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Damals ... „Ihr habt eine Stunde Zeit“, sagte Larissa Kreuzner mit Blick auf die Uhr. „Viel Erfolg!“ Erwin Mahle sah genervt auf die Prüfung, die vor ihm auf dem Tisch lag. Es war Anfang September und die Ferien waren vorbei. Wie angekündigt, fand die Englischprüfung unmittelbar einen Tag nach den Ferien statt. Es war eine Übersetzung und Erwin hatte in den Ferien überhaupt keine Lust gehabt, sich mit Vokabeln zu befassen. Dafür war das Wetter viel zu gut gewesen und im Freibad ließ es sich bei 35 Grad deutlich besser aushalten als in dem stickigen Klassenraum. Der September startete ebenso heiß, wie der August endete. Die Temperaturen waren zwar etwas runtergegangen, aber es war definitiv zu heiß zum Denken. Frau Kreuzner hätte ihnen wenigstens eine Woche Schonfrist gönnen können, um wieder einigermaßen reinzukommen. Aber das tat sie nicht. Er sah zu ihr hinüber. Sie saß vorne am Pult und ging einen Stapel Papiere durch. Erwin las sich die ersten Sätze durch. Er konnte sich nicht wirklich konzentrieren. Die Hälfte der Wörter kannte er nicht und die Sätze machten für ihn keinen Sinn. Bedauerlicherweise kontrollierte Larissa Kreuzner sehr streng. Eine grobe Übersetzung reichte ihr nicht, es musste ganz entsprechend der Musterlösung sein. Er ließ erneut seinen Blick schweifen. Marvin, der neben ihm saß, wirkte mindestens ebenso planlos wie er. Er kratzte sich am Kopf, schrieb zwei Sätze auf, um sie gleich anschließend wieder durchzustreichen. Vor Erwin saßen Claudia und Mareike, den Blick konzentriert auf den Text gerichtet. Ganz vorne, in der ersten Reihe, Julius und Tobias. Julius war eifrig am Schreiben und schien überhaupt keine Zeit zum Nachdenken zu benötigen. Tobias bereitete der Text anscheinend auch keine Probleme. Scheiß Streber, dachte Erwin feindselig. Wahrscheinlich hatten sie kein Leben, saßen den ganzen Tag daheim und hatten die Ferien mit Lernen verbracht. Solche Opfer. Erwins Kopf funktionierte nicht. Und von Marvin abschreiben machte keinen Sinn. Er könnte es von Claudia versuchen. Sie saß schräg vor ihm. Wenn er sich etwas nach vorne beugte, konnte er vielleicht einzelne Textpassagen erkennen. Er musste allerdings vorsichtig sein. Erwin schaute aus den Augenwinkeln abschätzig zu Larissa Kreuzner. Sie war weiterhin in den Papierstapel vertieft und ließ nur ab und an ihren Blick über die Klasse schweifen. Erwin beugte sich ein Stück nach vorne. Claudia saß zu weit weg, die Sätze waren zu unscharf, um sie zu erkennen. Er schielte erneut nach der Klassenlehrerin und streckte sich etwas mehr über den Tisch. Marvin bemerkte ihn und grinste. Er gab ihm Zeichen, die Lehrerin im Auge zu behalten, und stierte auf Claudias Blatt. In diesem Moment gab der Tisch ein knarzendes Geräusch von sich und Larissa Kreuzner sah auf. „Erwin, bleib auf deinem Blatt“, wies sie ihn laut an. „Noch so ein Versuch und du kannst mit einer Sechs abgeben.“ Claudia, die ihn nicht gesehen hatte, drehte sich kurz zu ihm um und wandte sich wieder ihrer Prüfung zu. Mist! Erwin ließ sich ohne Widerrede auf seinem Stuhl nieder. Wieso musste sie die verdammte Übersetzung einen Tag nach den Ferien machen? Kurze Zeit später standen die Ersten auf und gaben ihre Prüfung bei der Klassenlehrerin ab. „Ok, ihr habt noch zwei Minuten“, sagte Larissa Kreuzner und schaute zu der großen Wanduhr. „Kommt bitte zum Ende. Wer fertig ist, kann in die Pause gehen.“ Entnervt nahm Erwin sein Blatt, auf dem höchstens fünf Sätze standen, und davon vermutlich die Hälfte falsch, und legte es Frau Kreuzner auf das Pult. „Erwin, du solltest im neuen Jahr nicht so weiter machen, wie du im alten aufgehört hast“, warnte sie ihn. „Die Versetzung war letztes Mal schon knapp. Nochmal kann ich mich nicht für dich stark machen.“ „Jaja“, brummte Erwin und verließ den Raum, gefolgt von Marvin und Dominic. „Was für ein dämlicher Text“, beschwerte sich Erwin im Hinausgehen. „Habt ihr eine Silbe von dem Gefasel verstanden?“ „Kein Plan gehabt“, antwortete Marvin und Dominic schüttelte den Kopf. „Wenn sie wenigstens mal einen normalen Text aussuchen würde, aber immer diese hochgestochene Sprache und das auch noch zur Übersetzung. Ätzend.“ Dominic und Marvin nickten zustimmend. „Was haben wir nach der Pause?“, wandte sich Erwin an Dominic. „Chemie.“ „Toller Montag“, raunzte Erwin, noch übler gelaunt. „Bringen wir unser Zeug hoch und gehen bisschen raus. Ich brauche frische Luft.“ Kurz bevor sie sich zum Gehen wandten, bemerkte Erwin eine ältere Frau, die vor dem Klassenzimmer auf jemanden wartete. In diesem Augenblick kam Larissa Kreuzner heraus und begrüßte diese freundlich. „Wer ist das denn?“, fragte Marvin überrascht. „Oberstudienrätin oder so“, antwortete Dominic. „Ihre Tochter kommt zu uns in die Klasse.“ „Woher weißt denn du das?“ Marvin wirkte amüsiert. „Hat die Kreuzner auf dem Elternabend vor den Ferien erzählt.“ „Na hauptsach nicht wieder so ne Fette wie letztes Mal“, rief Erwin ignorant und steuerte in Richtung Chemiesaal. Dieser befand sich im zweiten Obergeschoss neben den Laborräumen. Erwin knallte sein Chemiebuch mitsamt Heft neben die verschlossene Eingangstür, wo schon einige andere lagen. Ein paar seiner Mitschüler hatten sich bereits dort versammelt und blickten kurz auf, als Erwin das Buch lautstark auf den Boden donnerte, sahen dann aber sofort wieder weg. Keiner traute sich, Erwin zu maßregeln oder ihn zu bitten, das Buch leise auf den Boden zu legen. Dominic und Marvin taten es ihm gleich. „Ich bin so genervt von der Klausur“, sagte Erwin aggressiv, „könnte grade irgendwas kaputt hauen.“ „Scheiß drauf“, entgegnete Marvin. „Kommen noch mehr.“ „Scheiß drauf?“, wiederholte Erwin gereizt. „Die Kreuzner hat mich im Hinausgehen gleich wieder dumm angemacht, so von wegen, kann nicht so weitergehen wie letztes Jahr und Versetzung war gefährdet und blabla“, äffte er sie nach. „Erster Tag nach den Ferien und ich könnt kotzen.“ Er trat gegen irgendein auf dem Boden liegendes Buch, woraufhin dieses quer durch den Flur segelte. „Entspann dich“, lachte Marvin und blickte in die Gruppe Mitschüler, von denen aber keiner Anstalten machte, das Buch wieder herzuholen. „Was glotzt du denn so behindert?“, schrie Erwin aggressiv zu Julius, der lediglich kurz in seine Richtung geschaut hatte. Julius reagierte nicht. Er stand zusammen mit Tobias in einer Gruppe von Mitschülern, die ihn aber nicht wirklich in ihr Gespräch integrierten. „Ey, ich hab eine geile Idee“, sagte Erwin, den Blick noch immer auf Julius gerichtet. Er flüsterte Marvin und Dominic etwas zu. „Du machst es!“, wies er Dominic grinsend an. „Nee“, sagte Dominic. „Doch, komm schon, das wird witzig.“ „Na meinetwegen“, willigte Dominic ein. Er bewegte sich auf Julius zu. Jonas kam um die Ecke geschlendert, legte seine Bücher zu den anderen und ging zu Erwin und Marvin. „Du kommst gerade richtig“, erklärte ihm Erwin. „Wieso?“ Erwin deutete mit dem Kopf in Dominics Richtung, der Julius schon beinahe erreicht hatte. „Wetten, es klappt?“ „Niemals“, erwiderte Jonas, der sofort wusste, was Dominic vor hatte. In diesem Moment bemerkte Julius Dominic und drehte sich zu ihm um. „Hallo Julius“, rief Dominic übertrieben freundlich. „Was ist denn?“ Julius wirkte unsicher. „Nichts, wollte nur einem alten Freund hallo sagen“, behauptete Dominic und setzte eine unschuldige Miene auf. „Klar.“ Julius war wenig überzeugt. Erwin und seine Clique beobachteten breit grinsend das Spektakel. Erwin gab Dominic ein Zeichen, sich wieder ein Stückchen zu entfernen, damit Julius nicht weiter Verdacht schöpfte. Er hatte vermutlich schon eine Ahnung, dass sie etwas im Schilde führten, wusste aber nicht was. Dominic ging ein kleines Stückchen zurück und wartete, bis Julius sich wieder der Gruppe zuwandte. In dieser Sekunde sprintete Dominic los, griff Julius Jeans und riss sie mit einem Ruck herunter. Erwin prustete los, als Julius vor der halben Schule in Unterhose da stand. Auch die anderen konnte sich vor Lachen kaum noch halten. Julius lief vor lauter Scham krebsrot an. Er griff seine Jeans und zog sie eilig wieder nach oben. „Sexy Unterhose“, rief Erwin, um gleich noch einen drauf zu setzen. Julius, noch immer knallrot, bemühte sich, seinen Gürtel fester zu schnallen, damit Dominic seine Aktion nicht wiederholen konnte. Der Rest der Gruppe, ebenfalls amüsiert, hatte sich ein Stück von ihm entfernt. „Komm, schlag ein.“ Erwin klatschte mit Dominic ein. „Geile Aktion! Na, was hab ich dir gesagt?“, wandte er sich grinsend an Jonas. „Der Idiot ist nicht mal in der Lage, seine Hose richtig anzuziehen. Kommt, gehen wir runter!“

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