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Die Muslimbruderschaft will die »Quellen des Nils« sichern

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Ende der 1920er Jahre stellten die Briten mit ihren berühmten Ballnächten in den großen Kairoer Hotels voll kolonialer Arroganz ihren Lebensstil zur Schau, zugleich kamen immer mehr westliche Touristen nach Ägypten. Die Europäer drückten der Gesellschaft am Nil ihren Stempel auf, und große Teile der ägyptischen Elite versuchten, den Westen sowohl kulturell als auch wirtschaftlich zu kopieren. Vor diesem Hintergrund entstand unter Hassan al-Bannas Führung die sogenannte Muslimbruderschaft. Sie wurde im März 1928 in Ismailia gegründet, sechs Arbeiter der Suezkanalgesellschaft gehörten neben al-Banna zu den Gründungsmitgliedern.

Die Bruderschaft erhielt sofort großen Zulauf und entwickelte sich zu einer Graswurzelbewegung mit mehreren Hunderttausend Mitgliedern. Von anderen Widerstandsbewegungen gegen die britische Herrschaft unterschied sie sich dadurch, dass sie das gesamte westliche Projekt, seine politischen Ideen und seinen Lebensstil grundsätzlich ablehnte. Sie entstand in den Hafenstädten am Kanal, wo sie zum Teil als Reaktion auf das Gebaren der Briten als Herrscher in der Region sowie auf die Moral der Europäer in diesen Orten regen Zulauf verzeichnete. Eine wichtige Inspiration stellen jene Bewegungen in der Geschichte des Islam dar, die alle Weisheit im Koran und in den Handlungen des Propheten zu finden meinten.

Die Bruderschaft war aktiv im Kampf gegen die britische Herrschaft und kämpfte zugleich dafür, dass Scharia und Hadith einzige Grundlage der Gesetzgebung sein sollten. Sie setzte sich für einen sogenannten modernen Islam ein, bei dem Religion, Politik, Wirtschaft und Normen unter der Führung des rechten Glaubens zu einer Einheit würden. Aus Sicht der Muslimbruderschaft repräsentierte der Islam ein totales System; dies sei nötig, um die Gesellschaft auf gerechte und zweckmäßige Weise zu gestalten – vor allem aber sollte es eine Gesellschaft sein, die in Übereinstimmung mit dem vermeintlichen Willen Allahs organisiert wäre. Das langfristige Ziel bestand in der Wiedererrichtung des islamischen Kalifats einschließlich Spaniens.

Einer der bekanntesten ideologischen Führer dieser Gruppe, Sayyid Qutb, illustriert am klarsten die eindeutige Zurückweisung des Westens und allem, was er repräsentierte. Seine Ausbildung hatte er an Universitäten in den USA erhalten, und genau dort, im politischen und kulturellen Zentrum des Westens, meinte er, den Widerspruch verstanden zu haben zwischen dem Islam und dem, was er als die dominierenden Werte der westlichen Zivilisation wahrnahm wie etwa Säkularismus, Gleichstellung der Geschlechter und Parlamentarismus. Von Anbeginn wurde innerhalb der Bruderschaft über Art und Menge der Kompromisse diskutiert, die in der praktischen Politik erforderlich wären, um ihre langfristigen Ziele zu erreichen, und bis heute drehen sich die internen Gegensätze in der Bruderschaft um diese Frage, anstatt darum, ob diese Ziele richtig oder falsch seien.

In ihrem Programm hat die Muslimbruderschaft nicht nur den Jihad – den Heiligen Krieg – als Mittel des politischen Kampfes postuliert, sondern sich ebenfalls zum Ziel gesetzt, »die Quellen des Nils zu sichern«. Noch immer steht diese Formulierung im Programm, doch was sie konkret bedeutet, ist unklar. Da diese Ziele erst formuliert wurden, als die Briten die Quellen bereits kontrollierten, haben sie einen militärischen und politisch-diplomatischen Unterton. Zugleich war es eine Forderung, die den Passagen im Koran widersprach, in denen Wasser als von Allah kommend, als ein Segen Allahs, als soziales Gut begriffen wird. In diesem Zusammenhang ist auch der Tatsache große Bedeutung beizumessen, dass Wasser im Koran 63 Mal erwähnt wird. Als die Muslimbruderschaft nach der Absetzung von Präsident Hosni Mubarak bei den Wahlen 2012 die Stimmenmehrheit erhielt, bestand eine ihrer Hauptaufgaben bei der Regierungsbildung darin, solche religiös sanktionierten Ideen mit einer sehr komplizierten Wasserdiplomatie zu steuern und zu festigen. Wie wir sehen werden, sind sie damit gescheitert.

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