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»Wollen Sie uns nicht begleiten?«, ruft der alte Kaiser Holm aus dem heranrollenden offenen Mercedes zu. Er winkt dabei freundlich mit dem weißen Strohhut.
»Sehr gern, warum nicht?«
Holm ruft Piet Anweisungen für den Nachmittag zu; die Arbeit weiß er bei dem Holländer in guten Händen.
Ilsemann öffnet die Tür des Wagens und bietet Holm den Platz neben sich an. Von vorne fragt Spetti: »Die übliche Tour?«
Auf Holm wirkt der Italiener ungewöhnlich nervös – es kommt eigentlich nie vor, dass Spetti die Majestäten fährt.
Der alte Kaiser nickt. »Was meinen Sie, Ilsemännchen? Sollen wir unserem Gärtner ein wenig die Gegend zeigen?«
Während der Flügeladjutant, so gut es geht, die verhasste Anrede ignoriert, wartet der alte Kaiser gar nicht erst eine Antwort ab.
»Spetti, immer frei der Nase nach, was die Maschine hergibt. Heute ist Ihr Tag, also treiben Sie den Wagen ordentlich an! Zeigen Sie Ihrem Kaiser, was Sie drauf haben!«
»Zu Befehl, Eure Majestät!«, antwortet der Aushilfsfahrer mit Salut. Und Stolz, wie Holm bemerkt.
Sie passieren das Torgebäude, vor dem der Hausmarschall Graf Schwerin und Anni Brandt gerade eine Diskussion mit dem Kohlenlieferanten und dessen Fahrer ausfechten. Es geht, gemessen an der Lautstärke des Gespräches, sehr kontrovers zu.
Der alte Kaiser lässt Spetti halten und grüßt in die Runde; ein Stirnrunzeln kann er beim Anblick des Händlers nicht verbergen. Ilsemann wendet schnell den Kopf zur Seite, um sein Grinsen nicht zu zeigen.
»Der Kohlenkeller ist direkt unter der großen Treppe«, flüstert der Major Holm zu, während der Kaiser aussteigt und sich in das Streitgespräch einschaltet.
»Sie machen jedes Mal einen Heidenlärm, egal zu welcher Tageszeit. Diesmal hat sich Ihre Majestät bitterlich bei Schwerin beschwert; der Mittagsschlaf war dahin!«
Holm schmunzelt. Ein sehr pragmatisches, weltliches Problem.
»Ich erwarte, dass Sie eine andere Lösung finden«, sagt der Kaiser schließlich in die Runde und steigt wieder in das Auto.
»Spetti, hinfort von hier!«
Der Italiener lenkt den Wagen nach links in Richtung Ortskern. Sie passieren die Pension Marijke, in der Holm die ersten Wochen seines Aufenthaltes verbracht hat. Wenig später, kurz nach der Hauptstraße, auch den Oranier. Das herrliche Sommerwetter, das seit einigen Tagen anhält, lässt den Ausflug wie ein traumgleiches Ereignis aus Holms Kindertagen erscheinen. Das Spiel von Licht und Schatten unter den Bäumen am Straßenrand verwirrt die Blicke, während der gleichmäßig brummende Motor des Mercedes auf die Insassen eine beruhigende, fast hypnotische Wirkung hat. Spetti ist in seinem Element und wirkt völlig gelöst und befreit, als sie der Straße in Richtung Amersfoort folgen. An der Bahnlinie biegt der Wagen nach Maarn ab. Sie durchfahren den Ort und kommen schließlich an einem mit Tuindorp beschilderten Gebiet vorbei. Die Straße gibt den Blick auf viele kleinere, gleichartige weiß getünchte Häuser frei, hinter denen sich großzügig bemessene Gärten befinden.
Hier muss Annegret leben, erkennt Holm und beobachtet aufmerksam die Gegend. Sein Herz schlägt schneller, die Eingeweide melden eine ungewohnte Anspannung.
Ilsemann bemerkt Holms Interesse und erklärt: »Die Häuser hat die niederländische Bahn für ihre Arbeiter gebaut. Die Gärten sind vergleichsweise groß – ein gewisses Maß an Selbstversorgung hat das Auskommen der Familien deutlich aufgewertet.«
Als sie die Straße durchfahren, bemerkt Holm, wie sehr ihn die Szenerie einnimmt. Er wehrt sich vergeblich gegen den Versuch, in den Personen am Straßenrand Annegret oder ihre kleinen Geschwister zu erkennen. Einige hundert Meter wünscht er sich, einfach auszusteigen und nach ihrem Zuhause zu suchen.
Dann endet die Bebauung, und der Traum ist vorüber. Holm ist erleichtert, andererseits enttäuscht.
Verdammt!, ärgert er sich über sich selbst.
»Guten Tag, mein liebes Schweinchen!«, ruft plötzlich der alte Kaiser und schwenkt grüßend mit dem rechten Arm den Hut. Holm fährt aus seinen Gedanken auf, während Ilsemann sich unbeteiligt gibt.
Als der Wagen kurz vor Maarsbergen eine Weide mit allerlei Borstenvieh passiert, wiederholt sich die Szene: »Guten Tag, mein liebes Schweinchen! Sei gegrüßt, mein Schweinchen!«
Holm ist völlig perplex und sieht Ilsemann fragend an, doch dieser bedeutet ihm mit einer diskreten Handbewegung, dem Thema nicht auf den Grund zu gehen. Das ist leichter gesagt als getan! Der alte Kaiser wiederholt seine Grüße, sobald weitere Schweine in Sicht kommen. Holm irritiert das zunächst, dann beginnt es ihn zu belustigen. Anfangs kann er sich eine entsprechende Reaktion gegenüber dem alten Kaiser noch verkneifen, doch nach der siebten Weide mit Schweinen beginnt es aus ihm heraus zu prusten.
Er versucht, einen Hustenanfall vorzutäuschen, um sich aus der Situation zu retten. Ilsemann durchschaut den Gärtner und blickt ihn ernst von der Seite an, der Tadel ist unverkennbar. Holm hustet weiter und kneift sich mit Mittelfinger und Daumen in den Zeigefinger, um sich abzulenken.
»Sie haben sich aber eine böse Erkältung eingefangen«, stellt der alte Kaiser mit echter Besorgnis fest. »Sie werden mir doch nicht krank werden wollen?«
»Es geht schon«, räuspert sich Holm, nicht ohne ein paar letzte Huster nachzuschieben. »Ich habe wohl etwas in den falschen Hals gekriegt.«
Der alte Kaiser nickt beiläufig, dann klopft er dem Fahrer auf die Schulter. »Spetti, fahren Sie uns nach Amerongen!«
»Sehr wohl!«, entgegnet der Italiener schwungvoll.
Sie fahren am Rande des Waldes nach Leersum. Die weitere Strecke kennt Holm sowohl von der Suche nach Piet als auch von den Fahrten zur Holzarbeit im Ameronger Wald.
Als sie den Ortskern von Amerongen erreichen, wird der Mercedes langsamer und die Fahrgeräusche im offenen Wagen leiser. Der alte Kaiser zwinkert und ruft Holm zu: »Wie wäre es mit einem Scherz? Bringen Sie uns zum Lachen, Herr Hofgärtner!«
Humor ist seit jeher nicht Holms Stärke. Um diese Schwäche zu verbergen, sucht er verzweifelt in seinen Erinnerungen nach einem passenden Witz. Er kratzt sich am Kopf, um die Gedanken anzuregen, doch es dauert eine halbe Ewigkeit, bis er sich entsinnt.
»Nun, in meiner alten Stellung wurde mir ein Scherz zugetragen, der sich mit dem besonderen Scharfsinn des ostfriesischen Völkchens befasst.«
»Hervorragend, lassen Sie hören! In Wilhelmshaven wurde ausgiebig über die Ostfriesen hergezogen«, entgegnet der alte Kaiser.
»Also gut: Die Kuh eines ostfriesischen Bauern ist krank. Besorgt fragt er seinen Nachbarn, ebenfalls ein Bauer:
›Was hast Du denn damals deiner Kuh gegeben, als sie so krank war?‹
›Salmiak-Geist.‹
Gesagt, getan! Nach einer Woche besucht der Bauer seinen Nachbarn.
›Meine Kuh ist tot!‹, schimpft er.
Darauf dieser: ›Tja, meine damals auch.‹ «
Ilsemann und der alte Kaiser beginnen sofort laut aufzulachen, auch Spetti hatte vorne offenbar das meiste des Witzes verstanden. Während seines Aufenthaltes hatte Holm den Kaiser nur im Beisein von Perry Breddenburg so ausgelassen gesehen, jedoch verschiedentlich davon gehört, dass es in seiner Gegenwart oft fröhlich zugeht.
»Den Witz hat mir ein Emder erzählt, der hin und wieder geschäftlich nach Weener in die Baumschule kam«, erklärt Holm. »Waalkes hieß er, an den Vornamen kann ich mich nicht erinnern.«
»Ausgezeichnet, junger Mann, ganz ausgezeichnet!«, lobt der Monarch, während Spetti den Wagen zum Ortsrand lenkt.
»Ilsemännchen, mein Kind: Wie wäre es mit einer guten Tasse Tee bei Ihrer teuren Elisabeth?«
Der Flügeladjutant schüttelt den Kopf: »Das werden wir verschieben müssen. Meine Frau macht heute einen Besuch in Utrecht.«
»In Ordnung. Spetti, dann fahren Sie uns zum Fluss. Dort entlang!«
Sie folgen dem Weg, den Holm gemeinsam mit Ilsemann gegangen war, und parken den Wagen nahe am Deich des Nederrijn. In der Hitze des Sommers wirkt das Grün ganz anders als seinerzeit im Frühjahr. Ilsemann hilft dem alten Kaiser beim Aussteigen, Spetti scheint im Wagen bleiben zu wollen.
»Gehen wir ein Stück?«, fordert Seine Majestät den Flügeladjutanten auf. »Spetti wird sicherlich Herrn Leinstermann etwas Gesellschaft leisten. Vielleicht findet er ja Interesse an unserem Fahrzeug?«
Während der alte Kaiser in gemächlichem Tempo mit Ilsemann den Deich ersteigt, wendet sich Spetti zu Holm um: »Nichts dabei denken«, sagt er lächelnd. »Passiert oft, dass er Gäste vor den Kopf stößt! Ist manchmal Wilhelm der Plötzliche. Scheinen was zu besprechen zu haben, die beiden.«
Holm ist dankbar für den Hinweis, fühlt er sich doch tatsächlich zurückgesetzt. Nach einer Weile steigen beide aus.
»Interesse an Autos?«, fragt Spetti, während er mit seinem Taschentuch und Spucke einen Fleck vom Kotflügel poliert.
»Ich war immer froh, wenn mich mein Wagen sicher von einem Ort zum anderen gebracht hat. Für die Technik habe ich nicht viel übrig, fürchte ich«, antwortet Holm.
Spetti lässt nicht so leicht locker: »Selbst mal ein Auto besessen?«
In Gedanken sieht Holm seinen Wagen vor sich: Er hatte ihn von einem Verwandten übernommen und dadurch günstig erwerben können. Er mochte seine dunkle Farbe und schätzte seine Zuverlässigkeit. Schweren Herzens hatte er sich von dem treuen Gefährt getrennt, als seine Ehe zerbrach und er die Flucht nach Weener antrat.
»Ja«, antwortet Holm, »einen Wanderer; im Vergleich mit dem hier eher ein Kleinstwagen.«
Spettis Augen beginnen zu glänzen. »Wanderer, Chemnitz! Wissen Sie das Model? Oder wie viele Sitzplätze?«
»Vier. Er war gerade richtig für mich und ... meine Familie.«
Bei dem Gedanken an die gemeinsamen Fahrten mit Sigrid, Heinrich und Agnes verändert sich Holms Stimmung, was seinem Gegenüber nicht entgeht.
»Wahrscheinlich ein W8, Vierzylinder, 20 PS«, bleibt Spetti bei der Technik, um das Gespräch nicht ohne Not in schwieriges Fahrwasser zu bringen.
»Ja«, entgegnet Holm, halb in der Vergangenheit, halb anwesend, »so wird es gewesen sein.« Dann, wieder ganz bei dem Italiener: »Ich denke, Sie haben recht! Ich kannte den Wagen nur als Puppchen.«
Spetti lacht und klatscht vor Freude in die Hände: »Si, richtig, das ist er.« Der Fahrer nickt seinem Gesprächspartner anerkennend zu: »Einen guten Kauf haben Sie getan. Hatten sicher nie Probleme mit dem Fahrzeug?«
»Ich nicht, aber Teile meiner Familie«, antwortet Holm vieldeutig. Er erinnert sich mit Grauen an die fruchtlosen Diskussionen mit Sigrid über die Enge des kleinen, aber zuverlässigen Automobils. Die Fahrzeugflotte des Villerschen Kontors war natürlich stets mit höherwertigen Fahrzeugen ausgerüstet. Der Puppchen entsprach nicht Sigrids Ansprüchen, aber Holms finanziellen Möglichkeiten – und das war ihm seinerzeit wichtig gewesen. Auf großzügige Unterstützungsangebote des alten Viller hatte er, wann immer möglich, dankend verzichtet.
»Was ist aus dem Wagen geworden, Herr Leinstermann?«
»Ach, das ist eine lange und nicht sonderlich interessante Geschichte, fürchte ich«, versucht Holm einer Lebensbeichte zu entkommen. »Sagen wir es so: Ich musste in der Vergangenheit einiges hinter mir lassen, und der Wagen gehörte leider dazu.«
Das Interesse des Fahrers an der Unterhaltung besteht unvermindert, doch Holm kann sich nicht entschließen, weitere Einzelheiten preiszugeben. Als Spetti zu einer erneuten Nachfrage ansetzt, kommt ihm Holm zuvor:
»Ich möchte nicht unhöflich erscheinen, aber vielleicht belassen wir es dabei, was den Wagen und seine Geschichte betrifft.«
Spetti lächelt und nickt. »Gibt immer Dinge, die man lieber hinter sich lässt.«
»Was ist mit Ihnen, Spetti? Autos scheinen Ihnen eine Menge zu bedeuten.«
Der Hilfsfahrer zeigt ein breites Grinsen: »Merkt man, ja? Sicher, habe die meisten Jahre meines Lebens Autos gebaut, unter ihnen gelegen oder am Steuer gesessen. Hauptsächlich bei Brennabor.«
»Der Name sagt mir etwas«, sagt Holm. »Ich war einige Zeit in Berlin und hatte häufiger in Brandenburg zu tun, nicht weit von den Brennabor-Werken.«
»Ach? Was haben Sie dort gemacht?«
»Es gab in der Nähe eine kleine Baumschule, bei der wir jedes Jahr eingekauft haben, als ich noch bei Späth war.«
»Klingt interessant!«
Die beiden Männer kommen in der Sommersonne schnell ins Plaudern. Holm erzählt Episoden aus der vergleichsweise glücklichen Berliner Zeit, woraufhin Spetti über die ersten Jahre in Italien berichtet – und wie er als Kind nach Deutschland kam.
»Vater war Ingenieur bei Fiat in Turin. Suchte aber was Neues, wollte weg. Brennabor war stark, wuchs, brauchte Leute – so kam eins zum anderen. Sind mit Sack und Pack rüber!«
»Das war nicht einfach, kann ich mir vorstellen«, sagt Holm nachdenklich.
Spetti nimmt die Mütze ab und wischt sich mit dem Taschentuch den Schweiß von der Stirn.
»Schon, ja. War noch sehr jung, aber für Mutter war’s schwer.« Der Fahrer schaut zu Boden. »War viel zu sehr Italienerin, als dass sie Preußin hätte sein können. Ist krank geworden darüber, sehr krank. Wollte immer zurück, aber mehr als ab und zu eine Reise gab es nicht.« Er kaut auf dem Daumennagel. »Die Krankheit hat ihre Seele gefressen! Hätte es sicher nicht überstanden. Ist dann zurück, ohne Vater. Ich, ich war gerade zehn.«
»Das tut mir sehr leid«, bekundet Holm.
»Ist in Ordnung. War nicht einfach. Aber stolz, stolz war sie!«
»Das glaube ich gerne«, pflichtet Holm ihm bei, während seine Gedanken um die eigene Familie kreisen: seine Eltern, seine Brüder, Sigrid und die Kinder. Auch wenn es den ein oder anderen Riss in der Fassade gegeben hat, so gab es doch glückliche Zeiten – vor allem anfangs in Hamburg und später in Berlin. Gut, sein Vater hatte ihm nie nahe gestanden und gehörte schon lange nicht mehr zu seinem Leben. Aber die wenigen Worte, die ihm Spetti über die Trennung von der Mutter anvertraut hatte, wiegen schwer und hinterlassen ein seltsames Echo in Holms Herz.
»Was ist aus ihrem Vater geworden«, fragt er nach.
Spetti schüttelt den Kopf. »Seltsam, dass Sie das fragen: Er ist vor ein paar Jahren zurück nach Italien. Wo es zu spät ist, geht er, der alte Knochen!«
»Mit Vätern ist das so eine Sache! Ich wollte immer ein besserer Vater sein – gelungen ist es mir leider nicht.«
Spettis Gesicht verschwimmt unvermittelt zu einem Meer aus Traurigkeit, in dem jedes Leben versinkt.
»Mir auch nicht. War zu Ende, bevor es richtig anfing«, stammelt er.
Holm kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass der ansonsten so gut aufgelegte Spetti im Spiel des Lebens bisher deutlich schlechtere Karten gehabt hatte als er selbst.
Hätte ich bloß nicht gefragt, geht es ihm durch den Kopf.
»Mein Junge ...«, beginnt der Fahrer, während seine Stimme zu zittern beginnt, »war so ... hilflos! Konnte einfach nichts tun. Doktor Saar hat um unseren kleinen Leano gekämpft, wie ein Löwe! Hat Experten befragt und Medizin aus Amsterdam besorgt, aber niemand und nichts konnte helfen.«
Holm nickt stumm, fehlen ihm doch die Worte, um den tapferen Italiener in diesem Augenblick zu trösten. Eine Weile stehen beide schweigend an den Wagen gelehnt, bis sich Spetti wieder etwas fängt und mit ruhigerer Stimme weiterspricht.
»Bin ein gläubiger Mensch gewesen, immer! War aber zu viel für mich und meine Maria! Zwei Jahre ist das jetzt her, im Sommer.« Er hält einen Moment inne. »Die Prinzessin auf dem Rad, da kam alles zurück! Hab ich sonst gut verstaut, tief da drin.« Er schlägt sich mit der Faust mehrmals auf die Brust.
»Es tut mir sehr leid,« bekundet Holm erneut. »Was ist aus ihrer Frau geworden? Ich sehe Sie immer nur alleine, wenn Sie Dienst haben.«
»Ist hier bei mir in Doorn, aber die Seele ist krank – sehr krank, wie Mutter. Geht selten aus der Wohnung, bleibt viel allein.« Sein Gesicht hellt sich etwas auf, als er fortfährt: »Anni Brandt kommt zu Besuch, Edmund und seine Frau gehen manchmal spazieren mit ihr – aber nur dort, wo keine Menschen sind.«
Holm erinnert sich an den jungen Sekretär aus dem Büro, der erst kurz vor ihm in den Dienst des alten Kaisers getreten war. Dass Anni sich um die kranke Frau Spetti bemüht, überrascht ihn keineswegs.
Was hatte Piet über sie gesagt?
Die gute Seele?
Nein, er sagte etwas anderes, denkt Holm.
»Das Leben war nicht gut zu Ihnen, mein lieber Nazzareno«, stellt Holm fest, »und ich bewundere Ihren Mut, hier weiterzumachen! Woher nehmen Sie die Kraft dafür?«
Spetti lächelt und klopft dreimal an die Karosserie des Mercedes.
»Die haben mir geholfen – sind jetzt quasi meine Kinder.« Er strafft den Rücken und salutiert lässig. »Und immerhin: Nazzareno Spetti fährt heute den Kaiser – wie ein richtiger Chauffeur!«
Holm muss unweigerlich lachen. Die beide Männer sind froh, das Gespräch aus dem Tal heraus gebracht zu haben.
»Ich habe eine Frage«, setzt Holm an.
»Nur zu!«, ermuntert Spetti.
»Was ist das für eine seltsame Sache mit den Schweinen?«
Spetti schmunzelt und kratzt sich am Kopf. »Ist eine alte Geschichte, sollte in Kriegszeiten Glück bringen.«
Holm hebt lachend die Handflächen.«Na, viel hat es ja nicht genutzt, würde Piet jetzt sagen.«
Bevor Spetti etwas antworten kann, kommen der alte Kaiser und sein Flügeladjutant über die Deichkuppe gelaufen. Mit dem rechten Arm wird der Strohhut fröhlich zum Gruß durch die Luft geschwenkt, während der Flügeladjutant betroffen und abgekämpft wirkt.
»Weiter geht’s!«, ruft Spetti, stößt sich vom Wagen ab und rückt die Mütze zurecht.