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2.2 Probleme in Zusammenhang mit Erlebnisvermeidung 2.2.1 Alles kann zu einer Quelle von Leid werden

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Ein Stimulus, der keine Hinweise auf Gefahr enthält, und bisher auch nicht damit assoziiert war, kann durch Sprache dennoch aversiven Charakter erwerben. Das Sprechen über ein zurückliegendes Trauma kann dieselben Emotionen und Empfindungen auslösen, die durchlebt wurden, als es entstand. Ganz ähnlich wie wenn man sich vorstellt, in eine saure Zitrone zu beißen – möglicherweise verzieht man den Mund oder entwickelt Speichelfluss. Jedes Verhalten auf der emotionalen, kognitiven, motivationalen und Wahrnehmungsebene, das ein Objekt oder ein Ereignis bei uns hervorruft, kann unmittelbar ausgelöst werden, indem wir über etwas nachdenken oder sprechen, das damit in Zusammenhang steht.

Allein der Umgang mit diesem Automatismus stellt für Menschen eine Herausforderung dar. Um ihn in Gang zu setzen, genügen Erinnerungen an Worte und Symbole. Gleichzeitig bewirkt er, dass Menschen sich jederzeit und überall an zurückliegende leidvolle oder schwierige Momente erinnern können, sobald sie mit einigen wenigen Hinweisreizen konfrontiert werden. Wie bei allen Lebewesen hinterlässt die Lebensgeschichte Spuren – es gibt keinen Mechanismus, mit dem Menschen sie löschen können. Aber anders als bei anderen Lebewesen kann die Vergangenheit durch symbolische Beziehungen zur Gegenwart werden. Diese menschliche Fähigkeit kann zu einer Entkoppelung zwischen Emotionen, Ereignissen und Verhalten führen. Andere Lebewesen verspüren Angst in Situationen, die schmerzlichen Erfahrungen der Vergangenheit ähneln. Menschen sind anders. Sogar das Wort »Entspannung« kann bei einem Menschen, der an einer Panikstörung leidet, zu Angst führen und eine Panikattacke auslösen. Wo immer Menschen hingehen, die Möglichkeit Leid zu empfinden begleitet sie.

Leid, das allein durch Hinweisreize ausgelöst wird, ist ein häufiges Phänomen in der psychotherapeutischen Praxis. Ein Beispiel ist eine Patientin, die einen sexuellen Übergriff in der Kindheit erlebt hat. Sie hasst das Wort »Vergewaltigung«. Sie erstarrt und beginnt zu weinen, wann immer ihr das Wort begegnet: in Unterhaltungen, Liedertexten oder im Fernsehen in Werbung für eine Kampagne gegen sexuelle Gewalt. Dieser relationale Prozess erschwert es ihr, in der Therapie über diesen Teil ihres Lebens zu sprechen. Sie fängt jedes Mal zu weinen an, wenn das Gespräch sich diesem Thema nähert. Sie macht sogar Abwehrbewegungen mit ihren Armen, um sich zu beschützen, wenn sie erwartet, dass das Wort ausgesprochen wird. Die Kraft und die Beharrlichkeit dieses Verhaltens sind für die Patientin belastend, aber auch überraschend. Vor der Therapie erzählte sie niemandem von der traumatischen Erfahrung. Sie hat die Tat niemals als »Vergewaltigung« bezeichnet. Wie kann das Wort so viel Macht über sie haben? Aus Sicht der RFT sind die psychologischen und physiologischen Reaktionen auf das Sprechen über wichtige Ereignisse leicht nachvollziehbar. Symbolische Beziehungen sind bidirektional. Wenn A = B ist, dann ist B = A. Löst ein Ereignis schmerzhafte Emotionen aus, dann lösen auch Stimuli, die eine Äquivalenzbeziehung zu diesem Ereignis haben, schmerzhafte Emotionen aus, sobald Hinweisreize vorhanden sind.

Entscheidend ist hier, dass nicht die intrinsische Natur des Stimulus, sondern die symbolische Beziehung den Schmerz auslöst. Unter dem Einfluss eines kontextuellen Hinweisreizes können ja zwei beliebige Stimuli symbolisch miteinander in Beziehung gebracht werden – sogar solche, die keinerlei Ähnlichkeit miteinander haben oder niemals gleichzeitig aufgetreten sind. Die Patientin erlebt starke Angst, wenn sie laute oder ärgerliche Stimmen hört, obwohl der Mann, der sie angegriffen hatte, sich dabei still verhielt. In ihrem relationalen Netzwerk stehen laute Stimmen in Beziehung zu schrecklicher Gefahr, obwohl sie selbst niemals angeschrien worden war. Sowohl Stille wie auch laute Stimmen liefern also den Kontext für das ängstliche Verhalten der Patientin. Auch angenehme Stimuli können auf diese Weise zu einer Quelle von Leid werden. Das führt dazu, dass Menschen auf erfreuliche Ereignisse so reagieren, als seien sie schmerzhaft. Die liebevolle und sanfte Berührung eines engen Freundes löst bei der Patientin Ärger und Rückzug aus. Die Berührung erinnert sie so stark an den Mangel an Zuwendung während ihrer Kindheit, dass sie nicht mit den angenehmen Gefühlen in Kontakt tritt, die eine liebevolle Umarmung auslöst.

Sprache erinnert Menschen nicht nur an zurückliegenden Schmerz, sie verstärkt den Schmerz auch durch den Gebrauch symbolischer Hinweisreize. Eine Studie verdeutlicht diesen Prozess (Dougher, Hamilton, Fink & Harrington, 2007): Ein relationales Netzwerk A-B-C wurde hergestellt. Dabei wurden Techniken, ähnlich wie im ersten Kapitel beschrieben, angewandt. Es wurde jedoch eine vergleichende Beziehung zugrunde gelegt (d. h. A < B < C). Anschließend verknüpften die Forscher unter Anwendung des Prinzips des respondenten Lernens den Stimulus B mit einer aversiven Erfahrung, indem sie den Probanden einen leichten elektrischen Schlag versetzten. Die Ausprägung der emotionalen Reaktionen auf die Konfrontation mit je einem der drei Stimuli innerhalb des relationalen Netzwerks waren bei A niedriger, aber bei C höher, sogar höher als die, die bei B beobachtet wurden. Wenn respondentes Lernen per se für die Transformation der Funktion von A und C verantwortlich wäre, dann wäre die Reaktion auf all diese Stimuli ähnlich ausgeprägt wie die Reaktion auf B gewesen. Genau das war jedoch nicht der Fall. Symbolische Prozesse sorgen dafür, dass Funktionen durch Sprache transformiert werden. Das kleine Mädchen aus Kapitel 1 ( Kap. 1) machte uns dies deutlich: Panther sind nicht nur Katzen, sie sind große Katzen. Es ist anzunehmen, dass das Mädchen mehr Angst vor Panthern als vor Katzen hatte. Dies beruht auf der Generalisierung des symbolischen Prozesses durch den symbolischen Bezug und die dadurch entstehende Intensivierung von Schmerz.

Diese Intensivierung entsteht häufig im Rahmen von Grübel- und Sorgenprozessen. Menschen suchen ständig nach neuen Formulierungen für die Vergangenheit, um damit zukünftige Ereignisse besser zu steuern. Dabei stellen sie sich zukünftige Ereignisse viel schlimmer und schwieriger vor, als sie jemals eintreten. Sie treten in eine Situation mit A < B < C ein. Dann ist die Gegenwart schlecht und die Zukunft noch schlimmer.

Sprache als psychotherapeutische Intervention

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