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2.4 Schwierigkeiten, die durch Sinnstiftung und Kohärenz entstehen

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Symbolische Beziehungen müssen sich sinnvoll in kohärente Netzwerke einfügen. Nur dann ist Sprache hilfreich. Kohärente Netzwerke sind ein Geflecht von Superautobahnen, durch das man genau, zuverlässig und schnell Bedeutung in einem riesigen System symbolischer Verbindungen erkennen kann. Doppeldeutigkeiten oder Unstimmigkeiten in einem relationalen Netzwerk entsprechen gesperrten Straßen. Sie zwingen dazu, die Geschwindigkeit zu reduzieren, die Situation zu durchleuchten und neue Wege zu erschließen. So reduzieren Menschen Komplexität und lösen komplexe Probleme schnell durch Sprache.

Denken Sie an folgende Frage: Wie kann man bei einer Multiple-Choice Prüfung hohe Punktzahlen erreichen, auch wenn man mit dem Thema nicht besonders gut vertraut ist? Jemand, der sich mit dieser Art von Prüfung auskennt, erkennt stimmige und nicht stimmige Beziehungen innerhalb des Textes. So kann er unplausible Antworten aussortieren. Die verbleibenden Inhalte liefern häufig hilfreiche Informationen. Ist die Antwort für Frage 10 entweder »a« oder »b«, und nimmt er an, dass »b« die richtige Antwort ist, dann kann evtl. »c« die richtige Antwort zu Frage 30 sein; wenn »a« bei Nr. 10 richtig ist, dann kann »c« bei Nr. 30 nicht richtig sein. Der Prüfungsteilnehmer wird den Test immer wieder durchgehen, bis seine Antworten eine in sich stimmige Struktur haben. In 9 von 10 Fällen verbessert ein derartiges Vorgehen die Ergebnisse von Testteilnehmern. Und zwar auch dann, wenn sie eigentlich wenig über den Prüfungsgegenstand wissen. Entscheidend ist, Kohärenz und Inkohärenz zu erkennen.

Das Erkennen von Kohärenz und Inkohärenz ist eine eindrucksvolle Fertigkeit – sie verringert die Anzahl der Konzepte, die Menschen im Kopf behalten müssen, und hilft dabei, schnell zu reagieren, auch wenn das verfügbare Wissen begrenzt ist. Menschen wenden ihre zentralen Netzwerke bei doppeldeutigen oder komplexen Situationen an. Dies macht es möglich, Situationen Bedeutung zu geben und sie vorhersehbar zu machen (siehe Quinones & Hayes, 2014 für eine Demonstration dieses Prozesses unter Anwendung der Relational Frame Theory). Menschen neigen dazu, weiter so zu denken, wie sie es gewohnt sind; Ereignisse so zu interpretieren, wie sie es vorher schon getan haben. Das ist ähnlich wie bei jedem anderen Verhalten. Das Besondere bei relationalem Verhalten ist die Breite der Auswirkungen. Eine zentrale Überzeugung wie »Man sollte Menschen nicht vertrauen« kann auf fast jede interpersonelle Situation und auf die eigene Person angewandt werden. Genau deshalb verhalten sich kognitive Schemata so heimtückisch. Wenn Kohärenz per se der einzige Wegweiser für Verhalten ist, bleibt man gefangen in seinen zentralen Ideen, Überzeugungen und Konzepten (d. h. den zentralen relationalen Netzwerken).

Die Anwendung zentraler Netzwerke auf ein breites Spektrum von Situationen führt in drei Bereichen zu besonderen Schwierigkeiten: 1) einige symbolische Netzwerke generieren sich selbst bestätigendes Verhalten; 2) die meisten Arten von Verhalten brauchen Kontakt mit Kontingenzen, um erlernt zu werden und 3) eine Bestätigung der Kohärenz muss nicht unbedingt in Effizienz münden.

Betrachten Sie zur Verdeutlichung folgende Beispiele. Punkt 1: Eine Patientin hat die Regel »Man sollte Menschen nicht trauen« aus ihrer Erfahrung abgeleitet oder sie wurde ihr vermittelt. Sie fängt an, sich selbst zu schützen, indem sie Mitmenschen auf Abstand hält, ihnen nicht viel von sich erzählt oder sie anlügt. Dieses Verhalten führt zu Gegenreaktionen der anderen (Konflikte, Abbruch des Kontakts, Anschuldigungen usw.). So beweist dieses Verhalten vermeintlich die Annahme »Man sollte Menschen nicht trauen«.

Punkt 2: Ein Mensch ist mit einer Situation konfrontiert, auf die symbolische Problemlösung nicht angewandt werden kann. Viele Fertigkeiten müssen anhand von Erfahrung erlernt werden. Gleichzeitig gibt es viele Momente im Leben, die nichts mit dem Lösen von Problemen im ursprünglichen Sinne des Begriffs zu tun haben. Betrachten Sie folgendes Beispiel: Sie betrachten einen wunderschönen Sonnenuntergang. Das Genießen eines Sonnenuntergangs ist keine Situation, in der ein Problem gelöst werden muss. Wenn Sie sagen würden: »Lieber Gott, das ist ein hübscher Sonnenuntergang, aber vielleicht fehlt da drüben noch ein bisschen Blau«, dann ist das keine Reaktion, die das Gefühl der Ehrfurcht in diesem Moment fördert. Überzogenes oder fehlerhaft angewandtes Problemlöseverhalten kann es erschweren, ein gut eingeübtes Klavierstück zu spielen oder einen Tennisball zu treffen. Es kann innere Ausgeglichenheit zerstören oder die Fähigkeit verschütten, Liebe, Wertschätzung, Freude und Glück zu empfinden.

Punkt 3: Ein Patient beharrt auf Verhaltensmustern, obwohl ihm die Erfahrung sagt, dass sie nicht funktionieren. Die Begründung ist, dass sie funktionieren sollten, bei anderen funktionieren, früher funktioniert haben oder es nicht fair ist, dass sie nicht funktionieren. Ein großer Teil der Psychopathologie hängt mit diesem Phänomen zusammen.

Eine alte, aber nach wie vor interessante Weise, sich mit diesem Aspekt psychologischer Probleme auseinanderzusetzen, ist die Idee, dass selbstzerstörerisches Verhalten zu einem Selbstläufer werden kann. Mowrer (1948, 1950) nannte es das »neurotisches Paradoxon«. Aus der Sicht der Relational Frame Theory persistieren psychologische Probleme, wenn Regeln Erfahrungen ausstechen. Ein Beispiel: Sie folgen der Regel »Ich muss diesen Abschnitt meines Lebens vergessen, um glücklich sein zu können«, obwohl es unmöglich ist, diese Regel umzusetzen. Wenn Sie diese Regel umsetzen wollen, kollidieren zwei Prozesse: Der 520 Millionen Jahre alte Prozess des Lernens anhand von Kontingenzen und der 100.000 bis 2 Millionen Jahre alte Prozess des Lernens mit Hilfe von Symbolen. Vereinfacht ausgedrückt beherrscht der menschliche Verstand manchmal das Verhalten auf eine ungesunde Art. Dies beruht auf schlechten Angewohnheiten. Dabei ist mit dem Wort »Verstand« allerdings nur die Sammlung des relationalen Verhaltens gemeint.

Kurzfristig erfolgreiche Strategien im Umgang mit schwierigen Gedanken, Emotionen oder Wahrnehmungen erscheinen als die beste Herangehensweise: Fernsehen als Ablenkung von traumatischen Erinnerungen hilft eine Zeit lang. Exzessives Händewaschen lindert zeitweise die Angst vor Ansteckung. Die Verlagerung der Aufmerksamkeit auf einen bestimmten Körperteil, um den Schmerz an einer anderen Stelle nicht zu fühlen, verringert Leid für ein paar Minuten. Diese kurzfristigen Erfolge können stark genug sein, um zusammen die »ewige Liste der besten Strategien zum Vermeiden von Schmerzen« zu ergeben. Diese Präferenz wiederum beeinflusst dann zukünftiges Verhalten ähnlich, wie es die Bewertungen in Reiseführern bei der Auswahl von Restaurants tun. Sprache verschleiert die langfristigen negativen Auswirkungen dieser Strategien. Die tatsächlichen Folgen dieser Verhaltensweisen haben daher nur einen geringen Einfluss auf das aktuelle Verhalten. Das ist der Grund, warum keine neuen Erfahrungen gesammelt werden, und das Vermeidungsverhalten bestehen bleibt, obwohl es langfristig von Nachteil ist.

Die Relational Frame Theory gibt hier einen wichtigen Hinweis: Es ist für die Therapeutin hilfreich, ein Bewusstsein für jene Prozesse zu entwickeln, die dazu beitragen, dass hilfreiche Kontingenzen ausgeblendet werden. Sie braucht Aufmerksamkeit dafür, die Kontextbedingungen zu erkennen, die diese Prozesse fördern oder abschwächen. Eine Therapeutin, die den Ursprung einer unangemessenen Problemlösung bei ihrem Patienten in einer zu weiten Anwendung einfacher symbolischer Prozesse sieht, findet leichter heraus, wie sie hier eine Distanzierung erreichen kann. Sie erkennt dann möglicherweise, dass ihr eigenes Bestreben, das Problem mit der Problemlösung bei ihrem Patienten zu lösen, ebenfalls eine zu breite Anwendung von Problemlösestrategien darstellt. Das motiviert sie dazu, andere nützliche Strategien in der Behandlung einzusetzen, auf die wir später in diesem Buch eingehen.

Sprache als psychotherapeutische Intervention

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