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»Ich hatte schon Bedenken, Sie würden mich einfach hier sitzen lassen«, sagt Holm.

»Wenn ich ehrlich sein soll«, entgegnet Annegret, »habe ich kurz darüber nachgedacht.«

Sie steigt vom Rad, macht aber keine Anstalten, sich zu Holm auf die Bank zu setzen.

»Was haben Sie sich nur dabei gedacht?«, schimpft die junge Frau, aber nur mit halben Elan. »Bei Piet bin ich unter durch!«

»Ich? Wie wäre es mit Wir? Sie waren doch auch dabei! Tun Sie nicht so unbeteiligt!«

»Ja ja ja, ich weiß! Aber wenn Piet nicht dichthält, bekommt Jan vielleicht Wind davon. Oder meine Mutter.«

»Ich glaube, Sie sollten sich nicht so viele Gedanken machen. Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass Piet bei solchen Dingen ein hohes Mitteilungsbedürfnis hat.«

Annegret zuckt mit den Schultern. »Hoffentlich! Aber was soll’s? Es ist nichts passiert, nicht wahr?«

Holm schüttelt den Kopf, um die Abmachung zu besiegeln. »Nein, es ist nichts passiert.«

Er weiß, dass das objektiv stimmt, für ihn persönlich jedoch nicht die volle Wahrheit ist.

»Sind Sie wieder am Lernen?«, fragt Annegret, als sie sich neben Holm auf die Bank setzt.

»Ich habe mir ein paar Gedanken zu dem gemacht, was Sie letzte Woche über Ihren Eisenbahner-Vater gesagt haben«, enrgegnet Holm, ohne die Frage zu beantworten.

»Was meinen Sie?«

»Ihre Reisen mit dem Zug. Erinnern Sie sich?«

»Ja, natürlich. Aber worauf wollen Sie hinaus?«

Holm zieht einen Umschlag aus seiner Jacke und reicht ihn Annegret.

»Was ...?«

»Nehmen Sie und machen Sie ihn auf.«

Annegret zögert und schaut Holm irritiert an. Schließlich öffnet sie vorsichtig das Kuvert.

»Das ist eine Zugfahrkarte. Für mich? Sie spinnen doch!«

»Ja, für Sie. Ich war gestern am Bahnhof. Sie werden ans Meer fahren, nach Zeeland. Wenn schon nicht mit Ihrem Vater, dann wenigsten Sie.«

»Soll das eine Wiedergutmachung dafür sein, dass Sie mich ins Bett gezerrt haben und ich jetzt dastehe wie ein Flittchen?«

»Nein!«

Annegret schüttelt den Kopf. »Das kann ich nicht annehmen, Herr Leinstermann. Zeeeland ist fürchterlich weit weg: Wenn ich dort angekommen bin, muss ich gleich wieder umdrehen. Außerdem kann ich nicht ohne Jan fahren – und der ist in Rotterdam, wie Sie wissen.«

»Ich kann Sie begleiten – nur wenn Sie es wünschen, natürlich.«

»Sie sind sehr lieb, aber es geht nicht. Meine Mutter würde das niemals erlauben.«

Jetzt ist es Holm, der den Kopf schüttelt, und zwar energisch.

»Ihre Mutter hat damit nichts zu tun! Sagen Sie einfach, Sie seien bei der Arbeit. Wir können rechtzeitig zurück sein, niemand wird etwas bemerken.«

»Das funktionieret nie im Leben! Und außerdem: Ich werde meine Mutter nicht belügen!«

Annegret schließt den Umschlag mit der Fahrkarte wieder und hält ihn Holm entgegen.

»Dieser Fahrschein hat viel Geld gekostet; bitte bringen Sie ihn zurück.«

Er hebt abwehrend die Hände. »Wo ist das Problem? Möchten Sie nicht fahren? Gefällt Ihnen das Meer nicht?«

»Doch, natürlich! Es wäre ... wunderbar. Aber ich kann Ihr Geschenk nicht annehmen, wirklich nicht! Wenn meine Mutter wüsste, dass ich soviel Geld für mich selbst verschwende ...«

»Es ist nicht verschwendet! Es ist für Sie, für Ihre Träume, für Ihren Vater! Sagen Sie nie wieder, es wäre verschwendet!«

»Mutter würde es so sehen«, entgegnet Annegret traurig. »Das sind ihre Worte.«

»Sie plappern es nach, als wäre es als unverrückbare Wahrheit in einen tonnenschweren Granitblock gemeißelt«, protestiert Holm verärgert.

»Sie haben gut reden! Sie kennen meine Mutter nicht!«

Holm entreißt Annegret den Umschlag und schreitet kurzentschlossen zu seinem Rad.

»Mir scheint, jemand muss die alte Dame überzeugen, ihre Sichtweise zu verändern.«

»Herr Leinstermann ...«

»Doch! Sie werden mit dem Zug fahren. Natürlich werden Sie! Das wäre doch gelacht!«

»Herr Leinstermann, bitte ...«

Holm schwingt sich auf sein Fahrrad. »Kommen Sie mit mir. Dann können wir gemeinsam ...«

»Aber ich möchte das nicht! Steigen Sie wieder ab und setzen Sie sich zu mir.«

»Ich will mich aber nicht setzen!«

»Herr Leinstermann! Dies ist mein Leben! Ich muss mich darin zurechtfinden – ob es Ihnen nun schmeckt oder nicht.«

Holm stellt sein Fahrrad wieder ab.

»Ich weiß nicht, was mir mehr missfällt: dass Ihre Mutter Sie so klein hält – oder dass Sie sich einfach nicht helfen lassen wollen!«

Annegret springt von der Bank auf und sieht Holm in die Augen. »Ich brauche keine Hilfe! Nicht von Ihnen, auch von niemand anderem! Das geht selten gut aus, glauben Sie mir.«

»Es ist nur eine Fahrkarte für den Zug! Wo ist das Problem?«

»Vielleicht verstehen Sie das nicht«, sagt Annegret. »Das Geld, das dieser Fahrschein gekostet hat, ist für uns wie unser tägliches Brot. Man steckt nicht einfach Geld für sich ein, von dem andere essen müssen.«

Holm widerspricht: »Aber es ist ein Geschenk, verstehen Sie das nicht? Niemand muss etwas dafür tun, niemand verliert etwas!«

»Doch«, entgegnet Annegret.

»Wie meinen Sie das? Spreche ich Chinesisch? Ich habe doch gesagt, ich schenke Ihnen die Fahrt!«

Annegret sieht ihn lange an, dann lächelt sie. »Ja, Sie schenken mir den Fahrschein und vermutlich einen wunderschönen Tag. Aber was ist danach?«

»Sie sprechen in Rätseln«, sagt Holm barsch.

»Herr Leinstermann, ich bin es nicht gewohnt, dass mich ein Mann ohne eine Absicht oder zumindest eine Hoffnung im Herzen ausführt. Nicht in ein Lokal, nicht zu einem Spaziergang, und auch nicht auf eine Zugfahrt an die See. Vielleicht sind Sie wirklich anders – aber die Erfahrung lehrt mich das Gegenteil.« Sie hält kurz inne, bevor sie weiterspricht. »Ich bin verlobt. Haben wir nicht schon genug Schwierigkeiten?«

Holm atmet hörbar schwer durch: »Ich verstehe. Es ist wirklich nicht einfach, Ihnen etwas Gutes zu tun, wissen Sie das?«

Annegret zuckt mit den Schultern. »Ich weiß. Es ist nicht böse gemeint, aber bitte geben Sie die Fahrkarte zurück. Es soll einfach nicht sein.«

»Vielleicht ein andern Mal ...«, tröstet sich Holm.

Sein Angebot bleibt unbeantwortet.

Leinstermann in Doorn

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