Читать книгу Sprache als psychotherapeutische Intervention - Steven C. Hayes - Страница 26
1.6.7 Relationale Netzwerke erweitern sich schnell, weil Ableitungen gebildet werden
ОглавлениеSobald kontextuelle relationale Hinweisreize verinnerlicht sind, können sie flexibel und in Kombination mit anderen relationalen Stimuli angewandt werden. Stellen Sie sich vor, ein Vater sagt zu seinem Sohn im Zoo: »Guck dir den kleinen Panther an! Er sieht genauso aus wie seine Mutter, nur kleiner!«. Ein Verhältnis von Gleichheit zwischen dem Panther und seinem Jungen wird durch den Hinweisreiz genauso hergestellt, während ein vergleichendes Verhältnis durch den Hinweis aber kleiner bestimmt wird. Wie bei allen Beziehungen kann hier eine bidirektionale Beziehung abgeleitet werden: Wenn das Junge kleiner ist, dann ist die Panthermutter größer.
Stellen Sie sich vor, dass das Mädchen, das vor Katzen wegläuft, und der kleine Junge, der den Panther im Zoo sah, in der gleichen Klasse der Grundschule sind. Sie werden beste Freunde und reden gerne stundenlang über die Erfahrungen ihres jungen Lebens. Eines Tages fragt das kleine Mädchen: »Welches ist dein Lieblingstier?« Der Junge sagt: »Panther! Ich liebe Panther! Ich habe einen Panther und sein Junges im Zoo gesehen.« Das kleine Mädchen fragt: »Was ist ein Panther?«. »Er ist wie eine große, große Katze!«, sagt der kleine Junge. Das kleine Mädchen hört auf zu lächeln, schreit: »Katzen sind gefährlich!« und rennt weg. Als sie nach Hause kommen, fragen der kleine Junge und das Mädchen ihre Eltern: »Ist es wahr, dass Panther sehr gefährlich sind?«.
An dieser Situation ist faszinierend, dass das Mädchen noch nie einen Panther gesehen hat, und dass dem Jungen noch nie gesagt wurde, dass Panther gefährlich sind. Trotzdem denken nun beide, dass Panther gefährlich sind. Das gleiche Prinzip, das wir im vorangegangenen Teil dieses Kapitels behandelt haben, führte bei dem kleinen Mädchen dazu zu denken, Panther sind gefährlich. Als der kleine Junge sagte: »Er ist wie eine große, große Katze«, stellte er eine vergleichende Beziehung zwischen Katzen und Panthern her. Dabei benutzte er die kontextuellen Hinweisreize wie und groß. Katzen haben für das kleine Mädchen die Funktion, gefährlich zu sein. Durch das Herstellen einer Beziehung zwischen den beiden Begriffen wird die Funktion des Hinweisreizes Panther transformiert. Sie sind jetzt auch gefährlich, und wahrscheinlich sogar gefährlicher, weil sie größer sind. Der Junge hat ebenfalls etwas gelernt, was ihm nicht direkt erzählt wurde. Einfach ausgedrückt könnten wir sagen, dass er abgeleitet hat, Panther sind gefährlich, weil Katzen gefährlich sind. Aus der Sicht der Relational Frame Theory macht dies deutlich, wie abgeleitete Beziehungen sich aus bidirektionalen Beziehungen (wie im Lernen zum Wort »Apfel«) zu ganzen Netzwerken aus hergeleiteten Beziehungen erweitern, in denen sie sich miteinander verknüpfen.
Ergebnisse der Forschungsarbeiten zur Relational Frame Theory erlauben es, diese Sprachprozesse nachzuvollziehen und Prinzipien für den Einsatz in der Therapie zu entwickeln. Ein typisches Experiment besteht zunächst darin, eine Beziehung zwischen zwei Stimuli herzustellen. Der Proband lernt, aus einer Auswahl an Stimuli (aaa, bbb und ccc) aaa zu wählen, immer wenn die Buchstabenreihe xxx gemeinsam mit dem kontextuellen Hinweisreiz »ist das Gleiche wie« präsentiert wird. So wird eine Äquivalenzbeziehung hergestellt ( Abb. 1.1). Im Laufe des Experimentes wird dem Probanden statt der Serie xxx nun die Buchstabenreihe aaa präsentiert, gekoppelt an den kontextuellen Hinweisreiz »ist das Gleiche wie«, während der Proband sich jetzt für einen der folgenden Stimuli entscheiden muss: xxx, bbb oder ccc ( Abb. 1.2). Anders ausgedrückt müssen die Probanden unmittelbar nachdem sie verinnerlicht haben, dass aaa das Gleiche ist wie xxx, die Frage beantworten: »xxx ist das Gleiche wie __________?« Das ist es genau das, was Sie als Leser in diesem Absatz vermittelt bekommen haben. Wir haben Ihnen gesagt, dass aaa das Gleiche ist wie xxx, aber wir haben Ihnen nicht gesagt was xxx entspricht. Nun, wie schwer ist es, diese Frage zu beantworten? Es ist wahrscheinlich sehr leicht. Und trotzdem verlangt diese einfache Frage, dass Sie sich entgegen der gelernten Richtung der Beziehung bewegen.
In der Relational Frame Theory wird dieses Prinzip wechselseitige Ableitung (Mutual Entailment) genannt; d. h., eine gelernte Beziehung zwischen einem Stimulus A und einem Stimulus B bedeutet, dass auch die umgekehrte Beziehung zwischen B und A gültig ist. Wenn A gleich B ist, dann leiten Sie intuitiv auch daraus ab, dass B gleich A ist. Wenn A das Gegenteil von B ist, dann können Sie ableiten, dass B das Gegenteil von A ist. Wenn A größer ist als B, dann können Sie ableiten, dass B kleiner ist als A, usw. Dank diesem Prinzip lernen Kinder schnell die Bedeutung neuer Worte, sobald kontextuelle Hinweisreize in ihrem verbalen Repertoire hinterlegt sind. Alles, was man ihnen sagen muss, ist, dass x gleich y ist. Dann können sie x in neuen Sätzen benutzen, wenn sie über y sprechen wollen. Wenn z. B. ein Kind fragt: »Was bedeutet hungrig?« und sein Vater ihm sagt: »Das ist, wenn du eine Weile lang
Abb. 1.1
Abb. 1.2
nicht gegessen hast und du spürst, dass du etwas zu Essen brauchst.« Dann kann das Kind sagen: »Ich bin hungrig«, wenn es das Beschriebene spürt. Die Beziehung hungrig sein = Essen benötigen führt zur Herleitung der wechselseitigen Bedingung Essen benötigen = hungrig sein.
Lassen Sie uns etwas weitergehen. Jetzt, da Sie durch die wechselseitige Bedingung wissen, dass aaa das Gleiche ist wie xxx und andersherum, stellen Sie sich vor, wir hätten Ihnen auch gesagt, dass xxx das Gleiche ist wie zzz. Was können Sie über die Beziehung zwischen aaa und zzz ableiten? Anders ausgedrückt, wenn A = B und B = C, wie ist dann die Beziehung zwischen A und C? Dank des Prinzips der Herleitung können Sie sagen, dass A = C und C = A, oder dass aaa das Gleiche ist wie zzz und zzz das Gleiche ist wie aaa ( Abb. 1.3) Die Herleitung »B ist das Gleiche wie A« erfolgte, nachdem Sie gelernt hatten, dass A das Gleiche ist wie B. Sie beruhte auf einer gegenseitigen Wechselwirkung. Jedoch gilt dieses Prinzip nicht bei der Aussage A ist das Gleiche wie C (und umgekehrt), weil kein kontextueller Hinweisreiz jemals diese beiden Stimuli direkt miteinander in Beziehung gebracht hat. Dies gilt ebenso für aaa ist das Gleiche wie zzz. Bevor wir Ihnen die Frage stellten, inwiefern diese miteinander in Beziehung stehen, wurden sie niemals gleichzeitig im selben Satz erwähnt. In der Relational Frame Theory heißt diese Art der Herleitung kombinatorische Ableitung (Combinatorial Entailment): Sie müssen zwei Beziehungen miteinander verknüpfen, um eine dritte abzuleiten. Anstatt sich der technischen Definition »wechselseitige und kombinatorische Bedingung« zu bedienen, ist es einfacher, sich zu merken, dass symbolische Beziehungen wechselseitig sind und sich zu Netzwerken verknüpfen. Das Erlernen von zwei Beziehungen zwischen drei Stimuli kann zur Ableitung von vier weiteren Beziehungen führen. Wie unser Kollege J. T. Blackledge sagt: »Kaufen Sie zwei, Sie bekommen vier gratis!«4
Abb. 1.3
Die Netzwerke können die Funktionen der Dinge, die in ihnen enthalten sind, verändern. Lassen Sie uns zu den Katzen und den Panthern zurückkehren. Das Mädchen erzählte dem kleinen Jungen, dass Katzen gefährlich sind. Vorher wusste er nur, dass Panther wie große Katzen sind. Wenn wir diese beiden Sätze in Relational Frame Theory Begriffe übersetzen, dann wurde ihm erzählt, dass A = B (Katzen = gefährlich), und er wusste bereits, dass C = A (Panther = Katzen). Als er fragte: »Ist es wahr, dass Panther sehr gefährlich sind?« leitete er die Beziehung C = B durch die Anwendung einer kombinatorischen Ableitung her. Weil er dies auch hinsichtlich der Größe wusste – C > A5 (Panther sind wie große Katzen) – konnte er sogar herleiten, dass Panther sehr gefährlich sind, obwohl ihm dies niemals gesagt wurde.
In der Relational Frame Theory basieren Sprache und Kognition6 auf den Eigenschaften der Herstellung von Bezugsrahmen: Wechselseitige Beziehungen verknüpfen sich zu Netzwerken, die dann die Funktion von Ereignissen verändern. All dies wird durch den relationalen und funktionalen Kontext gesteuert. Dies macht das Denken beim Menschen aus.