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Der Kanal zwischen den Meeren

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Ich stehe ein Stück südlich des Hafens von Ismailia im Schatten von Palmen, die dank des Nilwassers gedeihen, das über lange Distanzen hergeleitet wird. Supertanker gleiten der Reihe nach langsam durch den engen Suezkanal; mit der braunen Wüste im Hintergrund ergibt das einen besonders majestätischen Eindruck. Der Anblick ist surreal, doch zugleich kann er als Sinnbild für die Veränderungskraft globaler Handelsregime in der modernen Welt gedeutet werden.

Hier liegt auch das Haus von Ferdinand de Lesseps, dem französischen Konsul in Ägypten und Vater des Kanals. Das Haus ist jetzt für die Öffentlichkeit geschlossen, aber ich wurde von meinen ägyptischen Gastgebern herumgeführt, als ich Anfang der 1990er Jahre an einer Konferenz über den Nil teilnahm: Das Schlafzimmer sah aus, als wäre es eben erst verlassen worden, alte Bilder hingen an den Wänden, auf dem Schreibtisch und neben dem Bett lagen aufgeschlagene Bücher, und auch Lesseps Privatkutsche gab es noch, in untadeligem Zustand. Der mehr als 160 Kilometer lange Kanal, bei dessen Planung Lesseps federführend war, wurde am 17. November 1869 eröffnet. Eine künstliche Wasserstraße, die das Mittelmeer mit dem Indischen Ozean beziehungsweise Europa mit Asien verbindet, war geschaffen worden. Sie änderte nicht nur den Lauf der Weltgeschichte, sondern auch die geopolitische Rolle Ägyptens – und damit des Nils.

Kanalbauten waren in Ägypten nichts Neues. Bereits Tausende Jahre zuvor hatten die Ägypter Kanäle vom Nil zum Roten Meer gegraben. Der Erste, der über diese gesamte Strecke einen Kanal bauen ließ, war Senausert III., fast 1900 Jahre v. Chr. Inschriften aus der Zeit Ramses’ II. (1279–1213 v. Chr.) verkünden, der große Pharao Ramses habe einen Kanal vom Nil zum Roten Meer über Wadi Tumilat und einige Binnenseen fertigstellen oder reparieren lassen. Irgendwann im Lauf der folgenden 600 Jahre muss er verschlammt sein, denn Necho II. (er regierte von 609 bis 594 v. Chr.) ließ ihn erneut ausheben, bevor das ganze Projekt schließlich aufgegeben wurde. Die Perser legten unter Dareios I. (549–486 v. Chr.) einen Kanal an, der wohl gut 200 Jahre lang in Gebrauch war. Dareios errichtete im Wadi Tumilat fünf Denkmäler, auf denen sich folgender Text findet: »König Dareios sagt: Ich bin ein Perser; ich bin von Persien aufgebrochen. Ich habe Ägypten erobert. Ich befahl, diesen Kanal vom Nil, der in Ägypten fließt, bis zum Meer zu graben, das in Persien beginnt. Als dieser Kanal also, wie ich befohlen hatte, gegraben war, fuhren Schiffe von Ägypten durch diesen Kanal nach Persien, wie ich es beabsichtigt hatte.«

In der Regierungszeit Kleopatras wurde der Kanal bereits nicht mehr verwendet, erst die Römer, sowohl unter Trajan als auch unter Hadrian, reparierten ihn. Als Amr ibn al-As und die Araber Ägypten eroberten, war der Kanal wieder verfallen, und Amr ließ ihn wiederherstellen. Vom Nil südlich des Deltas bis zum Roten Meer gab es im 8. Jahrhundert einen Kanal, bekannt unter anderem durch die Reise des Mönchs Fidelis vom Nil zum Roten Meer (er war auf Pilgerfahrt zum Heiligen Land). Es scheint, als wäre dieser Kanal auch zur Verschiffung von Getreide nach Arabien benutzt worden. 767 wurde er von Kalif al-Mansur geschlossen, vermutlich um Aufständische in Medina auszuhungern.36

Während seiner kurzen Herrschaft über Ägypten fand Napoleon unter anderem die Zeit, französische Ingenieure damit zu beauftragen, die Möglichkeiten für den Bau eines Kanals zwischen dem Mittelmeer und dem Indischen Ozean zu eruieren. Vor dem Hintergrund des damaligen Stands der Technik kamen sie zu dem Schluss, das Vorhaben sei unmöglich, doch später zeigte sich, dass sie einen vermeintlichen Höhenunterschied von zehn Metern zwischen den beiden Meeren falsch berechnet hatten. Niemand weiß, wie sich die Geschichte des Nils und damit auch die Weltgeschichte ohne diesen kleinen Fehler entwickelt hätten; wir wissen nur, dass sie ganz anders verlaufen wären. Der Fehler wurde erst mehr als 40 Jahre später entdeckt, und ein anderer Franzose, Louis M. A. Linant de Bellefonds, entwarf die Pläne für den Suezkanal. Der Diplomat und Ingenieur Ferdinand de Lesseps präsentierte dem neuen ägyptischen Herrscher, Said Pascha, den Plan. Said veranlasste den Beginn der Arbeiten am Mittelmeer und benannte den Ort, an dem der Kanal beginnt, also das heutige Port Said, nach sich selbst.

Die Briten waren gegen diesen neuen Kanal, weil sie zu Recht befürchteten, dass er ihre Handelsdominanz schwächen würde. Daher unterstützte die Regierung in London unter anderem einen Aufstand unter den Kanalarbeitern. Diese hatten als Zwangsrekrutierte, die unter elendigen und lebensgefährlichen Arbeitsbedingungen litten, auch guten Grund aufzubegehren. Die Unterstützung eines Arbeiteraufstands in Ägypten für bessere Arbeitsbedingungen durch das Empire passt kaum mit allgemeinen Auffassungen über den Imperialismus zusammen, aber für London war das Hauptanliegen zu diesem Zeitpunkt die Schwächung von Frankreichs Position in der Region. Die Unterstützung durch Napoleon III. versetzte die ägyptische Regierung jedoch in die Lage, das Projekt erfolgreich abzuschließen.

1869 war der Kanal schließlich fertig. Er wurde mit Glanz und Gloria eröffnet, ganz wie es sich für das ägyptische Königshaus geziemte. Am Tag der Eröffnung waren Würdenträger und berühmte Persönlichkeiten aus nah und fern am Kanalufer zugegen, unter ihnen der Prince of Wales, der Kaiser Österreich-Ungarns und der norwegische Schriftsteller Henrik Ibsen. Außerdem richtete man einen grandiosen Ball für 6000 Gäste aus und eröffnete aus Anlass der Kanaleinweihung das neue Opernhaus in Kairo. Bei dieser Gelegenheit sollte Verdis Oper Aida uraufgeführt werden, die er als Auftragswerk für den ägyptischen Vizekönig komponiert hatte (in der Operngeschichte gilt dieses Werk als der bestbezahlte Auftrag, den ein Komponist je erhalten hat). Das war direkt bevor Ismail, der neue Khedive (Vizekönig) und Said Paschas Neffe, seine militärischen Ambitionen einer Unterwerfung der Küste des Roten Meeres und Äthiopiens verwirklichen sollte. Verdis Oper, in der es ja auch um Ägyptens Beziehung zu Äthiopien geht, wurde schließlich erst am Heiligabend 1871, zwei Jahre nach Eröffnung des Kanals, in Kairo uraufgeführt.

Die Oper ist auch interessant als ideenhistorischer Ausdruck für die Blindheit der Europäer in Bezug auf historische Vielfalt und ihr mangelndes Verständnis der Welt, die sie sich nun untertan machten. Die Oper spielt im alten Ägypten, und Verdi hatte für das Libretto den Rat des französischen Ägyptologen Auguste Mariette erhalten. Das zentrale Dilemma der Oper besteht in dem Hin- und Hergerissensein des siegreichen ägyptischen Generals Radamès zwischen zwei Frauen, der Tochter des ägyptischen Pharao und Aida, einer äthiopischen Sklavin und Tochter des Königs von Äthiopien, mit dem Ägypten sich im Krieg befindet. Der ägyptische General verrät schließlich sein Land und muss dafür mit dem Leben bezahlen. Für Verdi und andere Europäer seiner Zeit wurde dieses Dreiecksdrama als ein wirkliches Dilemma empfunden, aber in Ägypten wäre dieser Konflikt völlig bedeutungslos gewesen. Die Lösung für den Mann war ganz einfach: Er hätte notfalls beide Frauen zu seinen Ehefrauen gemacht.37

Schon bald nachdem der Kanal eröffnet worden war, Aidas Sklavenchor seine Premiere in Kairos neuer Oper gehabt und das erste Schiff die Abkürzung zwischen Asien und Europa genommen hatte, wurde klar, dass Ägypten bankrott war. Ismail und seine Vorgänger hatten zu viel und zu schnell in allzu viele Projekte investiert. Die ägyptische Regierung beschloss, Said Paschas Aktien an der Kanalgesellschaft für 400 000 Pfund zu verkaufen. Nun witterten die Briten ihre Chance. Auch wenn Frankreich weiter eine Aktienmehrheit hielt, würden die Karten im Spiel um den Kanal und um Ägypten jetzt neu gemischt werden können. Dem britischen Premierminister Benjamin Disraeli kam zu Gehör, dass die Franzosen bereits um den Kauf der Aktien verhandelten. Nun galt es schnell zu sein. Disraeli beschloss auf der Stelle, die Wertpapiere zu kaufen; er hatte keine Zeit, das Ganze erst vom Parlament absegnen zu lassen. Das eigenmächtige Handeln des Premierministers trug mit dazu bei, die strategische Balance zwischen Frankreich und England zu verändern, mit Konsequenzen bis weit in die Zukunft hinein. Er sandte seinen Sekretär Montagu Corry zum steinreichen Lord Rothschild, dessen Bankhaus der Regierung kurzfristig vier Millionen Pfund Kredit gewährte.38

Die Kanalverbindung zwischen dem Mittelmeer und dem Indischen Ozean änderte Machtverhältnisse und Handelswege. Als Folge der Entdeckung des Seewegs um die Südspitze Afrikas durch die Portugiesen hatte Ägyptens Rolle als Transitroute für den Asienhandel ab Ende des 15. Jahrhunderts gelitten; jetzt lag auf seinem Territorium plötzlich eine der wichtigsten Wasserstraßen der Welt. Ägyptens geopolitische Bedeutung wuchs radikal, und für die Briten wurde das Land zu einem extrem wichtigen Teil ihrer Pläne, das größte und erfolgreichste Weltreich aller Zeiten zu formen.

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