Читать книгу Leinstermann in Doorn - T. Janssen - Страница 11
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Nachdem der Regen einige Tage lang die meisten Arbeiten blockiert hatte, sollte sich das Wetter im Verlaufe des Februars deutlich verbessern. Wie Holm erfährt, erhebt der alte Kaiser mittels einer Wetterstation täglich Daten zu Temperatur, Luftdruck und allgemeiner Wetterlage. Seine Beobachtungen werden regelmäßig an ein holländisches Institut weitergegeben und in einem Register im Haupthaus verwahrt. Für einen Februar klingen die Eintragungen ungewöhnlich frühlingshaft.
Das wichtigste Ereignis in den letzten Wochen war für Holm der Umzug in das Dienstgebäude von Huis Doorn gewesen. Dort hatte er ein kleines Zimmer bezogen, mit dem er durchaus zufrieden ist: überschaubar, schlicht eingerichtet, aber mit allem Nötigen versehen. Es gibt nur zwei Dinge, die Holm als Makel erkennt: Die in Feldgrau gestrichene Decke und die Balken drücken auf das Gemüt. Und der Spiegel ist für ihn, wie üblich, einige Zentimeter zu hoch angebracht.
Auf den verschiedenen Etagen sind große Teile des deutschen Personals untergebracht, so dass zu Beginn und am Ende des Arbeitstages ein reges Kommen und Gehen herrscht.
Alle Wege sind kurz, nur fehlen Holm von Zeit zu Zeit die gemeinsamen Essen mit Anni. Zwar begegnen sich beide häufig im Büro, doch gehen die Gespräche selten über Dienstliches hinaus.
Piet hatte es nach ihrem Besuch in seiner Behausung geschafft, seiner Arbeit ohne weitere Zwischenfälle nachzukommen. Das anvisierte Gespräch über sein Fehlverhalten hatte nicht stattgefunden – niemand hatte mehr darauf gedrängt, zumal Ilsemann einige Wochen ortsabwesend war. Auch Anni machte Holm gegenüber keine Bemerkung in diese Richtung.
Die Zusammenarbeit mit Piet, Jan und den anderen Männern wurde durch das schlechte Wetter nicht einfacher. Während der Holzarbeiten mit dem Kaiser im nahegelegenen Wald gingen sie sich weitestgehend aus dem Weg. Die gesamte Situation schien von Argwohn geprägt.
Mit Beginn des klaren, trockenen Wetters hellte auch sich die Zusammenarbeit der Männer etwas auf. Dabei spielte auch Piets stabilerer Zustand eine Rolle.
Ende Februar, als die Frühlingsblumen langsam beginnen, Farbe in die Beete auf dem Gelände zu bringen, soll am Rande des Auguste-Rosengartens ein neuer Bereich bepflanzt werden. Der Plan dafür stammt noch von Holms Vorgänger Esterberg und wurde in enger Abstimmung mit dem alten Kaiser entworfen.
Kein Grund, von der Vorlage abzuweichen, beschließt Holm.
Die Absprachen sind knapp, das Material schnell zusammengestellt. Zunächst wird das Beet abgesteckt, dann die Grasnarbe im betreffenden Bereich abgenommen. Der Teilaustausch des Bodens mit Torf nimmt die Zeit bis Mittag in Anspruch. Als die Pflanzen angeliefert werden, läutet die Hausglocke bereits zum Essen in der Personalküche.
»Wir sollten besser Tine und den Leiterwagen holen«, schlägt Jan vor. Holm ist einverstanden, ist er doch für die Mittagszeit mit Dr. Sortier verabredet, um endlich den lästigen Gips abzunehmen. Das unablässige Jucken ist ihm eine Lehre.
»Wir können die Pflanzen auch schon auslegen, wenn Sie möchten«, bietet Piet an. Wenn Holm es nicht besser wüsste, könnte man meinen, es habe nie etwas zwischen ihnen gestanden.
»In Ordnung«, stimmt er zu. »Bitte denken Sie daran, sich genau an den Plan zu halten. Ich werde in gut einer Stunde zurück sein. Wenn Sie vor meiner Rückkehr fertig sind, machen Sie einfach Pause.«
»Ist gut, Chef!«, erwidert Piet und geht mit den anderen den Plan durch, während Jan sich auf den Weg zu Tine macht.
Auf dem Weg von der Orangerie zurück zum Rosengarten fasst Holm den Entschluss, seine gut aufgelegten Arbeiter mit seinen spärlichen, aber wachsenden Sprachkenntnissen zu überraschen. Schon seit einigen Tagen trägt er einen kleinen Notizzettel mit sich, der ihm helfen soll, seine Einladung an seine Arbeiter in halbwegs verständlichem Holländisch an den Mann zu bringen. Annis Idee hatte ihn zunächst nicht überzeugt, da er befürchtete, dass eine größere Nähe zu den Gartenarbeitern dem Respekt vor seiner Position abträglich ist. Nun aber, da Piet offenbar das Gröbste überwunden hat, hält er den Zeitpunkt für günstig, das fertige Beet-Projekt mit einem kleinen Imbiss zu feiern – auf seine Kosten.
Als er näher zum Rosengarten kommt, ist niemand zu sehen, aber Gerätschaften und Werkzeuge sind noch an ihrem Platz. Flüchtig wirft er einen Blick über die Pflanzen, die zu seinem Erstaunen nicht nur ausgelegt, sondern bereits eingepflanzt sind. Verschiedene Rosensorten, Rhododendren als Einfassung, auch die Blumenzwiebeln sind gesetzt. So weit sieht alles anstandslos aus; nur mit der Anordnung der Rosen in der Mitte des neuen Beetes scheint etwas nicht in Ordnung zu sein.
Holm kramt in seiner Jackentasche, kontrolliert sein Exemplar des Planes und stellt deutliche Abweichungen fest. Da nach wie vor niemand greifbar ist, macht er ein paar Schritte um das große Beet herum. Neben einem Spaten, mit einer Rosenschere beschwert, liegt der zweite Plan, den er Piet zum Auslegen der Pflanzen überlassen hatte. Holm runzelt die Stirn und reißt dann entsetzt die Augen auf: Ganz offensichtlich hat jemand Änderungen in dem Arrangement vorgenommen. Im Einzelnen machen einige Ideen durchaus Sinn, der Gesamteindruck ist jedoch fatal!
Wutentbrannt wirft Holm das Papier zu Boden, besinnt sich dann eines Besseren und geht mit dem abgeänderten Exemplar in der Hand entschlossenen Schrittes in Richtung des Tuinhuis im Nutzgarten, wo er die Urheber des Unheils vermutet.
Langsam schlendern ihm die Männer auf dem Weg entgegen. Allein das Gelächter fehlt diesmal. Besonders Piets Lässigkeit treibt Holm schon vom Weiten in den Wahnsinn. Als sie sich näher kommen, schlägt Holm wild mit dem Handrücken auf den abgeänderten Plan und schreit: »Was soll das?!?«
Die Arbeiter bleiben stehen, geben sich aber reichlich unbeteiligt. Blicke gehen zur Seite, als wenn Holm nicht direkt vor ihnen den Weg blockieren würde.
»Offenbar hat niemand eine Erklärung?«, stellt Holm mehr fest, als das er fragt.
Weiterhin Schweigen. Das macht Holm nur noch wütender, aber auch ein Stück weit hilflos.
In Piets Gesicht macht er ein kaum wahrnehmbares, zufriedenes Lächeln aus.
Will er mich vorführen? Wartet er darauf, dass ich in den Kampf mit ihm gehe, um mich vor den anderen Holländern lächerlich zu machen?
»Klootzakken!«, schreit Holm seinen Ärger heraus.
Die Wirkung bleibt nicht aus – teils entrüstete, aber vor allem erschrockene Blicke treffen ihn.
Recht so!, wütet Holm in seinem Inneren.
Er wendet sich zum Gehen ab, kramt dann jedoch den originalen Plan aus seiner Jackentasche hervor – und wirft ihn, verärgert wie er ist, vor die Füße der Arbeiter.
»Sie bringen das in Ordnung, sofort!«
Das abgeänderte Exemplar behält er – für alle Fälle, als Beweisstück.
Sicherlich, der ein oder andere Gast in Doorn würde sich für das blumige Hakenkreuz im Rosengarten begeistern – der alte Kaiser jedoch würde toben!
Jan ist derjenige, der nach dem wütenden Abgang des Deutschen den originalen Plan vom Boden aufhebt. Sich beschimpfen zu lassen, war für ihn nicht ungewöhnlich in dieser Arbeitsstelle. Zwar werden er und die anderen Männer vom alten Kaiser selbst gut behandelt und bestens entlohnt. Der alte Herr verschenkt häufig Zigaretten, grüßt in der Regel freundlich und hat Spaß daran, sich für Fotografien mit den Arbeitern in ulkige Posen zu stellen. Alles in allem ist der Kaiser ein äußerst beliebter Arbeitgeber, auch beim Hauspersonal.
Nur: Der letzte Hofgärtner, durch und durch Preuße, zeigte eine weit weniger charmante Art, mit seinen Arbeitern umzugehen. Es wäre keineswegs abwegig, dass Esterberg ein Hakenkreuz als Beetmotiv gewählt hätte. Insgeheim waren alle froh, als er im vergangenen Jahr seine Rückkehr nach Deutschland verkündete – der Grund war für die Holländer nebensächlich, nur das Ergebnis zählte. Leinstermann scheint anders zu sein; nur kommt seine Beschimpfung heute denen von Esterberg schon sehr nahe.
Wenigstens hat Leinstermann einen Anlass, schlussfolgert Jan. Dann schmunzelt er. Und er hat es immerhin in unserer Muttersprache getan.
Als Jan den Plan aufhebt, entdeckt er unter dem Papier einen weiteren, gefalteten Zettel, der offenbar ebenfalls aus Leinstermanns Jackentasche stammt. Jan überfliegt den Inhalt, der über die Absichten ihres neuen Chefs keine zwei Meinungen zulässt.
*
»Es tut mir sehr leid! Ich würde Ihnen gerne Ihre Unkosten ersetzen, wenn Sie bereits Vorbereitungen getroffen haben.«
Die Situation ist Holm peinlich, zumal er durch den Vorfall im Rosengarten noch sehr aufgebracht ist. Nun muss er Frau Scheepers mitteilen, dass aus dem geplanten Umtrunk in seiner ehemaligen Bleibe nichts wird.
»Das ist schade, aber kein Problem. Ich kann die Lebensmittel in den nächsten Tagen verwerten. Machen Sie sich keine Gedanken deswegen.«
»Das freut mich, ehrlich. Mir ist das alles sehr unangenehm!«
Holm ist froh, jetzt am späten Nachmittag jemanden angetroffen zu haben – umso mehr, dass es Frau Scheepers ist, mit der er sich gut verständigen kann. Das wäre mit Gesa etwas anderes gewesen.
Wie ein Blitz schlägt der Gedanke ein:
Gesa! Piet!
Das hatte er nicht bedacht. Vielleicht ist es eine Fügung des von Holm oft geleugneten Schicksals, dass er sein Vorhaben nicht durchführen kann.
Seltsam, denkt er auf dem Rückweg, da ist ein Mensch, der mir die schwarze Beulenpest an den Hals wünscht – und ich, ich mache mir solche Gedanken!
Die Zeit bis zum Sonnenuntergang verbringt Holm im Pinetum und beginnt mit der Anfertigung des Registers. Die Vielzahl der unterschiedlichen Nadelgehölze ist unglaublich, so dass er schnell vom Vorfall im Rosengarten abgelenkt ist. Einige Pflanzen kommen ihm zunächst nicht bekannt vor, doch sind auf kleinen Emailleplatten die Namen vermerkt. Er freut sich darauf, sich in Esterbergs Archiv und der Fachliteratur auf die Suche zu machen, um diese Bekanntschaft nachzuholen.
Als der Feierabend naht und die Sterne aus der Dämmerung hervor blinken, will Holm in Richtung Rosengarten und sich die Wirkung seines Wutausbruches ansehen. Je näher er kommt, desto mehr steigt der Ärger wieder in ihm auf. Er hatte guten Willen beweisen wollen, aber das Hakenkreuz stand zwischen ihm und einer möglichen Versöhnung.
Als er die letzten Meter geht, kommt ihm eine bekannte Gestalt auf dem Fahrrad entgegen, zielsicher in seine Richtung. Annegret, das Dienstmädchen aus Maarn, springt direkt vor ihm vom Sattel.
»Guten Abend! Gut, dass ich Sie noch antreffe, Herr Leinstermann.«
»Ebenfalls einen guten Abend! Vor Ihnen gibt es wohl kaum ein Entrinnen?«, sagt er im Scherz.
»Ich muss Ihnen beichten, dass ich diesmal nach Ihnen gesucht habe. Übrigens sehen Sie so anders aus – ohne Schlamm und, wie ich sehe, jetzt auch ohne Gipsarm.«
Schlagfertig ist sie! Er schmunzelt.
»Was kann ich denn für Sie tun?«
Sie stockt kurz, um dann zu erklären: »Für mich nichts, aber Sie werden heute Abend in der Pension Marijke erwartet.«
»Tatsächlich? Das muss ein Missverständnis ...«
»Nein, bitte kommen Sie doch heute Abend dorthin. Gegen acht.«
»Das kommt etwas überraschend. Sind Sie sich sicher?«
Sie sieht ihm in die Augen. »Ja, Herr Leinstermann. Sie machen keinen Fehler, wenn Sie gehen.«
Sie wirkt glaubwürdig, denkt er. Eigentlich weiß er nichts über die junge Frau, ist aber bei jeder Begegnung ein bisschen mehr angetan.
»In Ordnung. Vielen Dank!«
»Gerne. Ich muss jetzt wieder. Bis bald!«
Und dann fährt sie fort, diesmal mit Mütze über den braunen Haaren. Der Lichtkegel ihrer Fahrradlampe entfernt sich schwankend, während Holm ihrer Silhouette nachsieht.