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Eine Rolle für einen Helden

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Die politische Entwicklung nach dem Zweiten Weltkrieg – mit einem bankrotten Britischen Empire, das seine Führungsrolle an die USA hatte abgeben müssen, der Etablierung des israelischen Staates sowie einer heraufdämmernden islamistischen, panarabischen und antiimperialistischen Bewegung – ließ viele Ägypter erkennen, dass die Tage Londons als Herrscher über den Nil und Ägypten gezählt waren. Weltweit bildete sich Widerstand gegen die bestehende Ordnung, von den Dschungeln Asiens über Lateinamerika bis zum Nahen Osten, nicht zuletzt im dicht bevölkerten Nildelta, wo darüber hinaus die andauernde Forderung nach mehr Wasser immer größeres politisches Gewicht bekam.

In dieser Situation betrat der dynamische und charismatische Gamal Abdel Nasser die politische Arena. Die arabische Welt sehnte sich nach einer Führungsfigur, die ihr im Kampf gegen den europäischen Einfluss in der Region Zuversicht und Ansporn geben könnte. Nasser schlüpfte mit großem Erfolg in die Rolle des Helden, der auf seine Zeit gewartet hatte und das Land nun in eine lichte Zukunft führe. »Heute, mit seiner neu gewonnenen Freiheit, hat das ägyptische Volk Selbstrespekt gewonnen«, erklärte er nach der Revolution. »Schon jetzt löschen unsere Hoffnung und unser Glaube an ein erneuertes Ägypten die Demütigungen und Leiden einer früheren Zeit aus unserem Gedächtnis aus.«53

Als Nasser als Anführer der »Freien Offiziere« 1952 die Macht durch einen Militärputsch übernahm, schuf dies aber nicht nur die Grundlagen für eine politische Revolution. Langfristig tief greifender wirkte sich die nun angestoßene Revolution im Verhältnis der Ägypter zu ihrem Fluss aus. Es war das erste Mal seit etwa 2500 Jahren, dass das Land von einem Ägypter regiert und seine Lebensader von einem Ägypter beherrscht wurde. Der gesamte Flusslauf auf ägyptischem Territorium wurde nun mit Dämmen versehen und unter Kontrolle gebracht.

Gamal Abdel Nasser wurde als Sohn eines Bauern geboren und im britisch beeinflussten Heer zum Offizier ausgebildet. 1952 war er 34 Jahre alt, bekannt als Held aus dem Krieg gegen Israel im Jahr 1948. Drei Jahre hatte er geheime Zellen innerhalb des Heeres aufgebaut, jeweils vier bis fünf Personen in Gruppen, die nichts voneinander wussten. Von Anbeginn lautete das Ziel, die Briten aus Ägypten zu vertreiben. Im Laufe der Zeit entwickelte sich aber auch der Plan, den korrupten und steinreichen König Faruk von seinem Thron zu entfernen. Er galt wie die Vertreter Großbritanniens als Repräsentant des imperialistischen Systems und der kolonialen Elite. Nasser hatte sich zuvor bereits an der Planung eines Mordanschlags auf den Oberkommandierenden der ägyptischen Armee, Hussein Sirri Amer, beteiligt. Wie er später schrieb, hätten ihn jedoch Träume von Schießereien, schreienden Frauen, weinenden Kindern und Hilferufen die ganze Nacht verfolgt, weswegen er dem Terrorismus als Strategie abgeschworen habe. Stattdessen entschieden sich die Aufrührer für einen schnellen, unblutigen Putsch, der von knapp 100 jungen Offizieren unter der Führung Nassers in die Tat umgesetzt wurde. Nach dieser Blitzaktion übernahmen sie am 23. Juli die Macht, und General Muhammad Nagib rief die Republik aus. Die ehrgeizigen Ziele lauteten: »Abschaffung von Kolonialismus, Feudalismus und Kapitalismus sowie Schaffung von sozialer Gleichheit.«

Am 26. Juli, als der königliche Palast in Alexandria bereits von Nassers Soldaten umringt war, unterzeichnete der König seine Abdankung und ging in der Uniform eines Admirals zusammen mit Familienmitgliedern, 66 Kisten voller Gold, Juwelen und kostbaren Gegenständen an Bord seiner Jacht »Mahroussa« und verließ das Land in Richtung Europa. Die Ära der osmanischen Monarchie in Ägypten war vorbei, und damit endete nach 150 Jahren die Herrschaft der von Muhammad Ali Pascha begründeten Dynastie. Der ehemalige König wurde ins Exil geschickt, nicht vor Gericht gestellt. »Die Geschichte wird ihn zum Tode verurteilen«, erklärte Nasser, daher solle man keine Zeit darauf verschwenden, ihm den Prozess zu machen.

Nasser war eine charismatische, fast schon übernatürliche Persönlichkeit; er galt als der Held, dem zugetraut wurde, das Land von den Erniedrigungen der Vergangenheit zu erlösen und Ägyptens ehemalige Größe wiederherzustellen. Ein Mann, der dem Land Würde zurückgeben, Wachstum bringen und es seinen natürlichen Platz in der modernen Welt einnehmen lassen könnte. Die größte und revolutionärste Idee, die Nasser mehr als alles andere überleben sollte, war indes der Bau eines neuen, hohen Staudamms bei Assuan; der Hohe Damm, Sadd el-Ali, oder Nasserdamm, wie er auch genannt werden sollte. Es war Adrien Daninos, ein völlig unbekannter, in Ägypten lebender griechischer Agronom, der dieses Projekt als Erster entwickelt und es der ägyptischen Staatsführung vorgeschlagen hatte. Die weiterhin im Sudan herrschenden Briten hatten vorgeschlagen, entlang des Flusses mehrere kleinere Dämme zu bauen; das hätte niedrigere Kosten verursacht und zu einem reduzierten Wasserverlust durch Verdampfung beigetragen. Aus hydrologischer Sicht wäre das der vernünftigere Plan gewesen, doch Nasser verwarf ihn als unrealistisch, weil er eine politische Stabilität stromaufwärts verlangte, die nicht bestand. Die neue ägyptische Führung durchschaute zudem das strategische Interesse der Briten an diesem Vorschlag.

Nasser ignorierte kritische Einwände seiner Wasserbauingenieure im Hinblick auf negative Auswirkungen des großen Damms, der insbesondere den im Wasser gelösten Schlamm zurückhalten würde, der folglich für die Düngung der flussabwärts liegenden Felder fehlen würde. Diese überaus weitreichenden Konsequenzen wurden Nassers unmittelbaren politischen und ökonomischen Zielen untergeordnet: Durch den neuen, riesigen Damm auf ägyptischem Territorium würde die Regierung eine unabhängige Modernisierungspolitik durchführen, sie für Propagandazwecke ausnutzen und vermarkten können. Das Land sollte zum Japan Afrikas werden. Ägypten, das bereits eines der führenden blockfreien Länder war, würde der Welt zeigen, dass es einen selbstständigen Weg zur Modernisierung einschlagen könne. Die Briten ihrerseits nannten das Projekt »die verrückte Idee eines Verrückten«, als sie zum ersten Mal von den Plänen des griechischen Agronomen hörten. Ihre Skepsis beruhte auf drei Punkten: Aus einem wasserökonomischen Blickwinkel betrachtet, fanden sie es klüger, auf ihren eigenen, ganzheitlichen »Niltalplan« zu setzen. Darüber hinaus bezweifelten sie, dass der Bau eines so großen Damms technisch gesehen möglich war, vor allem hinsichtlich der geologischen Stabilität des Untergrunds. Doch in erster Linie waren sie skeptisch, weil sie wussten, worüber sich auch Nasser klar war: Ein solch neuer gigantischer Damm auf ägyptischem Territorium untergrübe Londons Macht über den Nil im flussaufwärts gelegenen Zentralafrika massiv.

Nassers Plan sollte Folgen für die Weltgeschichte nach sich ziehen, denn das große politische Spiel um den Damm verdeutlichte, dass das Empire machtpolitisch nahezu impotent geworden war. Infolgedessen standen zunehmend die USA im Zentrum der Entwicklung des Nahen Ostens, und die Sowjetunion konnte mit der Entwicklungsförderung in anderen Ländern endgültig die globale Arena betreten. Der Damm stellte darüber hinaus das erste und zugleich wichtigste Beispiel des neu etablierten Systems der Entwicklungshilfe in diesem Teil Afrikas dar, denn zu jener Zeit war es das größte Projekt der Weltbank. Erst zehn Jahre später begann in Ägypten und im Ausland eine Diskussion über den Sinn derart großer Staudämme, und mit Blick auf den Assuandamm wurde gefragt, ob er wirklich den langfristigen Interessen des Landes diente – oder nicht eher den politischen Launen eines autoritären Staatsführers.

Der Nil

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