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PROLOG APRIL

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Als Letztes sah Madge Marquay die über den Abendhimmel zuckenden Lichtkugeln.

Wie lange war das her? Stunden? Tage? Eine Woche? Oder mehr? Sie war sich in dieser endlosen Dunkelheit nicht sicher. Sie wusste nur, dass sie spätabends nach der Arbeit in Madland auf den scheinbar leeren Parkplatz des Vergnügungsparks geschlendert war und an ihrem Wagen Halt gemacht hatte, um die frische Wüstenluft einzuatmen. Dann hatte sie zum mitternächtlichen Himmel aufgeblickt – zu den funkelnden Sternen.

Ihre Freunde und Nachbarn hatten ihr schon von den Lichtern erzählt. Doch nun sah sie sie zum ersten Mal selbst. Die über der kargen Silhouette der Madelyn Mountains tanzenden, scheinbar willkürlich aufblitzenden Kugeln waren erstaunlich: großartig und Furcht erregend zugleich. Plötzlich hatte Madge verstanden, warum niemand, der sie schon mal gesehen hatte, daran glaubte, dass es Militärflugzeuge, Wetterballons oder Kugelblitze waren.

Sie war eine leichte Beute für den Angreifer gewesen. Sie hatte wie hypnotisiert dagestanden, zum Himmel hinaufgestarrt und sich gewünscht, Henry wäre bei ihr. Jemand hatte sie plötzlich von hinten gepackt und ihr einen mit Chloroform getränkten Lappen auf Mund und Nase gedrückt.

Und dann: nichts mehr. Inzwischen fragte sich Madge, ob die merkwürdigen Lichter das Letzte gewesen waren, was sie jemals sehen würde.

Sie hörte die Touristen zwar, aber sie konnte sie nicht auf sich aufmerksam machen. Madge lag gefesselt, geknebelt und mit verbundenen Augen irgendwo unter der Grubenbahn der Verwunschenen Mine in einem kalten, steinigen Raum, in dem es nach Tod roch und dessen Finsternis so dicht war, dass sie ihre Lunge zu verstopfen schien. Hoch über ihr rumpelte die kleine Bahn vorbei. Madge stöhnte trotz des Knebels und versuchte einen Schrei auszustoßen, doch er entwich ihrer Kehle ebenso wenig, wie sie der Mine entkommen konnte.

Absolute Stille brach wieder über sie herein. Tränen liefen ihr über die Wangen. Henry würde nach ihr suchen. Er musste sich doch Sorgen um sie machen. Aber ob er auf die Idee kam, in den alten Schächten ihres Besitzes zu suchen? Ob er die uralten Eisenleitern hinabsteigen würde, um in Gruben zu suchen, die man vor hundertdreißig Jahren ausgehoben und inzwischen längst aufgegeben hatte? Nur ein Dummkopf konnte so etwas glauben. Henry, ihre Freunde und die Polizei würden in den Schluchten und auf den Bergen suchen. Sie würden hinter Felsgestein und in von Laub verstopften Abwassergräben nachsehen – wie vor einem Monat, als Kyla Powers verschwunden war.

Man hatte Kyla ebenso wenig gefunden wie Joe Huxley. Madge glaubte jedoch zu wissen, wo die beiden steckten. Sie waren hier unten, bei ihr. Trotz der Kälte konnte sie den Tod in ihrer Umgebung überall riechen. Es war kein Gestank, der den Geruchssinn ausschaltete, sondern einer, der immer stärker wurde und in ihrem Magen Übelkeit und Panik erzeugte.

Madge lag da, und Dunkelheit, Durst und Hunger lähmten sie allmählich. Sie war sich der stechenden Schmerzen an ihrem Arm – dort, wo der Unbekannte ihr die Haut abgezogen hatte – kaum bewusst. Ihr Geist trieb dahin und entfloh in die Vergangenheit. Vor etwa fünfzehn Jahren hatten Henry und sie die alte Moonstone-Silbermine vom Gemeindeamt gepachtet und zur tollsten Attraktion von Old Madelyn gemacht.

Sie hatten für die Musik gesorgt, die an unterschiedlichen Stellen der Fahrt erklang. Sie hatten für die beschaulichen Streckenabschnitte die »Grand Canyon Suite« ausgesucht. »Die Nacht auf dem kahlen Berg« lief in dem Abschnitt, in dem die Bremsen »versagten«. »Im Saal des Bergkönigs« erklang in der riesigen Hauptattraktion – einem Raum voller Schatzkisten und golden bemalter Steine. Disneyartige Zwerge und ein stattlicher goldhaariger König auf einem Thron bewachten sie. Die Szenerie war zwar weder perfekt noch unglaublich originell, aber zumindest das Ergebnis ihrer gemeinsamen Arbeit, und deswegen gefiel sie Madge und Henry. Sie hatten sich einen Traum erfüllt.

Henry hatte das heruntergekommene alte Bergwerk abgestützt, gesichert und Kabel und Gleise für die Besucherbahn verlegt. Madge hatte sich in ihrer Freizeit um die Ausstattung gekümmert. Als Geschichtslehrerin hatte sie sich immer gern in Bücher über irische Bergleute vertieft. Sie hatte Geschichten in Typen und Bilder umgesetzt, um die Besucher zu erfreuen und zu erschrecken. Die Erzählungen erschienen ihr so lebensecht, dass sie die Zwerge vor ihrem geistigen Auge buchstäblich auf ahnungslose Bergleute zupirschen sah – die Spitzhacke zum Schlag erhoben.

Erneut rumpelte die Bahn über ihr dahin und brachte die Wirklichkeit mit. Madge stöhnte mit dem schmutzigen Lappen zwischen den Zähnen. Sie spürte die über ihre Wangen laufenden Tränen und wünschte sich, Gott würde dafür sorgen, dass sie sie schlucken könnte. Sie war so durstig – so unglaublich durstig.

Madelyn - Ort des Schreckens

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