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Die Giraffe, die den Fluss hinabsegelte und nach Paris reiste

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Muhammad Alis regionale Ambitionen hatten viele Konsequenzen. Eine davon war, dass der Nil als Korridor zwischen Afrika und Europa wiederentdeckt wurde und eine größere Bedeutung erlangte, als er über Tausende von Jahren gehabt hatte.

Anfang der 1820er Jahre kam es zu einem sonderbaren Transport den Nil hinab, den ganzen Weg von Sannar im Ostsudan bis zu Muhammad Alis neuem Palast in Alexandria. Dort traf ein ungewöhnlich hochgewachsener Gast ein, der fortan im Palastgarten weilte, während er auf die Überfahrt nach Europa wartete.35

Nachdem Muhammad Alis Truppen 1821 den Sudan besetzt hatten, erging schon bald der Befehl nach Sannar am Blauen Nil, man möge einige Giraffen fangen und nach Ägypten bringen. Zwei Giraffengeschwister wurden eingefangen, ihre Mutter wurde bei dieser Aktion getötet. Die beiden wurden mit dem Boot nach Khartum gebracht, von wo aus die Reise über Schandi im Nordsudan bis nach Alexandria weiterging. Im Sommer 1826 verbrachte eine der beiden Giraffen in der herrschaftlichen Schlossanlage am Mittelmeer ihre letzten drei Monate auf dem afrikanischen Kontinent. Ende September waren die Vorbereitungen für die Überfahrt und den Empfang in Marseille abgeschlossen. Dann wurde das Tier mit dem Schiff über das Mittelmeer nach Europa transportiert, als erste Giraffe in der Geschichte, die europäischen Boden betrat. Von Marseille ging es in Begleitung des sudanesischen Tierpflegers Stück für Stück schwankend weiter bis Paris.

Die Giraffe erlangte bald große Berühmtheit. Als sie am 5. Juni 1827 in Lyon einzog, säumten die Menschen den Straßenrand. Mehr als 30 000 hatten sich versammelt, um dieses merkwürdige, langhalsige Tier zu Gesicht zu bekommen, von dem sie bis dahin noch nie gehört, geschweige denn es gesehen hatten.

Die Giraffe war das Geschenk des ägyptischen Herrschers an Frankreich. Der Mann, der einige Jahre zuvor die Mameluken hatte abschlachten lassen, wollte nun mithilfe dieses langbeinigen Tiers die Gunst der Europäer gewinnen. Die reisende Giraffe sollte nicht nur ihre Staatenlenker milde stimmen, sondern auch die öffentliche Meinung für Muhammad Ali einnehmen. Denn genau am gleichen Tag, an dem die Menschenmenge in Lyon sein Geschenk bewunderte, mussten die Griechen sich den osmanischen Kräften unter seiner Führung geschlagen geben. Während die Giraffe majestätisch das Zentrum der Seidenstadt erreichte, fiel Athen in jenem Krieg, den Lord Byron und Henrik Wergeland als Europas großen Freiheitskrieg gegen das muslimische Osmanische Reich im Osten beschrieben. Muhammad Ali versuchte mit allen Mitteln, die Herzen der Europäer zu gewinnen, und die arme Giraffe musste dabei brav akzeptieren, ein Teil seiner diplomatischen Strategie zu sein.

Diese lange Reise der Giraffe von den Ufern des Nils südlich von Khartum bis Paris fand also in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts statt, weil der ägyptische Herrscher mithilfe dieses höchst exotischen und unbekannten Tieres aus Afrika die europäische öffentliche Meinung milde zu stimmen hoffte. Die Reise des langhalsigen Tiers verdeutlicht auf ihre Weise, wie der Nil über die Zeit hinweg als geografisches und historisches Band zwischen dem südlich der Sahara gelegenen Afrika und Europa fungiert hat.

Der Nil

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