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Die Sowjetunion als Modernisiererin des Nils
ОглавлениеDer neue Assuanstaudamm wurde zu einem Symbol für Nassers politische Potenz, ist darüber hinaus aber auch eines der nachhaltigsten Beweise für die technologischen Fähigkeiten der damaligen Supermacht Sowjetunion.
Der Damm erlöste Ägypten aus der despotischen Macht der saisonbedingten Pegelschwankungen des Nils. Das ganze Land wurde elektrifiziert, und mehrere Hunderttausend Hektar Land konnten neu bestellt werden. Wie erwähnt, war der Assuandamm von Nasser und seinem Regime als der Motor geplant, der das Land in ein afrikanisches Japan verwandeln sollte. Zugleich sollte das Bauwerk aber auch sicherstellen, dass Ägypten von den stromaufwärts gelegenen Ländern unabhängig wurde. In gewisser Weise war der Staudamm als Symbol vergleichbar mit der Revolution der »Freien Offiziere« und ihrem radikalen Bruch mit der Vergangenheit; er verkörperte die Neue Zeit.
1958 beschrieb Nasser die Bedeutung des Staudamms für Ägypten wie folgt:
Über Tausende von Jahren waren die Pyramiden die herausragendsten Bauwerke auf der ganzen Welt. Sie sicherten den Pharaonen ein Leben nach dem Tod. Demnächst wird der gigantisch hohe Damm, bedeutungsvoller und 17 Mal größer als jede Pyramide, allen Ägyptern einen höheren Lebensstandard bescheren.55
Der Staudamm ist tatsächlich gigantisch. Als er 1971 fertiggestellt wurde, war er der größte künstliche Damm der Welt, und das Kraftwerk war das weltweit drittgrößte. Die Staumauer ist 111 Meter hoch und 3830 Meter lang, und wie Nasser in seiner Ansprache schon 1958 feststellte, entspricht die Baumasse etwa der von 17 Cheops-Pyramiden. Doch dieser künstliche Fels ist gleichwohl beinahe nichts im Vergleich mit dem, was darunter liegt. Sowjetische Techniker injizierten unter mehrfach erhöhtem atmosphärischen Druck eine Mischung aus Zement, Bentonit und Aluminiumsilikat, um eine Art unterirdischen »Dichtungsmassenvorhang« zu erzeugen, eine 100 Meter tiefe verborgene Wand, die verhindert, dass das Flusswasser unter dem Damm hindurchsickert.
Ägyptens Präsident Gamal Abdel Nasser (erste Reihe, 3. v. r.) zusammen mit dem Führer der Sowjetunion, Nikita Chruschtschow (erste Reihe, 2. v. l.), während eines Besuchs in Luxor 1964 in Verbindung mit der Übernahme der Finanzierung und des Baus des Hohen Damms durch die Sowjets. Mit der 1971 erfolgten Fertigstellung des Damms wurde der Nil in Ägypten zu einem Bewässerungskanal umfunktioniert.
Die jährliche Stromerzeugung sollte zehn Milliarden Kilowattstunden betragen und die landwirtschaftlich nutzbare Fläche um 60 000 Hektar erweitert werden. Auf rund 28 000 Hektar in Oberägypten konnte von nun an dreimal anstatt wie früher einmal im Jahr geerntet werden. Ägypten würde sowohl vor Überschwemmung als auch vor Trockenheit völlig beschützt sein. Der Damm sollte gleichermaßen als Bank wie als Versicherung dienen. Während Äthiopien in den 1980er Jahren von großen Hungerkatastrophen geplagt wurde, setzten die ägyptischen Bauern die Bestellung ihrer Felder wie früher fort. Dies ließ sich relativ sorgenfrei durchführen, weil der neue Nilstausee Wasser für mehrere Jahre enthielt. Als der Sudan in den 1990er Jahren von Überschwemmungen betroffen war, konnten die Ägypter wie gewohnt weitermachen, ohne Angst vor hereinstürzenden Wassermassen haben zu müssen, weil Nassers Hoher Damm alles aufhielt. Und nicht zuletzt, doch ungeheuer wichtig für die Kreuzfahrtindustrie: Die Schiffbarkeit des Flusses würde sich verbessern.