Ich habe erst neulich eine Dokumentation im Fernsehen gesehen“, flüsterte sie verschwörerisch und sah sich nach allen Seiten um, als befürchtete sie, beobachtet zu werden. „Da betrat ein Mann die Wohnung seiner Freundin...“ Sie legte eine dramatische Pause ein. „Und dann fiel die Frau einfach tot um.“

„Ah“, machte Kern. „Ich denke, das können wir in diesem Fall ausschließen!“

„Gut.“ Frau Beck klang erleichtert.

Kern blickte zu Kathrin, die sich bemühte, nicht lauthals los zu lachen. Kern hatte ebenfalls Schwierigkeiten, ein Grinsen zu unterdrücken.

„Woher wussten Sie eigentlich, dass es Frau Kreuzners Freund war, mit dem sie sich stritt?“, wollte Kathrin wissen, die sich bereits wieder gefangen hatte. „Kannten Sie ihn?“

„Natürlich!“ Sie tat, als wäre das völlig offensichtlich. „Ich bin ihm mehrmals im Treppenhaus begegnet und es war nicht der erste Streit, den es zwischen den beiden gab, von daher kannte ich die Stimme.“

„War es dieser Mann?“ Kern hielt ihr ein Foto von Michael Lehm hin.

„Ja, genau der“, bekräftigte sie nickend.

„Und als wenige Minuten später der andere Mann, oder ihr Freund, zurück kam, haben Sie nichts mehr gehört? Keinen Streit, keine Unterhaltung, wirklich gar nichts?“

Frau Becks Gesichtsausdruck war abermals grübelnd. „Bis auf das dumpfe Geräusch, nichts. Nein.“

Kathrin fand das außerordentlich seltsam. Das dumpfe Geräusch rührte daher, dass Larissa Kreuzner auf dem Boden aufschlug. Aber vorher gab sie keinen Mucks von sich. Sie steht ihrem Mörder gegenüber und versucht nicht einmal zu flüchten oder sich zu wehren? Dann musste sie der Schlag völlig unvermittelt getroffen haben. „Zwischen dem Eintreten besagter zweiten Person und dem dumpfen Schlag, wie viel Zeit lag da?“

„Nur ein paar Minuten, denke ich.“

„In Ordnung“, sagte Kern abschließend. „Frau Beck, vielen Dank, Sie haben uns sehr geholfen. Wenn uns noch etwas einfällt, melden wir uns bei Ihnen.“ Kern und Kathrin erhoben sich.

„Nicht der Rede wert“, strahlte Frau Beck begeistert, dass sie den Kommissaren einen Hinweis liefern konnte. „Es ist fürchterlich, was der jungen Frau zugestoßen ist.“ Sie wirkte mit einem Mal tief betrübt. „So ein entsetzliches Verbrechen, und das in unmittelbarer Nachbarschaft, da will ich natürlich auch, dass der Kerl geschnappt wird, damit ich nachts wieder ruhig schlafen kann.“

„Selbstverständlich“, sagte Kern lächelnd und führte sie hinaus. Frau Beck schien noch nicht fertig zu sein. „Ich hätte ja nie erwartet, dass ihr so ein furchtbares Schicksal blüht, die Ärmste. Wissen Sie, ich habe Larissa Kreuzner und ihren Freund ein paar Mal gesehen und besonders glücklich wirkten sie nicht.“

Kern war im Eingang des Vernehmungszimmers, neben Kathrin, stehen geblieben. Er verstand, dass es für Frau Beck einen Schock war, aber die Zeit, sich den Rest des Tages mit ihr zu unterhalten, hatten sie nicht. „Frau Beck, ich verstehe...“

„Ständig diese Streitereien“, fuhr sie ungerührt fort, als hätte Kern gar nichts gesagt. „Eine Beziehung und dann nur streiten, das ist doch nichts.“ Sie schüttelte den Kopf.

„Kein Wunder, dass Frau Kreuzner irgendwann die Nase voll hatte und eine Affäre begonnen hat.“


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