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Die Suezkrise und der Damm

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Mit dem Aufstand in Ungarn und der Suezkrise stand der Sommer 1956 im Zeichen des Kalten Krieges. Doch während die Ereignisse in Osteuropa schnell zu einer Erinnerung verblassten, führte die Krise am Suezkanal zu einem politischen Erdbeben.

Der Hintergrund dieses Konflikts war unmittelbar mit dem Nil verbunden. Nasser hatte um internationale Unterstützung zum Bau des neuen, gigantischen Damms ersucht, der bei Assuan gebaut werden sollte, und die Weltbank hatte 1955 die Unterstützung des bis dahin größten Projekts in ihrer kurzen Geschichte beschlossen. In gewisser Weise läutete das Projekt die Periode der Entwicklungshilfe im Niltal ein. Auch Großbritannien und die USA signalisierten, den Bau des Damms mit Krediten unterstützen zu wollen, wobei sich die Regierungen in London und Washington bemühten, dass Unternehmen aus ihren Ländern die lukrativen Verträge abschließen könnten. Premierminister Anthony Eden bestätigte die offizielle Zusage für die Beihilfe zum Bau des Damms zuletzt im Dezember 1955. Ein halbes Jahr später zogen sowohl die USA als auch Großbritannien ihre Zusagen wieder zurück.

Als Antwort darauf ließ Nasser den Suezkanal verstaatlichen. Wenn Äpyten die versprochenen Kredite nicht erhalte, so erklärte er, werde man den Bau eben mit den Abgaben zur Nutzung des Kanals durch den Schiffsverkehr finanzieren.

Die Geschichte hinter den verschiedenen Konflikten, die sich im Zusammenhang mit der Finanzierung des Assuandamms ergaben, ist unübersichtlich und nur schwer zu rekonstruieren. Da die Frage vor dem Hintergrund der Entkolonialisierung und der Ausweitung des Kalten Krieges in Afrika solch eine zentrale Rolle einnahm, sind die einflussreichsten Deutungen über die Geschehnisse stark von den politisch-ideologisch dominierenden Bewegungen und Auseinandersetzungen jener Zeit geprägt. Es gibt in den Archiven meterweise Akten, die von dieser Geschichte handeln, und ich habe vieles von dem angesehen, was sich in London, in der Eisenhower-Bibliothek in Abilene, Kansas, in der Princeton-Universität und im Archiv der Weltbank in Washington findet. Die Geschehnisse und das große diplomatische Spiel waren wesentlich komplexer, als es in den vorherrschenden Darstellungen erscheint; nicht zuletzt waren die Gegensätze zwischen London und Washington viel entscheidender für das, was vor und während der Suezkrise geschah, als die üblichen Vorstellungen über eine gemeinsame anglo-amerikanische Front gegen die Sowjetunion uns glauben lassen. Schon an anderer Stelle habe ich detailliert aufgezeigt, dass es den USA Mitte der 1950er Jahre wichtiger war, die Position des Britischen Empire in der Region zu schwächen als einen Kalten Krieg gegen die Sowjetunion zu führen, obwohl ihre offiziellen Verlautbarungen ganz anders klangen und sich die spätere Geschichtsforschung primär auf den Ost-West-Konflikt konzentriert hat.54

Winston Churchill, von 1951 bis 1955 erneut britischer Premierminister, gehört zu den vielen, die lange glaubten, Großbritannien und die USA verbinde nach dem Zweiten Weltkrieg eine so tiefe Freundschaft, dass die Amerikaner Londons Interessen im Nahen Osten und in Ägypten unterstützen würden. Natürlich betonte Washington die ganze Zeit über seine Freundschaft mit London und bemühte sich, Großbritannien als engen Verbündeten zu behalten. Tatsächlich jedoch benutzten Präsident Dwight D. Eisenhower und Außenminister John Foster Dulles das Spiel um den Nil und Nassers Staudamm ganz bewusst und sehr geschickt, um die Position des Empire als Herrscher über das Niltal und wichtigste Macht am Suezkanal zu unterminieren. London wurde vor der ganzen Welt gedemütigt, als die Vereinten Nationen den bewaffneten Angriff auf Ägypten im Jahr 1956 verurteilten. Im Grunde genommen ging es um den Wunsch der USA, Zugang zu den Märkten und Ressourcen der Region zu erhalten. In diesem Kontext war Großbritannien praktisch gesehen ein größeres Problem als die Sowjetunion zu jener Zeit, wenngleich die Amerikaner, die ja durch die NATO mit London verbündet waren, dies niemals laut aussprechen konnten.

Die Politik der Briten konzentrierte sich bis 1956 darauf, Nasser für den Bau des Staudamms, der gegenüber allen anderen Entwicklungsprojekten im Lande Priorität genoss, einen Kredit anzubieten. Sie gaben ihre Zusagen zu einem Zeitpunkt, als sie schon längst wussten, dass Nasser Waffen von den Verbündeten der Sowjetunion gekauft hatte. Auch seine antiwestliche Rhetorik auf der Konferenz von Bandung im Jahr 1955 hielt Großbritannien nicht ab, da es an der Fähigkeit Kairos zweifelte, die gestellten Bedingungen zur Erteilung des Kredits zu erfüllen. Diese Bedingungen betrafen insbesondere die Aufteilung des Nilwassers zwischen Ägypten und dem Sudan, über die sich die beiden Nilstaaten einigen sollten. Angesichts der divergierenden Positionen der jeweiligen Regierungen in den Jahren 1954 und 1955 schien dieses Ziel völlig unerreichbar zu sein. Die Briten gingen davon aus, dass Nasser generell umgänglicher werde, sobald ihm bewusst würde, dass er in diesem Punkt nachgeben müsse. Als Kairo und Khartum sich dann aber plötzlich und entgegen allen Erwartungen auf eine Aufteilung des Wassers sowie auf Kompensationszahlungen an den Sudan für den Bau von Schutzdämmen auf seiner Seite der Grenze einigten, brach die Grundlage für die britische Nildiplomatie in sich zusammen.

Was sollten Großbritannien und die USA nun tun? Keines der beiden Länder hegte eigentlich Sympathien für den Staudamm, für den sie finanzielle Unterstützung zugesagt hatten. Ihrer Ansicht nach war er zu groß und würde Ägyptens Unabhängigkeit und Eigensinn nur befördern. Washington begriff das Offensichtliche: Durch die Bewilligung eines Kredits und die Aufstellung bestimmter, daran geknüpfter Bedingungen, und nicht zuletzt auch dadurch, dass britische Unternehmen den Staudamm bauten, würde London seine Position in Ägypten bewahren können. Dementsprechend wäre es für die Amerikaner wesentlich schwieriger, in Ägypten Fuß zu fassen und die Briten als Macht am Nil abzulösen. Die amerikanische Regierung verweigerte Nasser den Kredit, weil sie wusste, dass die Tage Großbritanniens als Großmacht in der Region dadurch gezählt wären. Die USA demütigten London exakt auf jenem Gebiet, das bislang als Londons Domäne galt und seine Reputation in Ägypten und im Sudan ausmachte: die Fähigkeit der Briten, den Nil zu kontrollieren und ein Bewässerungssystem zu entwickeln. Als die USA plötzlich ihre Zusage für den Kredit zurückzogen, hatten die Briten keine andere Wahl, als es den USA gleichzutun, denn ohne amerikanische Unterstützung besaßen sie weder die ökonomischen Ressourcen noch die politische Macht zur Gewährung eines Kredits an Nasser.

Die Briten indes wurden von dem einseitigen Beschluss der Amerikaner überrascht; ja, er hatte sie kalt erwischt, und sie waren unsicher, mit welcher Politik ihren Interessen nun am besten gedient wäre. Nach außen hin vermittelten Großbritannien und die USA weiterhin den Eindruck des Zusammenhalts. Offiziell hatten sie die Kreditzusage zurückgezogen, um Nasser für seinen Waffenkauf in der Tschechoslowakei und seine Anbiederung an die Ostblockstaaten zu bestrafen. Diese Begründung überzeugte sowohl zeitgenössische Beobachter als auch spätere Historiker, hält aber bei näherer Betrachtung nicht Stand. Wie erwähnt, hatte Nasser entsprechende Kontakte bereits aufgebaut, lange bevor London und Washington ihre offizielle Zustimmung zur Gewährung eines Kredits für den Dammbau gaben. Die Rhetorik des Kalten Krieges diente allen Beteiligten lediglich als Mittel, um die tatsächlichen Motive für die spätere Rücknahme der Kreditzusage vor der Öffentlichkeit zu verbergen.

Als der amerikanische Außenminister, ohne London vorab darüber zu informieren, den ägyptischen Gesandten in Washington einbestellte und ihm mitteilte, die USA wollten den Kredit entgegen früherer Zusagen nicht gewähren, reagierte Nasser einige Tage darauf mit der Verstaatlichung des Suezkanals.

Das Spiel um den Nil, das für die Etablierung Großbritanniens als Kolonialmacht in der Region so enorm wichtig gewesen war, sollte, wie sich nun zeigte, auch den Todeskampf des Empire in Afrika prägen. Oder wie Nikita Chruschtschow es während der Suezkrise, als der Kalte Krieg heiß zu werden drohte, triumphierend ausdrückte: Beim britischen Versuch, Nasser militärisch aufzuhalten, handele es sich um »das letzte Aufbrüllen des Britischen Löwen«. Londons Rolle als »Lord of the Nile« war definitiv ausgespielt, und der neue Assuandamm, der fast genau 70 Jahre nach dem ersten Staudamm fertiggestellt wurde, wurde zum Symbol dafür, dass Ägypten endlich Herr über den Fluss und somit über sich selbst geworden war.

Am 28. Oktober 1956 erhielt der britische Botschafter in Ägypten, Sir Humphrey Trevelyan, den Befehl, das Botschaftspersonal kräftig zu reduzieren. Drei Tage später brachen die Ägypter die diplomatischen Beziehungen zu Großbritannien ab, und um die Mittagszeit wurde das Tor zur Botschaft von ägyptischen Polizisten abgeriegelt. Niemand durfte hinein oder heraus, Telefon- und Stromleitungen wurden gekappt. Die britischen Interessen in Ägypten wurden fortan vom Geschäftsträger der schweizerischen Botschaft wahrgenommen. Die Briten mussten tagelang über den sicheren Abzug ihres diplomatischen Personals verhandeln. Schließlich durften alle Botschaftsangehörigen am 10. November mit einem Sonderzug ausreisen. Sir Humphrey persönlich verschloss die Residenz des Botschafters und bestieg noch am selben Abend den Zug, der alle von Alexandria nach Libyen brachte. Das britische Nilreich war Geschichte. Ein Reich, das tiefe Spuren in der Geschichte der Region hinterlassen hat und das die einzige Periode in der langen Geschichte des Nils darstellte, in dem er einer einzigen und vereinten politischen Führung unterstand.

Der Nil

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