Читать книгу Sprache als psychotherapeutische Intervention - Steven C. Hayes - Страница 39
2.5 Probleme mit Motivation 2.5.1 Sprache bringt entfernte und abstrakte Konsequenzen in die Gegenwart
ОглавлениеEin großer Anteil menschlichen Verhaltens ist symbolisch motiviert – dies ist entscheidend für den praktischen Nutzen von Sprache. Menschen können sich wunderbare Welten vorstellen – einschließlich solcher, die nie existiert haben. Mit Sprache kann man die Übereinstimmung des eigenen Verhaltens mit einer angenehmen Vision und dem tatsächlichen Fortschritt beim Erreichen von Ergebnissen verfolgen. Stimuli, die zuverlässig die Fortschritte auf dem Weg zu einem wichtigen Ziel anzeigen, motivieren im direkten Kontingenzlernen das Verhalten. Menschen können dies mithilfe von Sprache bewerkstelligen, die in jedem Moment Bedeutung und Zielorientierung bereitstellt.
Menschen, die eine bessere Welt erreichen oder ein besseres Leben erschaffen wollten, haben eine große Zahl von heldenhaften Dingen getan. Kämpfer für soziale Gerechtigkeit stellen sich vor, benachteiligten Menschen zu besseren Lebensbedingungen zu verhelfen. Sie engagieren sich über Jahre und Jahrzehnte und unternehmen Schritte, die wenig positive Konsequenzen haben, außer, Übereinstimmung mit der Vision zu haben (und vielleicht kleine Zeichen von Fortschritt, wie beispielsweise das Engagement anderer für dasselbe Ziel). Es ist dabei nicht so, dass Konsequenzen keinen Einfluss auf den Kampf für soziale Gerechtigkeit haben – es ist vielmehr so, dass die Konsequenzen symbolisch verankert sind.
Ein wichtiger Bereich, in dem dieser Prozess von zentraler Bedeutung ist, ist die Selbststeuerung. Wenn kurzfristig wirksame Konsequenzen einen stärkeren Einfluss ausüben als langfristig wirksame Konsequenzen, dann ist eine Möglichkeit, Verhalten zu verändern, das Entfernen kurzfristig wirksamer Konsequenzen. Dies tun Verhaltenstherapeuten, wenn sie Zugriff auf die unmittelbare Umwelt des Patienten haben. Wenn Therapeuten in einem Krankenhaus feststellen, dass ihre Zuwendung kurzfristig das selbstverletzende Verhalten eines Patienten verstärkt, können sie ihre Aufmerksamkeit auf angemesseneres Verhalten lenken (z. B. wenn der Patient um Hilfe bittet). Es ist allerdings oft schwierig oder auch unmöglich, Konsequenzen zu entfernen, die sofort greifen. Beispielsweise ist die Reduktion von Entzugssymptomen eine intrinsisch verstärkende Qualität des Substanzmissbrauchs. Es ist dann unmöglich, das Verhalten und seine Auswirkungen voneinander zu trennen.
Sprache unterstützt Menschen dabei, Verhalten auf langfristige Konsequenzen auszurichten. Tatsächlich ist ein Großteil des Alltagsverhaltens durch Denken und Sprache symbolisch mit langfristigen Konsequenzen verbunden. Wenn morgens der Wecker klingelt, können Menschen durch Sprache mit wichtigen Konsequenzen in Kontakt treten. Möglicherweise denken sie: »Ich kann es kaum erwarten, meine Freunde zum Frühstück in der Stadt zu treffen«. Dabei stellt sich in der Vorstellung der Geruch des Kaffees, der Geschmack der frischen Croissants oder Freude auf den Gesichtern der Freunde ein. Diese Vorstellung (die Transformation von Funktionen aufgrund der Herstellung von Bezugsrahmen) steigert die Motivation aufzustehen.
Als nächstes folgt ein Beispiel für einen weiteren wichtigen symbolischen Prozess, der von der Relational Frame Theory identifiziert wurde: Augmenting.9
Augmenting etabliert neue Konsequenzen (gestaltendes Augmenting) oder verändert das Interesse an bestehenden Konsequenzen (motivierendes Augmenting). Augmenting funktioniert unter anderem, indem es mit Hilfe der Sprache weit entfernte Konsequenzen in die Gegenwart holt.
Ein kurzer Ausflug in die Forschung zur Relational Frame Theory hilft dabei zu verstehen, was genau gemeint ist. Ju und Hayes haben im Jahre 2008 ein Experiment vorgestellt, das zeigt, wie Motivation durch relationales Lernen aufgebaut werden kann. Zunächst lernen die Probanden, dass ein angenehmes Bild auf dem Bildschirm erscheint, wenn sie die Leertaste drücken, sobald ein grünes Licht auf dem Bildschirm zu sehen ist. Anders ausgedrückt lernen sie, dass ein spezifischer Hinweisreiz die Verfügbarkeit eines bestimmten Verstärkers anzeigt. Etwas Ähnliches passiert, wenn Sie in ein Restaurant gehen und sich die Speisekarte anschauen. Wenn Ihr Lieblingsgericht auf der Speisekarte steht, wissen Sie, dass Sie es bestellen können. Wenn es nicht auf der Speisekarte steht, geht das wahrscheinlich nicht.
Anschließend wird ein relationales Netzwerk (A = B = C) erstellt, um eine Äquivalenzbeziehung zwischen einem angenehmen Bild und zwei neuen Stimuli herzustellen, die vor dem Experiment keinerlei besondere Bedeutung hatten. Zum Beispiel wird eine Äquivalenzbeziehung zwischen dem Bild einer wunderschönen Landschaft, dem Symbol ◊ und den Buchstaben VUG hergestellt. Etwas Ähnliches passiert, wenn ein Kind, das Chips mag, lernt, dass sein Lieblingsessen mit dem Klang »Chips« in Verbindung steht, und dass es C-h-i-p-s geschrieben wird. Das tatsächliche Essen wird symbolisch äquivalent zu den anderen zwei Stimuli, obwohl deren Erscheinungsbild nicht besonders ähnlich ist. Im letzten Teil des Experiments lassen die Forscher das grüne Licht entweder alleine aufleuchten oder in Gegenwart der symbolischen Stimuli, die mit dem angenehmen Bild in Zusammenhang stehen. Die Ergebnisse zeigen, dass die Probanden sich eher dafür entscheiden, das Bild zu sehen, wenn das grüne Licht zusammen mit einem symbolischen Stimulus auf dem Bildschirm erscheint als dann, wenn es alleine zu sehen ist. Dies spricht dafür, dass das Vorhandensein des Verstärkers alleine nicht so motivierend ist, wie die Kombination mit weiteren symbolischen Stimuli. Stellen Sie sich vor, Sie sind mit einem Freund in einem Restaurant. Während Sie sich fragen, was Sie bestellen sollen, sagt Ihr Freund: »Oh, die Lasagne, die ist hier besonders lecker!«. Dieser Ausruf würde die Wahrscheinlichkeit, dass Sie Lasagne bestellen, erhöhen – und dieser Effekt würde auf Augmenting beruhen.
Augmenting erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass Menschen handeln, um eine bestimmte Konsequenz zu erreichen. Der entscheidende Punkt an diesem Prozess ist, dass er ermöglicht, dass man durch sehr weit entfernte Konsequenzen beeinflusst wird. Jean-Louis Etienne, ein bekannter französischer Wissenschaftler und Forscher, duschte einst jeden Morgen kalt, um sich auf eine Expedition an den Nordpol vorzubereiten. Das war sicherlich keine angenehme Erfahrung. Der Gedanke, dadurch auf die Kälte vorbereitet zu sein, die ihn einige Monate später erwartete, gab ihm ausreichend Motivation, sich mit dieser unangenehmen Erfahrung auseinanderzusetzen. Augmenting bringt in der Zukunft liegende Konsequenzen in die Gegenwart. Das macht Sprache zu einem starken Verbündeten. Sie hilft dabei, Verhalten auf vorteilhafte Konsequenzen auszurichten, mit denen man sonst nicht in Kontakt kommen würde. Sie erlaubt sogar Kontakt mit Konsequenzen, die man niemals direkt erlebt. Wenn Eltern Geld sparen, das an ihre Kinder nach ihrem Tod vererbt wird, dann wissen sie, dass sie niemals die Konsequenzen ihres Verhaltens sehen werden. Der Gedanke: »Mit diesem Geld werden unsere Kinder ein sicheres Leben haben«, verleiht ihnen die Kraft, sich so zu verhalten. Gedanken wie: »Ich muss meine Angst loswerden um glücklich zu sein«, oder »Ich sollte Menschen nicht trauen, damit sie mich nicht verletzen können« kann Verhalten auf eine ähnliche Weise beeinflussen. In den meisten Abschiedsbriefen bei Suiziden wird davon gesprochen, dass der Tod den Schmerz auslöscht (z. B. »Ich werde nicht mehr leiden, wenn ich mich töte«). Dies trifft im wahrsten Sinne zu, aber es kostet das Leben. Niemand, der lebt, weiß, wie es ist zu sterben. Trotzdem verändern die symbolischen Beziehungen, die in dieser Aussage stecken, die Funktion des Sterbens, sodass es nun wünschenswerte Konsequenzen hat. Der Schmerz, der damit verbunden ist, sich selbst zu verletzen, wird durch die Hoffnung überlagert, Erlösung von Leiden zu erreichen. Selbst wenn Menschen glauben, Sprache zu ihrem Vorteil zu nutzen, sind die damit verbundenen Fallen nicht fern. Die einzige Möglichkeit, diese Fallen zu vermeiden ist, auf die unmittelbare Erfahrung zu achten und Sprache so einzusetzen, dass sie zu nachhaltiger Zufriedenheit führt.