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28. Januar 1939
Lieber Paul!
Sicher wunderst Du Dich darüber, dass Du im neuen Jahr einen Brief von mir erhältst. Drei Jahre ist es jetzt her, dass ich zum letzten Mal direkten Kontakt mit der Heimat hatte. Wie es der Jahreswechsel manchmal mit sich bringt, habe ich mir vorgenommen, daran etwas zu ändern. Das klingt einfacher, als es wirklich ist, glaub mir. Ich kann niemandem außer Dir schreiben. Und ich frage mich, wie Du auf meinen Brief reagieren wirst. Wenn Du diese Zeilen liest, hast Du ihn zumindest geöffnet.
Ich hoffe, es geht Dir gesundheitlich besser! Als ich ihn zuletzt sprach, sagte unser Vetter, dass es um Dich nicht gut stünde und Du im Krankenhaus wärst. Bei mir stellten sich Erinnerungen an die Besuche bei Dir in Friedrichsberg ein. Nie wieder möchte ich Dich in so einem Irrenhaus sehen, Paul! Deshalb hoffe ich, dass bei Dir Besserung eingetreten ist und Du zumindest wieder daheim leben kannst.
Meine Zeit in Weener ist mit dem neuen Jahr zu Ende gegangen. Nachdem der alte Kommerzienrat Hesse vor zwei Jahren verstorben ist, ist das Interesse an meiner Arbeit im Park in Möhlenwarf kontinuierlich abgeebbt. Otto Luyken und seine Mitstreiter führen den Betrieb seit der Übernahme vor ein paar Jahren zwar im Sinne des Alten weiter, haben allerdings andere Schwerpunkte als den Park. Ich habe aber meine Hauptaufgabe abschließen können, weshalb ich ursprünglich zu den Hesse Baumschulen kam. Die letzten Eintragungen in dem Register der Pflanzen im Park habe ich am Altjahresabend gemacht – ein großartiges Gefühl! Der Bepflanzungsplan ist endlich fertig; im kommenden Jahr soll er in einem Fachblatt abgedruckt werden.
Ein anderes Problem habe ich leider nicht lösen können: Seit einiger Zeit diskutieren und erforschen Fachleute eine neue Erkrankung bei Rhododendren. Wahrscheinlich wurde sie durch Importpflanzen eingeschleppt, aber das ist noch ungewiss. Bisher ist Hesse wenig betroffen, dennoch ist der Schaden deutlich erkennbar. Luyken, ein Kenner auf diesem Gebiet, weiß bisher auch keinen Rat. Ich hoffe, in meiner neuen Stellung weitere Erkenntnisse zu gewinnen.
Die Landschaft um die Bauschule und den Park wird mir fehlen: Alles ist grün, aber wenig Wald, Winters wie Sommers unglaublich feucht, flach wie ein Pfannkuchen und fast leer. Genauso leer scheinen manchmal die Blicke und Gesichter der Einheimischen, aber ihre Gedanken sind es ganz und gar nicht. Sie binden nur nicht jedermann auf die Nase, was sie bewegt. Nenne es wortkarg, nenne es grantig – aber auf jeden Fall sind diese Menschen verlässlich.
Natürlich merkt man auch in diesem Landstrich, der Rheiderland genannt wird, dass wir in bewegten Zeiten leben. Das Wort vom bald bevorstehenden Krieg macht die Runde. Die Braunhemden marschieren und brüllen ihre Parolen in die Welt – ob man sie nun hören möchte oder nicht. Den Kommunisten und besonders den Juden ist es hier nicht besser ergangen als anderswo. Die Arbeiter in der Baumschule meinten hinter vorgehaltener Hand, dass es trotz des hellen Flammenscheins nie eine dunklere Nacht in Weener gegeben hat als im vergangenen November. Ob ich das jedem abnehmen kann, weiß ich nicht. Ich war dort, und das ein oder andere erregte Gesicht kam mir reichlich bekannt vor.
Das alles ist unfassbar und dennoch folgerichtig. Aus Bunde, einem Nachbarort, sind nach und nach fast alle Juden ausgewandert, so dass die Synagoge zwischenzeitlich schon verkauft worden war. Wenn das Leben unerträglich wird, gibt es nicht mehr viele Wahlmöglichkeiten. Aber nicht alle gehen und retten sich.
Vereine und Verbände sind schon lange aufgelöst oder unter der Fahne von Hitlers Leuten versammelt. Im Rheiderland hat in den letzten Jahren ein gewisser Jacques Groeneveld den dicken Max gespielt und viele hinter sich bringen können. Die Älteren spotteten anfangs, wie jemand mit einem französischen Vornamen überhaupt in deutsch-nationalen Kreisen Karriere machen könne, das wäre ein Treppenwitz der Geschichte. In der Folgezeit ist den Spöttern das Spaßen vergangen, so auch den Pfaffen. Einem wurde vergangenes Jahr das Gehalt gestrichen – weil er für den Frieden beten wollte.
Erinnerst Du Dich noch an Benjamin Eybeschütz, den jüdischen Kaufmann auf der Kleinen Freiheit? Du bist mit mir und Walter oft dort gewesen, um Vaters Kautabak zu kaufen, den man nur bei Eybeschütz bekommen konnte. Seit die Nazis am Ruder sind, ist es mit ihm immer weiter bergab gegangen. Es ging über Jahre, und zuletzt hat man ihm den Laden weggenommen. Einkaufen durfte dort ohnehin keiner mehr. Wenn ich daran denke, wie sehr er Filme geliebt hat ... Das war sein Leben: tagsüber der Laden, danach mindestens einmal in der Woche ins Lichtspielhaus oder ins Theater. Davon ist nun nichts mehr übrig! Ob er letztendlich geblieben ist, konnte mir unser Vetter nicht sagen.
Ich weiß nicht, wie Du die Geschehnisse verfolgt hast; aber ich finde, besonders das letzte Jahr hat dem Ganzen den Rest gegeben. Das ist nicht mehr das Deutschland, das ich gekannt habe.
Ab dem Februar werde ich nun eine neue Anstellung annehmen und in die benachbarten Niederlande emigrieren. Genaugenommen bin ich schon dabei, denn ich schreibe Dir diesen Brief aus dem Zug. Ich hoffe, das hat keine großen Auswirkungen auf meine ohnehin etwas ungeschliffene Handschrift. Diesen Brief für Dich aufzugeben, wird also das Erste sein, was ich in Holland tue!
Von Hesse aus bestehen gute Kontakte in das holländische Baumschulgebiet Boskoop; bei einigen Firmen dort habe ich selbst Pflanzen eingekauft. Über diese Verbindung erfuhr ich, dass in Doorn am Exil-Hof des alten Kaisers ein Hofgärtner gesucht wird. Nachdem über das Büro Otto Luykens Empfehlungsschreiben versandt worden war, erhielt ich eine schriftliche Zusage – innerhalb von zwei Wochen! Das Zeugnis über meine Arbeit im Rheiderland wird also recht positiv ausgefallen sein.
So werde ich jetzt zum Holländer! Meine neue Anschrift notiere ich Dir hinten auf der beigelegten Weener-Postkarte. Das tue ich, weil ich vielleicht auf eine Antwort von Dir hoffen darf.
Ich wünsche Dir alles Gute, vor allem gesundheitlich!
Viele Grüße,
Dein Bruder Holm